
Hans-Jürgen Papier, der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, sieht wenig Chancen für ein Verbot der AfD. Zugleich ist er der Ansicht, dass die „politischen Parteien der Mitte“ wieder mehr Menschen überzeugen müssen. „Das parlamentarische System stößt an Grenzen der Funktionalität, wenn die Erstarkung extremistischer Ränder weiter zunimmt“, sagt er im Interview mit der Ostfriesen-Zeitung am Donnerstag.
Es sei „ein wenig übertrieben“, führt er aus, „hier von einer akuten Gefährdung der Demokratie zu sprechen“. Doch es sei besorgniserregend, dass die „Parteien der Mitte“ keine Mehrheiten mehr bilden könnten. Selbst wenn die AfD verboten werden sollte, würde das zu keiner höheren Akzeptanz der parlamentarischen Demokratie führen. Ein Verbotsverfahren sei schwierig. Denn durch „das Verbieten einer Partei wird in den politischen Willensbildungsprozess und in den parteipolitischen Wettbewerb massiv eingegriffen“.
Es müsse nachgewiesen werden, dass eine Partei mit kämpferisch-aggressiver Haltung gegen die Demokratie vorgehe. Sollte ein Verbotsverfahren keinen Erfolg haben, dann wäre es „eher ein Beitrag zur Aufwertung extremistischer Parteien“. Darum sollten die anderen Parteien sich wieder verstärkt den Belangen der Wähler zuwenden und Probleme lösen, damit die Situation „nicht von Populisten und Vereinfachern der politischen Ränder aufgegriffen wird und von dort eine Radikalisierung der Politik eintritt.“
Hans-Jürgen Papier kritisiert, dass das Gutachten anfangs nur stückweise durch einzelne Zitate in den Medien veröffentlicht wurde. Denn die Einstufung führe dazu, dass die AfD anders wahrgenommen werden könnte. „Es ist wahrscheinlich politisch auch gewollt, mit der behördlichen Einstufung abzuschrecken und Warnungen auszusprechen“, vermutet er. Der ehemalige Vorsitzende des Bundesverfassungsgerichts sagte, dass er der AfD zutraue, das Potenzial für einen Umsturz zu haben.
„Ja, also an einem Mangel an Potentialität würde ein AfD-Verbotsverfahren sicherlich nicht scheitern“, sagt er. Zugleich betonte er, das Gutachten noch nicht gelesen zu haben, weil es noch nicht öffentlich sei. Das wurde geführt, bevor Cicero das Gutachten vollständig am Mittwochabend veröffentlichte. Dennoch müsse nachgewiesen werden, dass „die Partei einen Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung führt“.