
Der Berliner Verfassungsschutz betreibt hunderte Fake-Accounts in den sozialen Netzwerken. Unterdessen weigert sich in Thüringen der Inlandsgeheimdienst unter Skandal-Präsident Stephan Kramer entsprechende Informationen herauszurücken – trotz Gerichtsurteil.
Seit geraumer Zeit ist öffentlich bekannt, dass der Verfassungsschutz sogenannte Fake-Accounts in den sozialen Netzwerken betreibt. Öffentlich gemacht hatte dies vor wenigen Jahren der SZ-Journalist Ronen Steinke. In vielen Chatgruppen seien bereits Agenten unterwegs, „die unter einer ‚Legende‘ posten“, schrieb Steinke. „In solche ‚virtuellen Agenten‘ hat der Geheimdienst seit 2019 massiv investiert.“
Über die genaue Zahl dieser Accounts tappt die Öffentlichkeit noch immer weitgehend im Dunkeln. Denn nicht nur das Bundesamt führt solche Accounts, auch die einzelnen Landesämter haben seit Jahren falsche Konten eingerichtet – und zwar nicht zu knapp.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz führt zahlreiche Fake Accounts.
NIUS liegt exklusiv die Antwort der Berliner Senatsverwaltung auf eine Anfrage des AfD-Abgeordneten Ronald Gläser vor. Der AfD-Politiker wollte vom Innensenat wissen, „wie viele Fake-Accounts der Berliner Verfassungsschutz in den sozialen Netzwerken“ unterhält? Mittlerweile ist die Zahl bereits dreistellig, wie die Senatsverwaltung zugibt: „Der Berliner Verfassungsschutz nutzt 236 ‚Accounts‘, die in verschiedenen Zusammenhängen im Internet verwendet werden“, heißt es in der Antwort.
Wo aber ist der Inlandsgeheimdienst unterwegs? 227 Account werden direkt zugeordnet:Facebook (59)Instagram (37)X (36)Telegram (19)TikTok (15)VK (11)Linkedin (9)Reddit (9)Discord (8)Xing (6)YouTube (6)Gettr (2)Gab (1)Snapchat (1)Mastodon (1)Steam (1)Threads (1)Vimeo (1)Webex (1)Wire (1)Spotify (1)Zoom (1)
„Diese Accounts dienen der Aufklärung verfassungsfeindlicher Bestrebungen in den Phänomenbereichen Rechtsextremismus, Linksextremismus, Islamismus, Auslandsbezogener Extremismus und der Spionageabwehr“, erklärt der Berliner Senat. Die fehlenden neun Accounts könnten jedoch nicht benannt werden. Sie befänden sich auf „kleineren Plattformen“. Eine Nennung birge das Risiko „der Aufdeckung oder mindestens Einkreisung dieser Accounts“. Denn der Nutzerkreis dieser Plattformen sei bereits so klein, „dass bei Offenbarung des Netzwerkes das Risiko der Einkreisung nicht tragbar ist“.
Ansonsten gibt sich die Innenbehörde schmallippig: Ob es seit 2015 Fälle gab, in denen durch den Einsatz von Fake-Accounts Informationen erlangt wurden, die zu strafrechtlichen Ermittlungen führten, werde angeblich statistisch nicht erfasst.
Der Berliner AfD-Politiker Ronald Gläser ist angesichts der riesigen Zahl von Fake Accounts empört: „Verfassungsschutzagenten tummeln sich getarnt in sämtlichen Netzwerken. Niemand weiß, ob sie andere dazu anstacheln, Straftaten zu begehen, ob sie die Opposition ausforschen und vielleicht auch legitimen Protest dadurch unmöglich machen. Skandale wie jener um den von den Behörden maßgeblich initiierten Thüringer Heimatschutz und das 'Celler Loch' sind unvergessen. So etwas ginge auch in der virtuellen Welt.“
Gläser meint: „Da reicht es nicht, wenn der Senat zur Begründung auf die allgemeinen Regelungen des Verfassungsschutzgesetzes verweist. Eigentlich haben Beamte überhaupt nichts in radikalen Onlinegruppen verloren. Wenn sie schon dort Nachforschungen anstellen müssen, dann müsste dies zumindest durch ein Gesetz geregelt werden, das auch die Überprüfung durch die parlamentarische Opposition ermöglicht.“
Auch in Thüringen wirft das Vorgehen des Landesamtes für Verfassungsschutz Fragen auf. 2023 hatte sich das Thüringer Ministeriums für Inneres und Kommunales geweigert, die genaue Zahl der vom Verfassungsschutz genutzten „Fake Accounts“ preiszugeben. Die Beantwortung der Fragen der AfD-Politiker Torben Braga und Ringo Mühlmann würden „spezifische Informationen zu Arbeitsweise, Leistungsfähigkeit und konkreten einzelnen Beobachtungsinteressen des Verfassungsschutzes“ offengelegen, hieß es zur Begründung.
Der Thüringer Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer steht derzeit im Fokus eines internen Skandals.
Braga und Mühlmann gingen dagegen gerichtlich vor – und der Thüringer Verfassungsgerichtshof in Weimar gab ihnen am 20. November Recht. Die Landesregierung sei verpflichtet die genaue Zahl zu nennen. Doch die Behörde von Skandal-Präsident Stephan Kramer weigert sich seitdem, die Informationen preiszugeben.
Nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs habe er direkt eine weitere parlamentarische Anfrage gestellt, erzählt Ringo Mühlmann gegenüber NIUS. „Die ist bisher nicht beantwortet. Wahrscheinlich wird die Landesregierung im Ergebnis dieser Anfrage feststellen, dass sie keine Notwendigkeit zur nachträglichen Beantwortung erkennen kann und ich daher eine neue Anfrage stellen muss“, berichtet der AfD-Politiker. „Diese wird im schlimmsten Fall wieder weitgehend unbeantwortet bleiben und wir dürfen erneut klagen. Wir prüfen aktuell, ob wir andere Wege gehen können, um den juristisch festgestellten Anspruch durchzusetzen. Aber es ist zum Verzweifeln…“
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