
Die grausamen Mordtaten von Aschaffenburg bringen die politischen Verhältnisse in Deutschland ins Wanken. Angespannt warten sowohl Bevölkerung als auch die politisch-mediale Blase auf die kommende Sitzungswoche im Bundestag, wobei niemand weiß, auf was genau er oder sie da jetzt eigentlich wartet. Bröckelt die Brandmauer oder bröckelt sie nicht? Nein, verspricht die Union. Doch, rufen Grüne und SPD. Hoffentlich bald, meint die AfD.
Die Union will in dieser Woche im Bundestag zwei Anträge und einen Gesetzesentwurf in den Bundestag einbringen, die zu einer Verschärfung in der Migrationspolitik aufrufen. Dafür wirbt CDU-Chef Friedrich Merz um Stimmen von „SPD, Grünen und FDP“, wenngleich die alles entscheidende Frage ist, ob die AfD zustimmt, denn gerade die Grünen haben auf ihrem Parteitag am Wochenende bewiesen, dass sie keinerlei Veränderung in der Migrationspolitik wünschen. Dazu gesellten sich die verstörenden Bilder ihrer „zivilgesellschaftlichen“ Truppen vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Die Antwort auf die Toten von Aschaffenburg waren lachende Selfies im „Kampf gegen Rechts“.
Auf der Demonstration vor dem Brandenburger Tor wurde viel gelacht.
Aus der Union erklingen nun plötzlich Töne, die vor wenigen Wochen noch undenkbar gewesen wären: „Was in der Sache richtig ist, wird nicht falsch dadurch, dass die Falschen zustimmen“, wiederholte Friedrich Merz am Montag seine Absicht, das Migrationsthema im Bundestag aufs Tableau zu bringen, ungeachtet der möglichen Mehrheitsbeschaffer. „Bei dieser klaren Positionierung bleibt es.“
„Die AfD ist nicht das Problem – sondern das Problem ist, dass ein zweijähriges Kind auf dem Bollerwagen ermordet wurde, dass ein Helfer beispringt und mit dem Leben zahlt, dass mittlerweile anderswo Einsatzkräfte angegriffen werden“, hatte sich CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann schon am Sonntag echauffiert. Ein solcher Satz mag zwar beim Normalbürger als unproblematisch und logisch gelten, im politischen Berlin gilt er zumindest als anrüchig.
FDP-Chef Christian Lindner hat unterdessen bereits klargemacht, die Unionsanträge zur Verschärfung der Migrationspolitik im Bundestag zu unterstützen, selbst wenn deren Annahme nur durch die Zustimmung der AfD gesichert wäre. Im Deutschlandfunk betonte Lindner, ihm sei „sogar egal, ob die AfD dort mitstimmt“. Entscheidend sei, dass vom Parlament ein klares Signal ausgehe. Union, AfD, FDP und mindestens fünf Fraktionslose oder das BSW könnten somit eine Mehrheit bilden, die zur Annahme der Anträge durch den Bundestag führen würde – wenngleich die Anträge für die jetzige Bundesregierung rechtlich nicht bindend sind.
Dennoch ist die Veränderung des politischen Diskurses spürbar. Am Sonntagabend ließ ARD-Moderatorin Caren Miosga ihrer Empörung angesichts einer möglichen gemeinsamen Abstimmung von Union und AfD freien Lauf: „Ich möchte gerne hören, dass sie nicht in Kauf nehmen, dass sie auf diese Stimmen angewiesen sind“, warf sie NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst fragend an den Kopf. Der entgegnete kühl: „Das würde heißen, dass die größte Opposition, keine Anträge einbringt, wo die AfD nicht vorher sagt: ‚Wir stimmen nicht zu‘.“
Selbst Wüst macht nun also eine Kehrtwende: Denn genau dieses Verhalten legte die Union ja seit dem Zusammenbruch der Ampel-Koalition an den Tag. Sie brachte aus Angst vor „Zufallsmehrheiten“ keine neuen Anträge und Gesetzestexte in den Bundestag ein. „Ich möchte, dass wir nur noch diese Dinge auf die Tagesordnung setzen, die wir im Konsens zwischen Opposition und Regierung vereinbart haben“, erklärte Merz dazu im November vergangenen Jahres. Dieser Satz ist nun Makulatur, denn die Union bringt in dieser Woche zwei Anträge und einen Gesetzesentwurf ein, die zuvor eben nicht im Konsens mit der Regierung abgestimmt wurden. Wird Merz diese Brandmauer-Debatte überstehen? „Eine Zusammenarbeit unter meiner Führung wird es mit der CDU in Deutschland nicht geben“, hatte Merz sein Schicksal als Parteivorsitzender mit dieser Frage verknüpft.
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst antwortete am Sonntag auf die Fragen von Caren Miozga.
