
Wenige Tage, bevor er bei einem Fluchtversuch an der Grenze der DDR getötet wird, sitzt Robert mit einem Freund irgendwo an der Ostsee-Küste im Gras und sagt: „Tatsächlich zerspringt mir der Kopf von all den Theorien, Systemen und historischen Gesetzmäßigkeiten, die ich gelernt habe. Sie wollen unseren Blick auf die angeblich großen Dinge lenken, damit wir unsere eigenen Erfahrungen nicht ernst nehmen.“ Den Versuch, der sozialistischen Indoktrination zu entkommen, wird Robert mit dem Leben bezahlen. Er ist der Protagonist in Thomas Braschs Roman „Vor den Vätern sterben die Söhne“.
Dieser Tage sterben in Deutschland erneut Söhne vor ihren Vätern. Im Januar stach der Afghane Enamullah Omarzai auf den zweijährigen Yannis ein, achtmal in Hals und Schulter. Im Dezember raste Taleb Abdulmohsen aus Saudi-Arabien mit einem Auto über den Magdeburger Weihnachtsmarkt und überfuhr den neunjährigen André.
Wie in der DDR, so haben Linke auch heute kaum mehr als ein Schulterzucken für jene Menschen übrig, die den Preis für linke Ideologie bezahlen. Linke Politiker kombinieren nach einer Tat die Floskeln „zutiefst erschüttert“, „keinen Platz“ und „in Gedanken bei“ zu einem Statement für die sozialen Netzwerke, um ihre Gedanken dann wieder der Frage zuzuwenden, wie sie in Deutschland möglichst viel Platz für jene schaffen können, die erschütternde Taten begehen.
Yannis wurde nur zwei Jahre alt.
Zwei Wochen nach dem Messerangriff auf eine Kindergartengruppe in einem Park in Aschaffenburg hat die links-grün dominierte deutsche Medienöffentlichkeit die Toten und ihre trauenden Familien längst vergessen und spricht lieber über den Mann, der ihre ideologische Hegemonie bedroht: CDU-Chef Friedrich Merz, der auf seine Erschütterung Taten folgen ließ. In der vergangenen Woche brachte er Anträge und Gesetze zur Abstimmung in den Bundestag ein, die die unkontrollierte illegale Migration in Deutschland eindämmen sollten, und nahm dabei in Kauf, Mehrheiten mithilfe der AfD zustande kommen zu lassen.
Seither debattiert Deutschland über einen „Tabubruch“, wobei es nicht um das Tabu geht, Kleinkinder abzustechen, sondern um das Tabu, mit der AfD zu stimmen – was eigentlich alles über unser Land erzählt, was man wissen muss.
Das „Lichtermeer gegen den Rechtsruck“ am 25. Januar in Berlin.
Am Wochenende nach der Tat von Aschaffenburg fotografierten sich Katrin Göring-Eckardt, Franziska Brantner, Lisa Paus, Felix Banaszak und andere Grüne im Lichtermeer gegen Rechts vor dem Brandenburger Tor, lachend, den Glanz antifaschistischer Widerstandskämpfer in den Augen. Nur dass die wirklichen Widerstandskämpfer sich einst beim Kampf gegen den Nationalsozialismus lieber nicht ablichteten, denn das wäre ihr Todesurteil gewesen.
Das Leben der grünen Machthaber ist keineswegs bedroht, aber ihre Macht; nichts anderes verteidigen sie, wenn sie für die Brandmauer auf die Straße gehen. Die Sorge um dieses politische Konzept, das die konservative Mehrheit im Land ihrer Handlungsfähigkeit beraubt, sticht die Sorge um das Leben unschuldiger Kinder nun mal aus, wie die Grünen feststellen. Da kann man sich schon mal glücklich zeigen, wenn man miterleben darf, wie die subventionierten Massen für den eigenen Machterhalt marschieren.
Der Kampf gegen den Faschismus ist größer als das Leben des kleinen Yannis, der Polizist werden wollte. „Sie wollen unseren Blick auf die angeblich großen Dinge lenken, damit wir unsere eigenen Erfahrungen nicht ernst nehmen“, sagt Robert in Braschs Roman kurz vor seiner Flucht aus der Diktatur. Die Erfahrungen des Einzelnen bedrohen ideologische Systeme, weil sie die hehren Ideale mit der Realität abgleichen. Vielleicht ist Migration gar nicht immer eine Bereicherung? Vielleicht sind gar nicht alle Kulturen ebenbürtig?
