Birgit Kelle: „Das ist für mich keine Aufarbeitung“

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Bildquelle: Tichys Einblick

Schul- und Kita-Schließungen während der Pandemie verstärkten häusliche Gewalt, Internetsucht und ließen die Selbstmordrate bei Kindern um 400 Prozent steigen. Das soeben erschienene Buch „Die Corona Generation“ von Birgit Kelle und Eva Demmerle zieht eine schonungslose Bilanz und appelliert an Politik und Gesellschaft, endlich Verantwortung zu übernehmen.

Stefan Fuchs: Sie nennen Ihr neues, zusammen mit Eva Demmerle verfasstes Buch eine „Anklage im Namen der Kinder“. Wen klagen Sie an und was ist Ihr Vorwurf?

Birgit Kelle: Manchen erscheint der Begriff Anklage zu hart, aber es ist eine, weil man die Vorwürfe an die Verantwortlichen in Politik, Wissenschaft und Medien erstmal in den Diskurs einbringen muss. Bisher haben wir nicht einmal eine Bestandsaufnahme der Schäden an der jungen Generation, es gibt keinen Anwalt der Kinder. Es gibt niemanden, der die Interessen der Kinder vertritt. Deswegen klagt dieses Buch an, dass sich niemand verantwortlich fühlt oder zur Rechenschaft gezogen wird.

Was wäre an Aufarbeitung erforderlich?

Ein Untersuchungsausschuss im Deutschen Bundestag wäre das Mindeste, um das politische Handeln, die Schulschließungen, die Maskenpflicht, den Impfdruck oder das Verweigern von Freiheitsrechten auch schon für Kinder auf seine Sinnhaftigkeit, aber auch auf seine Gesetzmäßigkeit hin zu überprüfen. Der Bundestag hat sich jetzt in eine zahnlose Enquete-Kommission hineingerettet, die keine Rechtsfolgen hat. Das ist für mich keine Aufarbeitung.

Ein zentrales Thema Ihres Buches sind die Schulschließungen. Wie haben Sie die Folgen dieser Schließungen erlebt?

In dieser Zeit hatte ich drei Kinder in der Schule, ein Kind an der Universität. Insofern vier Altersklassen, sodass ich als Mutter gesehen habe, was das im Leben von Kindern und Jugendlichen bedeutet. Wir hatten persönlich noch Glück: Es waren vier Kinder unter einem Dach, also Spielkameraden vorhanden. Die Einzelkinder im Land hatten es deutlich schwerer. Eine wichtige Rolle spielten auch Raumkapazitäten im Haus und der Zugang zu Technik und Geräten für den Online-Unterricht. Ob Eltern die Kinder zu Hause beim Lernen unterstützen konnten und wollten. Da waren wir in einer relativ privilegierten Situation.

In Ihrer Beweisaufnahme ist vieles unstrittig, vor allem im Blick auf den Bildungsausfall. Hinsichtlich der Bewegungsarmut stellt sich aber die Frage der Eigenverantwortung. Es gab in Deutschland nie eine generelle Ausgangssperre. Es stand jedem frei, spazieren zu gehen, zu joggen oder zu radeln. War es zwangsläufig, dass die Kinder dicker wurden?

Doch, das war zwangsläufig so. Selbst die banale Alltagsbewegung fiel weg. Der Staat rief in großen „Stay-at-home“-Kampagnen dazu auf, zu Hause zu bleiben. Selbst die Sportverbände und Prominente unterstützten das. Man sperrte Spielplätze, Sportplätze und Treffpunkte im Freien. Man hat die Kinder systematisch in einen Bewegungsmangel hineingetrieben, den niemand aufgefangen hat. Nicht einmal die Sportlehrer haben ihre Aufgabe erfüllt. Ich hätte erwartet, dass man die Kinder zu Sport animiert und dazu, rauszugehen. Ein Sechs- oder Siebenjähriger, der muss nach draußen, der muss rennen, muss klettern und so weiter. Wenn er keine Spielkameraden hat, mit denen er das macht, bleibt er zu Hause. Die Quittung sehen wir an dem Anstieg von Fettleibigkeit, vor allem bei Jungen. Die Mädchen sind eher magersüchtig geworden durch ihr Abdriften ins Internet.

Die Sportlehrer haben Sie gerade angesprochen. Wie beurteilen Sie die Rolle der Lehrer allgemein?

Es gab Lehrer, die sich sehr engagiert haben. Ohne solche Lehrer wäre Online-Unterricht für viele Schüler technisch gar nicht möglich gewesen. Aber viele Lehrer haben Aufgaben verteilt, die nur notdürftig korrigiert wurden. Das ist kein Unterricht. Hinzu kommen zwei lange Schulschließungsphasen – einmal von 106 und einmal von 176 Tagen –, nicht eingerechnet, wieviel Unterricht zusätzlich ausfiel durch ständige Quarantänen. In der Breite bewerten wir die Rolle der Lehrer sehr kritisch. Lehrerverbände haben sich dafür eingesetzt, die Schulen geschlossen zu halten.