In der Union mehren sich intern die Zweifel an der erratischen Kommunikation von Friedrich Merz. Gleichzeitig jedoch versprechen die Führungsspitzen an der Brandmauer festzuhalten: „Die AfD ist eine in Teilen gesichert rechtsextremistische Partei und deswegen gibt es da auch überhaupt keine Zusammenarbeit“, stellte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Thorsten Frei, am Montag im ARD-Morgenmagazin klar. „Wir sprechen nicht mit der AfD, aber wir lassen uns umgekehrt weder von der AfD noch von einer anderen Partei vorschreiben, welche Themen wir im deutschen Bundestag diskutieren.“ Wir erinnern uns: Bis zu Tat von Aschaffenburg ließ man sich in der Union die Themen vorschreiben, denn aus Angst vor „Zufallsmehrheiten“ wollte man heiße Eisen wie die Migrationspolitik nicht anfassen.
In der AfD entbrannte am Wochenende unterdessen eine interne Diskussion, ob die Fraktion in der kommenden Sitzungswoche dem 5-Punkte-Antrag der Union überhaupt zustimmen soll. Streitpunkt ist dabei der eingebaute Anti-AfD-Passus. Im Papier der CDU/CSU heißt es unter anderem: „Die AfD nutzt Probleme, Sorgen und Ängste, die durch die massenhafte illegale Migration entstanden sind, um Fremdenfeindlichkeit zu schüren und Verschwörungstheorien in Umlauf zu bringen.“
Ein Mitglied des Bundesvorstands meinte noch am Sonntag zu NIUS: Mit diesem Passus sei das Papier eigentlich „nicht annahmefähig“. Das sei „ja auch die Intention von Merz“ gewesen. Auch im Fraktionsvorstand der AfD im Bundestag zeigte sich ein Mitglied „nicht sehr begeistert“ von dem Passus. Vermutlich werde es aber unausweichlich sein, dem Papier zuzustimmen. Es sei jedoch noch nicht ausdiskutiert, wie man sich verhalte.
Am Abend meldete sich dann AfD-Chefin Alice Weidel per Videobotschaft zu Wort: „Wenn die Union vernünftige und ernst gemeinte Gesetzesentwürfe dafür vorlegt, wird die AfD-Fraktion ihre Zustimmung nicht verweigern. So haben wir es immer halten“, sagte Weidel wörtlich. Sie hoffe nicht, dass der Entschließungsantrag das letzte Wort von Friedrich Merz gewesen sei. Weidel war sich sicher: „Die undemokratische Brandmauer muss fallen.“
Am Montagnachmittag will sich der AfD-Fraktionsvorstand mit der Frage der Zustimmung oder Ablehnung befassen.
Interessant ist: Auch im zweiten Antrag der Union, dem 27-Punkte-Plan, ist ein Anti-AfD-Passus inkludiert. Dort heißt es: „Von extrem rechter und extrem linker Seite wird pauschal Stimmung gegen Ausländer gemacht, zum Beispiel mit dem mit unserer Verfassung nicht vereinbaren Konzept einer ‚Remigration‘“. Die AfD hatte den Begriff ‚Remigration‘ auf ihrem Parteitag in Riesa mit ins Wahlprogramm aufgenommen.
Einigkeit in der AfD herrscht bereits jetzt hinsichtlich der formellen Kritik an den Anträgen, auch abseits der Seitenhiebe gegen die AfD. Durch die Anträge ändere sich nichts in Deutschland, heißt es aus der AfD. Es sei reine Symbolpolitik. Die Union könne stattdessen vorliegende Gesetzentwürfe, wie etwa das Zustrombegrenzungsgesetz, direkt zur Abstimmung bringen. Friedrich Merz ließ am Montag verlautbaren, dass eine Entscheidung darüber, ob das Zustrombegrenzungsgesetz eingebracht wird, erst am Nachmittag in der Fraktion fallen soll.
Tatsächlich wird in dieser Woche nicht wirklich über die Migrationspolitik entschieden. Die beiden Anträge der Union haben keine rechtliche Wirkung. Der versprochene Gesetzentwurf – bislang sind die Inhalte noch nicht öffentlich bekannt – bräuchte gemäß der Bundestagsgeschäftsordnung eine Zweidrittelmehrheit, um ihn in kurzer Zeit durch den Bundestag zu peitschen. Eine Zustimmung hierfür durch die Grünen und die SPD ist kaum erwartbar. Somit dürfte es bei einer 1. Lesung bleiben und der Entwurf wird in die Ausschüsse verwiesen, wo er versickern wird.
Im Endeffekt geht es also allein um die Brandmauer-Frage, die auch für eine zukünftige Regierungsbildung entscheidend sein dürfte. Was passiert, wenn die AfD in dieser Woche den Anträgen und den Gesetzesentwürfen zustimmt?
Lesen Sie auch:Debatte um Migrationswende.