Berufsverbot, weil Romanfiguren Rassisten sind: Ehemaliger AfD-Aktivist darf nicht Anwalt werden

vor etwa 7 Stunden

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Bildquelle: NiUS

Während Juristen mit linksradikaler Vergangenheit in Deutschland Spitzenpositionen und Richterämter bekleiden, darf der rechte Anwalts-Anwärter John Hoewer sein Referendariat nicht antreten. Nach Ansicht des Koblenzer Verwaltungsgerichts wird er „aufgrund seiner schriftstellerischen und politischen Tätigkeiten aus der jüngeren Vergangenheit den Mindestanforderungen an seine Verfassungstreuepflicht nicht gerecht“. Doch: Ist es rechtens, jemandem deshalb ein Berufsverbot zu erteilen? Uni-Professor Volker Boehme-Nessler sagt: Nein. Er hält die Entscheidung des Gerichts für ein „Fehlurteil“.

Der Beschluss, mit dem das Gericht den Einspruch von Hoewer gegen sein Berufsverbot zurückweist, klingt zunächst durchaus schockierend: Der 38-Jährige war in der Vergangenheit Vorstand im inzwischen als rechtsextremistisch eingestuften Verein „Ein Prozent“, Mitglied der Jungen Alternative (JA) und hat einen Roman geschrieben, in dem rassistische Bezeichnungen wie „Affenjunge“, „Erdnuss-Louis“, „Schimpanse“ und „Neger“ fallen.

Der Gerichtsbeschluss legt dem 38-Jährigen unter anderem zur Last, er lasse den „Erzähler eine angestrebte ethnische Segregation damit erklären, dass Nudeln und Kartoffeln für sich genommen köstlich seien, man sie aber nicht zusammen in einer Pfanne zubereiten möge.“ Darüber hinaus, heißt es, vertrete Hoewer die These, „Maghrebiner“ seien keine „richtigen Franzosen“. Auch wird ihm zur Last gelegt, er habe behauptet, David Alaba könne wegen seiner Hautfarbe kein Deutscher oder Österreicher sein. Im Beschuss steht außerdem: „Zudem wird ausgeführt, ein ‚Affenjunge‘ oder ‚Schimpanse‘ solle keine deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Insbesondere schwarze Menschen werden durchgehend als ‚Neger‘, ‚Erdnussköpfe […] oder Erdnuss-Louies‘ oder mit Affenvergleichen pauschal herabgewürdigt.“ Eine Romanfigur äußere, dass der Staat dafür sorgen solle, „dass wir nicht zu Fremden im eigenen Land werden“.

„EuropaPowerbrutal“ handelt von einem gescheiterten Alkoholiker.

Das Gericht konstatiert: „Diese Aussagen sprechen für sich. Sie verdeutlichen, dass der Antragsteller ein mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbares Menschenbild vertritt, welches er durch die Verwendung menschenverachtender Bezeichnungen zum Ausdruck bringt.“

Doch: Ist es wirklich zulässig, jemandem wegen eines Prosa-Werks und eines viele Jahre in der Vergangenheit liegenden politischen Engagements ein de facto Berufsverbot zu erteilen? Oder geht es vielmehr darum, eine falsche Gesinnung zu bestrafen – trotz Hoewers völligem Rückzug aus allen politischen Funktionen? Das Gericht argumentiert in seiner Entscheidung für ein faktisches Berufsverbot auf eine Art und Weise, die bislang wohl einzigartig in Deutschland sein dürfte: Einem Autor werden fiktive Aussagen fiktiver Charaktere zur Last gelegt.

Volker Boehme-Neßler, Professor für Öffentliches Recht an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg hat sich den Beschluss angesehen. Der Jura-Profi zu NIUS: „Ich halte das Urteil für ein Fehlurteil. Es ignoriert völlig die Grundrechte und beschädigt die freie Advokatur.“

Der Roman sei Kunst im Sinne der Kunstfreiheit in Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes. „Selbstverständlich darf Kunst auch irritierend, abstoßend, widerwärtig sein. Das Grundgesetz schützt echte Kunst, nicht nur die gemütliche Biedermeieridylle. Die rassistischen Äußerungen des Protagonisten im Roman sind deshalb von der Kunstfreiheit des Grundgesetzes geschützt. Den Roman zu schreiben und zu veröffentlichen, ist von der Verfassung geschützt. Grundgesetzlich geschütztes Verhalten kann man aber dem angehenden Referendar nicht zur Last legen. Abgesehen davon ist es Unsinn, vom Denken und Reden einer Romanfigur auf die Einstellungen des Autors zu schließen. Das ist literarisches Banausentum und verkennt das Wesen eines Romans.“

Volker Boehme-Neßler

Nimmt man „EuropaPowerbrutal“ genauer unter die Lupe, wird klar: Der Roman ist ein hochsatirischer Rundumschlag auf verschiedene gesellschaftliche Gruppen ist und wirft dabei auch einen durchaus kritischen Blick auf das eigene Lager. Der Protagonist des Romans ist ein beruflich gescheiterter Alkoholiker, gefangen zwischen ständigem Kater und der Suche nach Alkohol. Für eine Reportage soll er verschiedene rechtsextreme Gruppen besuchen.

