
Sollten Berufspolitiker die Regel sein? Die Beantwortung dieser Frage ist für eine Demokratie zentral. Es ist an der Zeit, sie grundlegend zu beantworten. Und aus welchen Berufen sollten Politiker stammen, bevor sie als Abgeordnete das deutsche Volk vertreten? Und wie lange sollten sie ihr Mandat ausüben?
Wer vorgibt, sich um den Zustand der Demokratie Sorgen zu machen, darf sich um diese zentralen Fragen nicht herummogeln. Ich meine: Eine lebendige, eine erwachsene Demokratie braucht keine Berufspolitiker. Sie braucht aber eine Begrenzung der Mandatszeit. Niemand sollte sein Leben lang Politiker sein. Nur unabhängige Politiker treffen freie Entscheidungen.
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Die Zusammensetzung des Bundestags ist nicht repräsentativ für die Bevölkerung. Das ist weder überraschend noch schlimm. Jeder Abgeordnete repräsentiert das ganze Volk. So legt es das Grundgesetz fest. Wendet man diese Vorgabe auf den aktuellen Bundestag an, heißt das: Jene 28 Prozent der Parlamentarier, die dem Öffentlichen Dienst entstammen, müssen auch für den Mechaniker, den Bauern und den mittelständischen Unternehmer sprechen. Tun sie es?
Auch die abermals gestiegene Anzahl der Rechtsanwälte – 123 von 630 Abgeordnete gingen diesem Beruf nach – bringt die Demokratie noch nicht in Schieflage. Das gilt ebenso von der Überrepräsentanz der Politikwissenschaftler.
Und doch sind diese Häufungen bemerkenswert. Im Öffentlichen Dienst arbeiten Staatsbedienstete, die den freien Markt nur aus zweiter Hand kennen. Politologen sind meist links gestrickt, und Anwälte Experten für bezahlte Rechtsberatung. Die berühmte Mitte des Volkes findet man da nicht.
Eine Quote wäre keine Lösung – und mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Jeder Staatsbürger darf wählen, jeder Staatsbürger darf gewählt werden. Es tut aber der Politik nicht gut, wenn Politik zum Beruf wird. Eine solche Karriere festigt lebenslange Abhängigkeiten. Das imperative Mandat gibt es, weil die jeweilige Partei Druck ausüben kann. Wer ausschert, wird mit Liebesentzug bestraft – und das heißt: Er wird nicht mehr aufgestellt.
Das neue Wahlrecht hat mit der Aufwertung des Listenplatzes die Macht der Parteien weiter gestärkt. Und je früher ein Mensch in diese Abhängigkeiten gerät, desto leichter gewöhnt er sich daran. Senioren, die noch über 70 nicht loslassen können und sich für unersetzlich halten, sind der traurige Endpunkt einer Existenz als Berufspolitiker.
Wer in den Bundestag einzieht, sollte über Berufserfahrung verfügen. Die Parteien sollten darauf drängen. Nur wer das Leben außerhalb der politischen Blase kennt und sich dort zu behaupten weiß, hat den nötigen Kontakt zur Wirklichkeit. Und die nötige innere Freiheit. Er weiß ja: Ein Abschied aus der Politik wäre keine Katastrophe für ihn – und kein Druckmittel in den Händen der Partei.
In allen Parteien gibt es Menschen, die direkt aus der Jugendorganisation in den Bundestag plumpsen. Menschen ohne Studienabschlüsse, ohne Berufsausbildung. Das ist keine Schande, qualifiziert aber nicht zum Volksvertreter. Laut aktuellem Kürschner-Report machen 52 Bundestagsabgeordnete keine Angaben zu ihrem beruflichen Hintergrund. Das sind 52 Lücken zu viel.
Der Soziologe Max Weber hielt große Stücke vom Berufspolitiker. Sein Text über „Politik als Beruf“ ist legendär. Weber lobte den Professionalisierungsschub durch Berufspolitiker. Mich überzeugt das Argument nicht: Wer ein Leben lang in der Politik und von der Politik leben kann, wird abhängig von ihr.
Parteien sollten nur Menschen mit Berufserfahrung in den Bundestag senden. Und der Gesetzgeber muss die Mandatszeit begrenzen. Es reicht, wenn jemand sich in zwei Legislaturperioden engagiert. Acht Jahre als Abgeordneter sind eine lange, eine hinreichende Zeit. Auch ein Bundeskanzler sollte sich nur einmal zur Wiederwahl stellen dürfen. Es ist die Abwechslung, die alles frisch erhält – erst recht die Demokratie!
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