
Eigentlich, so sollte man meinen, ist das der Stoff, aus dem die Träume sind – die Träume der Empörten und Wütenden: Ein Wochenende, an dem sich überall in der Bundesrepublik Gewalt Bahn bricht und die Verwerfungen der Migrationspolitik sichtbar werden, müsste Anlass genug sein, sich zu entrüsten, zu erzürnen, zu erbosen. Die Politik anzuklagen. Doch stattdessen breitet sich Gleichgültigkeit aus, wir stumpfen ab. Obwohl Wut und Empörung die natürliche Reaktion auf Bielefeld wären, empfindet man zunehmend nur noch Resignation.Wenn man rekapitulieren wollte, was an rund um dieses Wochenende geschah, wüsste man kaum, wo man beginnen soll. Man könnte am Donnerstag starten, als bei einer israelfeindlichen Demonstration in Berlin ein Polizist schwer verletzt wurde und notärztlich versorgt werden musste. Einen Tag später, am Freitagabend, wurde ein anderer Beamter vor dem Abschnitt 55 in Berlin in den Hals gestochen und schwebte kurzzeitig in Lebensgefahr. Am Samstag wurde in Göppingen scharf geschossen, Ermittler vermuten einen Zusammenhang mit dem Bandenkrieg, der seit Jahren die schwäbische Idylle erschüttert. Am Sonntagabend attackierte ein Kosovare in Halle mehrere Jugendliche mit einem Messer, weil sie zu laut waren. Abgerundet wurde das Wochenende durch großstädtische „Einzelfälle“: In Hamburg-Reinbek soll ein Afghane ein 13-jähriges Kind angegriffen haben, während es in Berlin am Gesundbrunnen zu einer Schießerei kam. In Plauen wiederum ging ein Mann mit psychischen Problemen mit einem Messer auf Polizeibeamte los. Und dann die toten Frauen: Ein 16-Jähriger im Kreis Bautzen steht im Verdacht, eine 21-Jährige getötet zu haben, die tot im Wald aufgefunden wurde. Auf Fehmarn wurde ebenfalls eine Frauenleiche entdeckt. Am Sonntag wurde ein Mann vor dem Amtsgericht Krefeld niedergestochen. Stich, Stich, Stich. Und vermutlich fehlen in dieser Aufzählung noch viele Fälle, die unter dem Radar liefen, ernsthaft.
Und dann wäre da noch Bielefeld. In den Morgenstunden des Sonntags griff ein Syrer im „Cutie“-Club der Stadt, die es nicht gibt, fünf Personen mit mehreren Stichwaffen an; ein Rucksack mit brennbarer Flüssigkeit deutet auf ebenso auf einen geplanten Anschlag hin wie die Tatsache, dass der Syrer gerne auf TikTok über „Abschlachten“ sinniert haben soll, wie Ermittler später herausgefunden haben.
Die Spurensicherung in Göppingen, nachdem ein Mann dort auf eine Menschengruppe geschossen hat.
Angesichts dieser Vorfälle wäre Wut die einzig angemessene Gefühlsregung. Wut darüber, dass in nicht allen, aber sehr vielen Fällen eingewanderte Gewalt unschuldige Mitmenschen zu Opfern von Messerattacken macht – verübt von Menschen, die dieses Land als Schutzsuchende aufgenommen hat, denen man Chancen eröffnete und einen Vertrauensvorschuss gewährte. Wut über Zustände, durch die sich dieses Land aufgrund einer verfehlten Migrationspolitik verändert hat und plötzlich Phänomene kennt, die es in Ländern wie Polen nicht gibt. Wut über zerstörte Frauenleben.
Man spürt aber zunehmend keine Wut mehr, vielleicht noch Fassungslosigkeit, bisweilen. Anders gesagt: Man hat sich an Zustände gewöhnt, an die man sich niemals gewöhnen sollte. Islamistische Anschläge – ungeachtet der Verschwörungstheorien von Politikern und Journalisten „der Mitte“, die darin Einflussnahme auf Wahlen wähnen – kommen inzwischen in einem gewissen Takt immer wieder, ebenso schwere Gewalt mit der Tatwaffe Messer, die nicht nur, aber sehr oft von Ausländern begangen wird. Sie sind Teil unseres Alltags geworden. Mal vergehen vier Wochen, mal zweieinhalb Monate, doch es sind inzwischen kalkulierbare Vorfälle, die alle paar Wochen die Tagesordnung bestimmen. Es folgt eine Migrationsdebatte, Blumen und Kerzen an Tatorten. Auf Mannheim folgte Solingen, auf Solingen Magdeburg, dann Aschaffenburg, München, Bielefeld – und dazwischen die unzähligen kleineren Vorfälle, die nur noch Nebenklänge eines verrohten Grundrauschens sind.
