
Der Film „Black Bag“ ist bislang der beste Film des Jahres – er gibt dem Beruf des Spions, die Würdigung, die er verdient.
Auf Steven Soderbergh, das ehemalige Wunderkind, dessen „Sex, Lügen und Video“ 1989 in Sundance gewann und ganze Scharen von pubertierenden Jünglingen enttäuschte (es gab Lügen und Video, aber wenig Sex) ist Verlass. Weil jeder zweite Spielfilm aus der Hand des Meisters sich verlässlich als überkünstelter Schrott entpuppt. Dem entgegen stehen aber zeitlose Klassiker wie „Ocean’s Eleven“, „Erin Brockovich“, „Traffic“ und „Magic Mike“ – brillante Filme für alle diejenigen, die gutes Kino lieben.
Wir haben nun das Glück, uns in einem ungeraden Jahr zu befinden, in dem Soderbergh zur absoluten Höchstform zurückkehrt. „Black Bag“ ist ein Spionagethriller mit einer für den Regisseur ungewöhnlich kurzen Spielzeit von 93 Minuten, aber dafür prall gefüllt mit knackigen Dialogen – gesprochen von hervorragenden Darstellern –, spannenden Szenen, bei denen sich die Action im Kopf abspielt und der Atmosphäre eines wirklich guten Romans, der der Feder des Meisters dieser Kunstform, John le Carré, entstammen könnte.
Worum geht es? George Woodhouse (Michael Fassbender) und Kathryn St. Jean (Kate Blanchett) sind glücklich verheiratet und arbeiten beide für den britischen Geheimdienst, wenn auch in verschiedenen Abteilungen. Dummerweise gibt es ein Datenleck, also einen Verräter im eigenen Haus – und der pedantische George, der mehr als einmal als menschlicher Lügendetektor bezeichnet wird, soll den „Feind im Inneren“ aufspüren. Und ja, seine Frau, die immer gern von viel Geld träumt und redet, ist ganz oben auf der Liste der Verdächtigen.
Nun beginnt ein hochkomplexes Katz-und-Maus-Spiel, in etwa wie „Mr. & Mrs. Smith“, nur auf einer durchaus intellektuelleren Ebene. Und dies in einem London, das wohl wenig mit unserem Bild dieser Weltmetropole gemeinsam hat. Schicke Wolkenkratzer, die selbst bei Donald Trump Penisneid hervorrufen dürften, Wohnungen, die sich kein Normalsterblicher leisten kann und dazu noch ein Ferienheim auf dem Land, wo man auch mal die eine oder andere Leiche entsorgen kann.
Menschen, die sich sowohl privat und von der Arbeit kennen, aber denen man aufgrund der prekären Ausgangssituation nicht weiter traut, als man sie werfen könnte. Paranoia als Lebensmodell; Liebe (wenn auch per definitionem nie rational) als die temporäre Heilung von selbigem.
Michael Fassbender spielt George Woodhouse in „Black Bag“ von Regisseur Steven Soderbergh.
Die Antwort ist einfach: weil er ihr nicht entstammt. Soderbergh hat hier ein Drehbuch von David Koepp („Jurassic Park“, aber den können wir ihn verzeihen) mit einer schon fast chirurgischen Präzision inszeniert. Ein Steakmesser wird später noch eine prominente Rolle spielen, aber das sollte man nicht weiter spoilern. Das kommunale Luftanhalten im Kino ist Belohnung genug für den großartigen Moment in einem Film, der mit Gewalt (für heutige Verhältnisse) spart, fast knausert, und in dem Action bedeutet, dass jemand das Tempolimit leicht überschreitet.
Ja, dies alles soll als Lob gelten. Weil es um eine Art von Kino geht, die Hitchcock entwickelte und andere nach ihm perfektionierten. Ein Film, wie ein alter Fernsehsessel, den die Ehefrau schon längst zum Sperrmüll geben wollte, der sich aber immer noch zu gemütlich anfühlt, um dies zuzulassen. Und auf dessen Kante man sitzt, weil das auf der Leinwand einen derart in seinen Bann zieht.
Tom Burke als Freddie Smalls und Michael Fassbender als George Woodhouse (von links nach rechts)
Spionage (und Spione) sind heutzutage der Trivialität preisgegeben. Unser eigener Inlandgeheimdienst erstellt „geheime Berichte“ auf der Grundlage von Facebook, X und wahrscheinlich auch bald TikTok – spätestens dann, wenn man bei der AfD lernt, den eigenen Vornamen zu tanzen. Und wer geheime Kriegspläne haben möchte, muss in den USA einfach nur versehentlich zum Gruppenchat eingeladen werden.
Und hier kommen wir auf John le Carré zurück, der wie Bond-Regisseur Guy Hamilton und Bond-Autor Ian Fleming, sehr genau wusste, wovon er schrieb. Geheimagenten – und Geheimdienste generell – waren dort immer von einer gewissen Romantik umgeben, die uns heutzutage abhandengekommen scheint. Ihren Job scheinen interessanterweise nun Journalisten auszuführen.
Cate Blanchett spielt Kathryn St. Jean.
Und genau diese Stimmung, gekoppelt mit der Atmosphäre des chromglänzenden Londons, kolportiert „Black Bag“ – dessen Titel übrigens die Abkürzung für das ist, was sich die Ehepartner nicht erzählen dürfen.
Er ist klassisch romantisch, hinterhältig und clever. Hier wird, endlich einmal, die Spionage auf genau den Level erhoben, auf den sie gehört. Eine anstrengende, oft noble, aber immer sehr einsame Profession. Es ist zwar erst Mai, aber der beste Film der vergangenen Jahrestage ist endlich da!