Die linken Parteien, besonders die Grünen, inszenieren diesen Wahlkampf als ein letztes Gefecht um die Demokratie. Sie haben dies schon bei den Wahlen in ostdeutschen Bundesländern im Herbst getan, davor im Frühjahr bei den Europawahlen. Dass die Demokratie noch immer existiert und also gar nicht so bedroht ist, wie behauptet wurde, führt nicht zu einer Abkehr von dieser Strategie. Dem freiheitsliebenden Robert „zerspringt der Kopf von all den Theorien, Systemen und historischen Gesetzmäßigkeiten“, die ihm der real existierende Sozialismus eintrichtert. Die theoriehungrigen Linken von heute hingegen können gar nicht genug bekommen von vermeintlichen historischen Gesetzmäßigkeiten, die ihre eigene weltgeschichtliche Bedeutung aufwerten: Weimar überall.
Die Anziehungskraft abstrakter Ideen und theoretischer Gefahren auf Linke ist viel stärker als der Reiz des Realen. Sie kämpfen lieber für „die Demokratie“ als für eine prosperierende Wirtschaft, sie fürchten sich vor „Desinformation“ statt vor hohen Lebensmittelpreisen, sie sorgen sich eher um das Weltklima in 50 Jahren als um ihren Nachbarn, der sein Haus verliert, weil er sich den klimaneutralen Umbau nicht leisten kann. Sie sind die Gewinner eines ideologischen Systems und müssen, um Gewinner zu bleiben, den Glauben an die Ideologie innerhalb der Bevölkerung stärken. Ihre Loyalität gilt Ideen, nicht Menschen.
Wer – „umzingelt von Wirklichkeit“ (Robert Habeck) – seinen Glauben an das links-grüne Weltbild aufrechterhalten will, muss sich konsequent die Empathie abtrainieren, die eigenen Erfahrungen ausreden, die eigene Wahrnehmung verleugnen. Sonst funktionieren die großen linken Versprechen unserer Zeit nicht mehr.
Eines dieser Versprechen ist die Europäische Union, dieses gigantische angebliche Friedensprojekt, das allerdings seit anderthalb Jahrzehnten Unfrieden und Instabilität in Europa schafft. Es begann mit der Euro-Krise: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“, belehrte uns Bundeskanzlerin Angela Merkel und erklärte ihre eigene Politik für alternativlos. Während der Streit um den Euro überall in Europa nationalistischen Bewegungen Aufwind bescherte, erklärten Linke, dass man unbedingt am Euro festhalten müsse, um den Rückfall in Nationalismus zu verhindern. Reichlich paradox, doch die Realität ist nichts, woran Linke ihre Ideen messen.
Angela Merkel 2015 im Bundestag bei einer Debatte über die Griechenland-Schuldenkrise. Die „Alternativlosigkeit“ ist Teil ihres politischen Erbes.
Migration einzudämmen, so will man uns heute verklickern, verstoße gegen EU-Recht. Wir sollen uns also an die Regeln des Friedensprojekts EU halten, während diese Regeln offenkundig permanent durch unsere Nachbarstaaten gebrochen werden (siehe Dublin-Abkommen), während schwere Straftäter unerkannt in unser Staatsgebiet eindringen und sich eine neue Identität verschaffen können, während unser Sozialsystem unter der Last von Migranten, die niemals ins System eingezahlt haben, kollabiert. Im Namen des höheren Guts namens Europa sollen wir den Brüsseler Bürokraten Treue schwören und den flaschensammelnden Rentner von nebenan verraten.
An allen Enden bringt die linke Ideologie solchen Widersinn hervor: Im Namen des Feminismus dürfen Männer in Frauen-Umkleiden eindringen. Im Namen des Klimaschutzes besteuern wir fossile Energien, die dann eben von anderen Staaten verfeuert werden, zu günstigeren Preisen, weil wir unsere Nachfrage künstlich gedrückt haben. Im Namen des demokratischen Diskurses klingelt die Polizei im Morgengrauen, wenn man den Wirtschaftsminister „Schwachkopf“ nennt.
Und im Namen der Empathie sollen wir die Taten von Aschaffenburg, Magdeburg, Solingen, Mannheim so schnell wie möglich vergessen. Die Linken haben jetzt ein anderes Kind gefunden, das ihnen viel nützlicher ist als Yannis. Bei einer Kundgebung zerrten sie die 12-jährige Fatima aus Afghanistan auf die Bühne, die unter Tränen ins Mikrofon sprach: „Ich entschuldige mich bei den Mutter von des Kindes. Aber manche denken, weil ich ein Afghane bin, dass ich böse bin.“
„Nein! Nein!“, schallt es daraufhin über den Platz, das grüne Bürgertum ist in diesem Moment ganz bei sich, beseelt von der eigenen Güte. Kindermund tut immer die Wahrheit kund, die ihm Autoritäten eingebläut haben. Schon verbreiten Grüne die Geschichte in Talkshows und im Netz als Beleg der eigenen Relevanz. Der Einzelne kann Linke durchaus rühren. Wenn er denn dem großen Ganzen dient.
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