
Nach Jahren bitterster Enttäuschung im Ringen um einen rationalen Diskurs in der Energiepolitik muss ich gestehen, dass meinem Optimismus enge Grenzen gesetzt sind, wenn ich die Erfolgsaussichten oppositioneller Initiativen bewerten soll. In Deutschland hat sich auf diesem Feld eine seltsame Routine paternalistisch-devoten Zusammenspiels zwischen Politik, Medien und Bürgern etabliert, deren erstes Opfer der Debattenraum war. Im Sound passiv-aggressiver Apokalyptik wird die Kritik am Green Deal und seiner zerstörerischen Politik ausnahmslos erstickt. Und als Student der Geschichte muss ich konstatieren, dass mir auch kein vergleichbarer Fall bekannt wäre, in dem sich eine Nation bei vollem Bewusstsein in Zeitlupe ins Schwert stürzt und sich ökonomisch entmannt.
Die polit-mediale Klimamaschine mag in den USA durch Präsident Trump in die Defensive geraten sein und möglicherweise den Kampf gegen die Ratio der bürgerlichen Mittelschicht verlieren. In EU-Europa hingegen scheint die Macht des Klima-Kartells und ihrer Profiteure trotz Rezession und Deindustrialisierung ungebrochen. Die Ruhe vor dem Sturm?
Deutschland ist das Land, das energiepolitisch bislang das größte Opfer gebracht hat. Sein Versuch, den Energiesektor mit der Brechstange in ein grünes Walhalla erneuerbarer Energien unter Ausschluss der Kernkraft zu verwandeln, mag in den grünen Biotopen staatsnah-parasitärer Existenz wie Berlin-Prenzlauer Berg oder Köln-Ehrenfeld als zivilisatorischer Fortschritt ausgelegt werden. In der realen Welt, in der Leistungsträger aller Berufsgruppen, Familien und Betriebe auf bezahlbare Energie und individuelle Mobilität angewiesen sind, ist die Klima-Arie längst verklungen. Hier herrscht Katerstimmung bei klammen Kassen. Und es gärt gewaltig in der Bevölkerung.
Der Moment, die Schockstarre der Rezession und Selbstzerstörung zu überwinden und in kreative Energie zu übersetzen, gewinnt an Kontur, der Klima-Elite fehlen die Argumente, wenn Hunderttausende ihre Jobs verlieren. Dass nun eine Gruppe von Betriebsräten aus der Industrie Bundeskanzler Friedrich Merz zu einer Korrektur des klimapolitischen Amoklaufs auffordert, passt in die Dramaturgie des Geschehens: Deutschlands Industrie wird in den Mühlen der Klimabürokratie zerrieben, Hunderttausende Jobs wurden seit den Lockdowns abgebaut – es ist schlichtweg unmöglich, energieintensive Produktion in Deutschland aufrechtzuerhalten, wenn Wettbewerber wie die USA bis zu 75 Prozent weniger für ihren Strom bezahlen.
Interessant wird es, wenn wir auf die Gruppe der Partizipanten des offenen Briefs an Merz blicken: Es handelt sich um die Betriebsratsvorsitzenden von LEAG, ArcelorMittal Eisenhüttenstadt, BASF Schwarzheide sowie den Gesamtbetriebsrat der Lausitz Energie Kraftwerke AG und die Landesbezirksleiterin der IGBCE Nordost. Allesamt schrieben sie zuletzt negative Schlagzeilen als gescheiterte Teilhaber an der grünen Transformation. ArcelorMittal zog sich trotz angebotener Milliardensubvention vom grünen Stahl zurück, BASF streicht aus Kostengründen 700 Stellen am Stammsitz Ludwigshafen. Der grüne Umbau der Wirtschaft liest sich dieser Tage wie das Register eines Industriegräberfelds – es vergeht kaum mehr ein Tag, an dem nicht einer der Subventionsbetriebe die Liste des Scheiterns verlängerte.
Dass nun einige Betriebsräte das Kartell des Schweigens brechen, ist die eigentliche Botschaft. Es gehört Mut dazu, sich neben das etablierten Klimanarrativ zu stellen und aus dem Schatten zu treten. Chapeau!
Dies zumal, da Betriebsräte für gewöhnlich als sozialpartnerschaftlich eingebunden gelten und ihre Kritik in der Regel intern, über Gewerkschaften oder Kommissionen, artikulieren. Ein offener Brief ist im Kontext der Klimapolitik ein Affront gegenüber der bisherigen Konsenspolitik. Er zielt ganz direkt auf die Herzkammer des Euro-Sozialismus, den Green Deal, der in seinen administrativen und medialen Verästelungen wie ein metastasierender Krebs den europäischen Gesellschaftskörper paralysiert hat.
Die Tonlage der Botschaft an den Kanzler ist unmissverständlich: Es ist von der „größten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg“ die Rede. Beklagt wird der ersatzlose Verlust von über 100.000 Arbeitsplätzen in der Industrie. Alles korrekt, nur bezieht sich diese Zahl wohl ausschließlich auf die Jobs, die im laufenden Jahr bereits gestrichen wurden und perspektivisch wegfallen werden. In Wahrheit hat die deutsche Industrie seit den Lockdowns bereits über 300.000 Jobs abgebaut, wie Ernst & Young berichtete.