Dass rassistische Bezeichnungen fallen, ist nur konsequent, da Umschreibungen die Lebensrealität dieser Szene nur gefiltert und niemals authentisch darstellen könnten. Sämtliche gesellschaftlichen Gruppen werden dabei stereotyp und mit Argwohn beschrieben: „Almans im Publikum“, die „wie irre im Takt klatschen, als kämen sie gerade aus einem Übungslager der Wehrmacht“; Schwaben, die „geizig“ sind und herumlaufen wie die Kelly Family, mit Nachwuchs, der aussieht wie „turboarische Kinder aus dem Lebensborn“, deutsche Namen trägt statt „wirklich multikulturelle“.

Es wird abschätzig über das „Gemisch an Herrenvolk“ gesprochen; In einer Szene hören „Nazi-Rocker“ den Song „Barbie-Girl“, was als „lächerlich“ bezeichnet wird; Rechtsextremer Aktivismus wird als „Getue“ bezeichnet, die Selbstinszenierung der rechten Szene wird belächelt und als Indiz für eigene Unzulänglichkeiten gewertet. Es wird über „hässliche Weiber aus Lehrerfamilien“ hergezogen. Es wird über „Studentengesindel“ hergezogen, das „angewidert von den fremden Sitten irgendwelcher anderen Völker“, erzählt, „Armutstouristinnen“, die Praktika in fernen Ländern machten, um dort dann in Gated Communitys zu leben.

In einer Szene heißt es: „Eigentlich, so glaube ich jedenfalls, sind diese Praktika so was wie Disneyland. Oder wie dieses alte Pokémonspiel für das Nintendo 64, wo man die Viecher fotografieren konnte, während man in so einer Art Gondel saß. Um sich selbst gut zu fühlen, muss man da unten vor allem eines tun, ganz viele Fotos von Slums und ihren Einwohnern machen. Wie im Zoo. Irgendwie tun mir ja die Afrikaner leid, dass sie sich mit diesen gehirngefickten Studentinnen und ihren NGOs abgeben müssen, obwohl sie vermutlich einfach ihre Ruhe haben wollen. Einfach gemütlich in Plastikstühlen vor der Wellblechhütte abhängen, paar Geschäfte machen, vor der Glotze hocken und Fußball gucken. Stattdessen tauchen da so ein paar hässliche Weiber von ganz weit weg auf, die Rastalocken und Dreadlocks tragen und in solche Hygienefeindlichkeit indizierenden Goa-Hosen und Gewänder gekleidet sind, die sie irgendwo in Wien-Neubau oder in Berlin-Kreuzberg auf einem linken Flohmarkt oder bei Primark gekauft haben. Heimlich natürlich.“

In einer der Szenen, die Hoewer zur Last gelegt werden, geht es um deutsche Arbeitslose in einer Bar: Eine Gruppe gescheiterter Alkoholiker, die auf schwarze Männer trifft, die als Opfer von rassistischen Angriffen beschrieben werden. Einer der Schwarzen wird beispielsweise als erfolgreicher Geschäftsmann mit Anzugfliege und Melone dargestellt, ein anderer verbreitet per Luftgitarre Lebensfreude und Spaß, während die deutschen Alkoholiker als Versager beschrieben werden. Dass einer dieser deutschen Alkoholiker die erfolgreichen Schwarzen als „Neger“ verunglimpft, ist in dieser Szene nur konsequent und dürfte kaum die Anschlussfähigkeit dieser Äußerungen verstärken.

Ausschlaggebend für Hoewers Berufsverbot sind laut Gerichtsbeschluss weder die frühere Mitgliedschaft bei der JA noch die bei „Ein Prozent“. Aus beiden ist Hoewer vor längerem ausgetreten, aus dem Verein bereits bevor dieser als „rechtsextremistisch“ eingestuft wurde.

„Entscheidend ist vielmehr, dass der Antragsteller sich persönlich, wie oben im Einzelnen beschrieben, aktiv gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung betätigt hat“, heißt es im Beschluss.

Dass Hoewer strafrechtlich gesehen eine weiße Weste hat und vorstrafenfrei ist, wertet das Gericht nicht als entlastend: „Der Antragsteller bekämpft die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht erst dann, wenn er öffentlich zu Gewalt aufruft. Vielmehr werden verfassungsfeindliche Ansichten und damit verbundene politische Forderungen oftmals – so auch im Fall des Antragstellers – auf subtilere Art und Weise und im Gewand vermeintlich‚ ‚sachlicher‘ Kritik verbreitet.“

Professor Boehme-Neßler erklärt, einem Bewerber den Zugang zum Referendariat zu verweigern, sei ein Eingriff in sein Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG). Ohne Referendariat und zweites Staatsexamen könne er bestimmte Berufe nicht mehr ergreifen. „Beispielsweise kann er kein Rechtsanwalt mehr werden. Das Gericht ignoriert dieses Grundrecht völlig. Das ist ein schwerer Rechtsfehler.“ Das Gericht verlange von angehenden Rechtsreferendaren dieselbe Verfassungstreue wie von Beamten. „Das ist ebenfalls ein Fehler“, so Boehme-Neßler. Referendare seien keine Beamten auf Lebenszeit, in vielen Fällen aber angehende Rechtsanwälte, und von diesen könne man erst recht nicht dieselbe Verfassungstreue erwarten wie von Beamten.

„Der Rechtsstaat lebt auch von Anwälten, die dem Staat kritisch gegenüber stehen und Bürgerrechte gegen staatliche Eingriffe verteidigen. Das nennt man die freie Advokatur. Der Rechtsstaat will keine staatsfrommen Anwälte. Wenn man nur politisch genehme Bewerber zum Referendariat zulässt, erhält man keine kritischen Anwälte.“

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