Asservatenkammer voll: Berliner Polizei sagt Razzien wegen Raumnot ab

vor etwa 5 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Wäre ich ein Krimineller – ich wollte nach Berlin.

Dort werden gerade aus einem überraschenden Grund Razzien abgesagt und auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Clans freuen sich, weil sie ihr Zeug jetzt recht entspannt auf andere Verstecke verteilen können, die die Polizei dann erstmal wieder neu finden muss.

Aber der Reihe nach:

Der Wohnungsmangel in unserer Hauptstadt, für die Don Alphonso einst den durchaus treffenden Begriff „Bundeshauptslum“ prägte, ist ja bekannt dramatisch. Das Portal „Immoscout“ hat aktuell für die gesamte Metropole an der Spree rund 3.600 freie Mietwohnungen im Angebot – bei 3,6 Millionen Einwohnern.

Wer sich auch nur ein bisschen mit Immobilien auskennt, der weiß: Das ist die schiere Katastrophe. Die Metropole platzt aus allen Nähten.

Die Raumnot trifft nicht nur den Durchschnittsbürger, sondern nun auch die Polizei, und das mit voller Wucht. Berlin hat nicht nur zu viele Menschen, die eine Wohnung suchen, sondern auch zu viele Verbrecher – vor allem zahllose Spezialisten für spontane Eigentumsübertragung, aka Diebe und Räuber.

Wenn die erwischt werden, wandert ihre beschlagnahmte Beute in die Asservatenkammer. Dort entsteht jetzt auch das aktuelle Problem: Die Hauptsammelstelle für konfiszierte Gegenstände im Kriminalgericht Moabit ist chronisch überfüllt. Und jetzt müssen genau diese Räumlichkeiten auch noch dringend saniert werden – aus Gründen des Arbeits- und Brandschutzes, wie es offiziell heißt.

Die Moabiter Kellergewölbe umfassen 30 Räume auf 2.500 Quadratmetern. Geschätzt 35.000 Asservate lagern dort. Jedes Jahr kommen etwa 25.000 Beweisstücke dazu. Die dürfen erst dann entsorgt werden, wenn ein Gerichtsurteil rechtskräftig ist. Dann gibt die Justiz die Gegenstände an deren rechtmäßige Besitzer zurück oder versteigert oder vernichtet sie.

Aber das kann dauern. Allein in der Ersten Instanz an den Landgerichten dauern Strafverfahren bei uns im Schnitt etwa neun Monate. Bis zum rechtsgültigen Urteil in der letzten Instanz vergehen fast immer mehrere Jahre.

Und so lange müssen die Asservate eingelagert bleiben.

Weil gerade aber eben einfach der Platz fehlt, ist die Leitung des Landeskriminalamts auf eine – man möchte sagen: typisch Berlinerische – Idee gekommen: Um den ständigen Nachschub an Beweisstücken zumindest abzubremsen, soll die Polizei jetzt einfach möglichst viele Razzien verschieben.

In einem Rundschreiben an alle Dienststellen schreibt das LKA:

Die Reaktionen reichen, nicht ganz unerwartet, von heftiger Kritik bis zu blankem Entsetzen. „Beunruhigend“ findet das der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK). Denn die Berliner Polizisten entdecken auch bei Einsätzen, die keine Priorität haben, ziemlich oft Drogen, Waffen und gestohlene oder unverzollte Waren. Wo sollen die jetzt hin? „Wir hoffen, dass die Asservatenstelle schnell wieder voll genutzt werden kann“, erklärt der BDK, erkennbar um Diplomatie bemüht.

Das LKA rechtfertigt sich – und macht dadurch alles irgendwie nur noch schlimmer. Denn bei dieser Gelegenheit erfährt der konsternierte Steuerzahler, dass „angesichts von Großlagen, Krankheits- und Urlaubsfällen“ Einsätze ohnehin ständig priorisiert werden. Übersetzt: Razzien, für die man viele Polizisten braucht, werden nicht selten mehrfach verschoben – bis endlich genug Personal bereitsteht.

Das LKA wiegelt ab: Dringende Einsätze – etwa nach Kapitalverbrechen, Überfällen oder Sexualdelikten – sowie lange geplante Razzien gegen Großdealer, Geldwäscher und Terrorverdächtige werden wohl nicht abgesagt. Allerdings könnten durch das Problem mit der Asservatenkammer Durchsuchungen wegen Diebstahl, Hehlerei oder Betrugs- und Steuervergehen vorerst ausfallen.

Eine gute Nachricht ist das nur für Otto Normalverbrecher.

Wie viele Einsätze schätzungsweise verschoben werden müssen, teilt die Polizei nicht mit. Dafür sagt ein Sprecher mit offenkundig feinem Gespür für das Sicherheitsbedürfnis der Berliner Bürger, es sei „irrelevant“, ob in einem nicht besonders eiligen Verfahren eine Durchsuchung eine Woche früher oder später stattfinde.

Die Sanierung der Moabiter Asservatenkammer wird allerdings nicht eine Woche dauern, sondern Monate, vermutlich eher Jahre. Macht aber nichts, erklärt auch die Staatsanwaltschaft: Für eine „Zwischennutzung“ sei bereits eine andere Liegenschaft „im Blick“. Welche – und ab wann die verfügbar sein könnte – wurde nicht mitgeteilt.

Na dann. Bitte gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen.

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