Weiter heißt es im Brief: Die Energiewende sei „eine misslungene Operation am offenen Herzen“. Trotz 35 Jahren Förderung von Wind und Solar habe sich deren Beitrag zur Versorgungssicherheit nicht verbessert – stattdessen seien Netzkosten im dreistelligen Milliardenbereich entstanden. Die hohen Strompreise seien nicht nur sozial ungerecht, sondern auch ein massives Risiko für Industrie, Wohlstand und sozialen Frieden. Die Betriebsräte fordern einen Industriestrompreis von 5 ct/kWh und die Befreiung der Industrie von Zusatzkosten.
In diesem Kontext hat die EU-Kommission im Juni einen staatlich subventionierten Industriestrompreis durchgewunken, der es ausgewählten energieintensiven Unternehmen ermöglicht, bis zu 50 Prozent Nachlass auf den Großhandelsstrompreis zu nutzen – allerdings nur für die Hälfte ihres Jahresverbrauchs und unter der Bedingung, dass in „grüne Technologien“ investiert wird.
Damit wird erneut ein ordnungspolitisch fragwürdiger Präzedenzfall geschaffen: Statt auf echte Marktmechanismen und technologischen Wettbewerb zu setzen, greift der Staat tief in die Preisbildung ein und verteilt Subventionen nach politisch definierten Kriterien. Sie können und wollen nicht von ihrem fatalen Kurs der Zentralsteuerung ablassen!
Dass die Betriebsräte kein Blatt vor den Mund nehmen und die grüne Agenda nach Strich und Faden zerlegen, ist ein Zeichen, dass sich Teile der deutschen Gesellschaft noch immer zu einer gesunden Immunabwehr durchringen können, wenn die Existenz auf dem Spiel steht. Die deutsche Klimapolitik überfordere Wirtschaft und Gesellschaft, heißt es weiter. Die Betriebsräte verlangen ein Ende nationaler und europäischer Vorleistungen ohne weltweite Klimaschutzverpflichtungen – sowie fairen Handelsschutz und realistische Technologiepolitik, z. B. bei Wasserstoff und Carbon-Capture.
Und genau das ist der springende Punkt. Auf einem integrierten Weltmarkt kann es keine nationalen Alleingänge geben, ohne größte Schäden zu riskieren, was die deutsche Politik in den letzten Jahrzehnten billigend in Kauf genommen hat. Der Protest der Betriebsräte richtet sich damit zwar offensichtlich gegen Berlin, aber er zielt eindeutig auf die Brüsseler Klimaagenda. Sie überlagert und durchdringt alles.
Es war die Hoffnung der EU-Europäer, die Energieknappheit des Kontinents dadurch zu überwinden, dass man die Welt in das Klimakorsett Brüssels zwingt, um den energiestrategischen Nachteil durch eine globale Ökonomie, die auf ihren Wettbewerbsvorteil der Nutzung fossiler Energieträger setzt, zu eliminieren. 60 Prozent des Energiebedarfs werden in der Europäischen Union durch Energieimporte gedeckt. Das macht den Zentralkörper in Brüssel angreifbar. Um nichts scheut man dort mehr als Verhandlungen mit Handelspartnern auf Augenhöhe.
Der Protestruf der Betriebsräte trägt den Charakter einer Graswurzelbewegung, da er von denen kommt, die die politischen Schäden des grünen Vandalismus Tag für Tag erleben und der ihre Existenz zunehmend in einen Abwehrkampf gegen das Funktionärswesen verwandelt hat. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Initiative zunächst in den Kreisen der Betriebsräte und der Gewerkschaften zirkulieren wird, dass der gemeinsame Zorn auf ideologische Zerstörung der Existenzen Hunderttausender in einen gemeinsamen Fluss münden wird. Sollte dies gelingen, wird es dem polit-medialen Betrieb schwerfallen, diese Botschaft zu unterdrücken, zu ignorieren oder zu ridikülisieren, wie es in der Vergangenheit stets geschah.
Es ist nicht auszuschließen, dass wir an einem politischen Wendepunkt angelangt sind, an dem der interne Druck auf die zentrale Machtmaschine in Brüssel die EU-Kommission von Ursula von der Leyen zu Kurskorrekturen zwingen wird.
Dass die Kritik nicht von den fußlahmen Wirtschaftsverbänden oder aus dem staatlich subventionierten Kulturbetrieb oder gar von Parteien des grünen Kartells stammt, sondern von den Betroffenen, lädt die Kritik mit einer Energie auf, wie wir sie im Kampf um eine rationale Klimapolitik noch nicht erlebt haben. Sollte es gelingen, die Botschaft dieses offenen Briefes öffentlich zirkulieren zu lassen (die Medien werden ihn zunächst weitgehend ignorieren), kann sich aus dem von Brüssel und der Klima-Lobby gesäten Wind ein Sturm entwickeln, den weder der grüne Fritz, noch seine Mitstreiter in Brüssel und den EU-Hauptstädten einfangen können. Bleiben wir also optimistisch.