Das mit dem Grundrauschen ist übrigens keine schräge Metapher: Erinnert sich noch jemand an den Fall des Syrers Aram A., der 2021 einen Juden in Hamburg zusammenschlug, sodass dieser sein Augenlicht verlor? 2023 wurde er angeklagt, aber wegen eines anderen Delikts: Er stand im Verdacht während des laufenden Verfahrens (!) ein junges Mädchen vergewaltigt zu haben. Heute kennt kaum noch jemand diesen Fall. Aram A. wurde zu den Akten gelegt, man ging zur Tagesordnung über, irgendwas mit AfD, einfach weiter, immer weiter.Und die Muster wiederholen sich: In Bielefeld war wieder ein Syrer, wie schon etwa in Solingen. Mal wieder hatte er am 1. Januar Geburtstag, wieder trug er einen fremden Namen, der vermutlich nicht sein echter ist, wieder teilte er Stiche aus, wieder traf es Unschuldige. Es wird sich vermutlich herausstellen, dass er Vorstrafen hatte. Als Beobachter kann man zudem bereits vorausschauen, was auf so einen Anschlag folgen wird: Irgendwer wird herausfinden, dass Bielefeld bei der Bundestagswahl links, grün und zentristisch gewählt hat, und schreiben: „Geliefert wie bestellt.“ Ein Sicherheitspolitiker wird absurde Forderungen wie Messerverbotszonen stellen. Der Bürgermeister wird sein Beileid ausdrücken und vor der Instrumentalisierung durch Rechte warnen. Selbst nach dem übelsten Gemetzel in den Morgenstunden durch einen Syrer bleibt der „Kampf gegen Rechts“ eine Konstante, auf die man sich verlassen kann. Diesmal blieben politische Stellungnahmen jedoch aus, die neue Bundesregierung verlor kein Wort zum Vorfall, Hendrik Wüst feierte im Stadion Fußball, und die Medien berichteten auffallend zurückhaltend und „Tagesschau“-Zuschauer erfuhren gar nichts von dem Vorfall. Auf die grassierende Gewalt folgen inzwischen einübte Rituale, doch auch diese bleiben inzwischen aus. Dass ein Syrer auf Clubbesucher einsticht ist, so hart es klingt, kaum eine Neuigkeit mehr.Die Gewaltvorfälle des Wochenendes werden flankiert von allerlei irrsinnigen Zeitgeist-Blüten: Am Samstag feierte die politische Klasse den IDAHOBIT-Tag, der auf Gewalt gegen queere Menschen aufmerksam machen soll, was dazu führte, dass die Progressive-Pride-Flagge vor der Deutschen Botschaft in London oder dem EU-Parlament wehte. Am selben Tag, also einen Tag nach den Messerangriffen auf deutsche Polizisten an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, twitterte die Bremer Polizei, dass sie einen Raum für queersensible Anzeigen geschaffen habe. Negative Schlagzeilen gab es für die LGBTQ-Community dennoch: In Gelsenkirchen musste der Christopher Street Day, auch „Pride“ genannt, abgesagt werden. Man munkelt, es lag nicht an der Identitären Bewegung oder Rechtspopulisten.
Diese Parallelität von absurden Auswüchsen ach-so-progressiver Politik und schwerer Gewalt im Alltag treibt die Menschen in eine emotionale Gleichgültigkeit. Man wacht jeden Tag ungläubig auf, nur um festzustellen, dass alles seinen gewohnten Gang geht. Das Kommunikationskonzept der politmedialen Öffentlichkeit zermürbt die Bürger, fördert Politikverdrossenheit und Resignation – auch weil sie diese Realität längst akzeptiert hat, die sich niemand ausgesucht hat.
Am Montag meldete sich der Club „Cutie“ mit einem Statement und zeigte sich schockiert über jene, „die den Vorfall nutzen, um ihre geistlose Intoleranz zu feiern“. Am Abend der nächste Vorfall: Ein Mann wird vor dem Amtsgericht Kerpen niedergestochen. Stich, Stich, Stich. Die Konstanten bleiben die gleichen. Man hat sich an sie gewöhnt. Sie sind zu ersetzbaren Meldungen geworden, die sich mitunter nur durch die Stadt und den Namen des Täters unterscheiden. Wir sind, so scheint es, in einer Endlosschleife gefangen. Herzlich willkommen in der neuen deutschen Apathie.
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