Das Narrativ von den Kindern als Virenschleudern hat bei den Lehrern durchgeschlagen, obwohl es nicht den Fakten entsprach. Viele Lehrer haben sich in dieser Zeit pädagogisch keinen Preis verdient, man kann mancherorts von „schwarzer Pädagogik“ sprechen. In der Zeit der Impfkampagne haben viele Lehrer die ungeimpften Kinder ausgegrenzt und gedemütigt. Das ist ein Totalversagen vieler Pädagogen, das eine eigene Aufarbeitung bräuchte.

Die Angst vor Kindern als „Virenschleudern“ spielte eine zentrale Rolle für die Schulschließungen. Das war, nach Ihren Recherchen, unbegründet, weil Kinder keine Pandemietreiber waren. Wann lagen diese Erkenntnisse vor?

Selbst das Robert-Koch-Institut vermerkt diese Erkenntnis in seinen Protokollen. Trotzdem wurde politisch weiter behauptet, dass Kinder und Schulen Pandemietreiber seien. Die Politik wusste, dass das nicht stimmte, man wollte aber geschlossene Kindergärten, Schulen und Universitäten.

Warum entschied sich die Politik für Kita- und Schulschließungen? Welche Rolle spielte dabei die eigene Kinderlosigkeit maßgeblicher Entscheider?

Ich glaube, dass wir eine Weltfremdheit bei großen Teilen des politischen Personals beobachten konnten. Dass die Lebensrealität von Familien mit Kindern in der Politik nur aus einer Zooperspektive betrachtet wurde, frei nach dem Motto: Mal gucken, wie Kinder so leben. Ich erinnere mich noch an ein Bonmot von Merkel, als es um die Frage ging, dass Kinder in den Wintermonaten bei geöffnetem Fenster in den Klassenzimmern saßen und sie empfahl, man solle zwischendurch Kniebeugen machen und in die Hände klatschen. Ich weiß nicht, ob jemand im Bundeskanzleramt bei Temperaturen von 10 bis 15 Grad sitzen musste, dort wäre der Arbeitsschutz eingeschritten. So redet man nur theoretisch-abstrakt über die Kinder von Fremden, aber nicht über reale Menschen, denen man zu Hause erklären muss, warum ihr Alltag jetzt so furchtbar ist.

Psychische Erkrankungen junger Menschen haben stark zugenommen. Sie verweisen da auf Jonathan Haidts Analyse zur „Generation Angst“, in der es um die Folgen des Smartphones geht. Sie schreiben: „Es ist, als habe man einen Brandbeschleuniger in ein sowie bereits bestehendes Problem gegossen“. Was hat dieser Brand mit Corona zu tun?

„Corona“ traf auf eine Generation, die bereits zu viel am Smartphone und in einer digitalen Welt lebte, die Kinder überfordert. Wir finanzierten schon Aufklärungskampagnen für Eltern, um die Bildschirmzeit ihrer Kinder zu reduzieren. Plötzlich sollten sie aber jetzt sogar ständig für die Schule online sein, war das Handy für die Kinder das einzige Tor zur Welt. Nur so konnten sie noch mit ihren Freunden kommunizieren. Selbst wenn man das als Eltern kontrollieren wollte, war das kaum möglich. Lockdowns, Schulschließungen und die Umstellung auf Onlineunterricht wirkten wie ein Brandbeschleuniger, man hat diese Generation ins Internet hineingestoßen. Die klinisch dokumentierten Fälle von Internetsucht sind um 25 Prozent gestiegen und das ist nur die Spitze des Eisbergs, die in den Statistiken auftaucht. Viele Kinder haben Sozialphobien entwickelt, haben Schwierigkeiten, von Angesicht zu Angesicht mit anderen Menschen zu kommunizieren und Freunde zu finden.

Welche Forderungen an die Politik folgen aus Ihrer Analyse?

Es müssen Menschen Verantwortung übernehmen und ihre Stühle räumen. Ein ganzes Schuljahr ging verloren, die Zahl der misshandelten und sogar getöteten Kinder hinter verschlossenen Türen stieg um 35 Prozent, die Rate der Selbstmordversuche bei Kindern explodierte um 400 Prozent. Für diese gibt es kaum Therapeuten, stattdessen stieg die Zahl der Behandlungen mit Psychopharmaka um 65 Prozent. Wir haben eine steigende Zahl von Kindern, die Schäden von einer Impfung davongetragen haben, die man ihnen für den Fremdschutz Erwachsener aufgedrängt hatte.

Aufarbeitung müsste auch bedeuten, dass man endlich etwas gegen die Schäden tut, die Kindern zugefügt wurden. Wo sind die Gesundheitsprogramme, wo sind die Therapeuten für Kinder, wo die Sonderprogramme, um den Bildungsausfall wieder in den Griff zu bekommen? Alle Verantwortlichen schweigen dazu.

Dieses Interview von Dr. Stefan Fuchs erschien zuerst in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur. Wir danken Autor und Verlag für die freundliche Genehmigung zur Übernahme.

Birgit Kelle / Eva Demmerle, Die Corona Generation. Wie unsere Kinder um ihre Zukunft gebracht wurden. Mit einem Vorwort von Kristina Schröder, Bundesministerin a. D. Deutscher Wirtschaftsbuch Verlag, Klappenbroschur, 272 Seiten, 20,00 €.

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