
Im sächsischen Wurzen kam es dieser Tage zu dramatischen Szenen: Durch eine Abstimmung im Stadtrat strichen AfD und CDU einer linken NGO die Fördergelder. Die Verantwortlichen des „Netzwerkes für Demokratische Kultur e. V.“, dem künftig der Geldhahn abgedreht wird, standen nach dem Beschluss „den Tränen nahe“, wie die Leipziger Volkszeitung berichtet. Zuvor kam es im Stadtrat zu tumultartigen Szenen: Aufgrund von Pöbeleien und Bedrohungen eines Mitglieds der Linksfraktion musste die Abstimmung über den AfD-Antrag sogar anonym durchgeführt und ausgezählt werden. Am Ende blieb es dabei: Dem Verein werden die Fördergelder gestrichen.
Die Stadt Wurzen ist Eingeweihten meist durch den Schriftsteller Joachim Ringelnatz bekannt. Kürzlich stand die Stadt jedoch wegen eines politischen Streits im Mittelpunkt des Interesses. Seit Jahren fließen üppige Steuermittel an das örtliche „Netzwerk für Demokratische Kultur e. V.“, eine der zahlreichen NGOs im Land. Das Netzwerk setzt sich laut eigenen Angaben für eine „aktive demokratische Zivilgesellschaft in der Region“ ein, wie es auf der Internetseite heißt.
Am 16. April tagte nun der Stadtrat in Wurzen. Dabei stand auch die zukünftige Förderung des Vereins auf der Tagesordnung. Eingangs der Parlamentsdebatte bat eine Vertreterin des Vereins um eine Fortsetzung der finanziellen Unterstützung. Dann sollte darüber abgestimmt werden. Nach NIUS-Informationen soll Michael Tietz, ein Mitglied der Linkspartei, schon vor der Abstimmung massiven Druck auf zwei CDU-Stadträtinnen ausgeübt haben. Sie sollten keinesfalls mit der AfD stimmen, die die Finanzierung der NGO stoppen wollte.
Die Frauen hätten anschließend keine namentliche Abstimmung mehr durchführen wollen – ein Novum und einmalig. Die CDU-Stadträtinnen Sarah Fischer und Daniela Thiele seien derart eingeschüchtert gewesen, dass sie sich nicht mehr wohlgefühlt hätten, heißt es. Auch während der Debatte im Stadtrat soll sich Michael Tietz danebenbenommen haben und einen AfD-Stadtrat bei seiner Rede ausgelacht haben. Tietz wurde des Raumes verwiesen. „Es war ein scharfer Ton“, erzählt Stadträtin Fischer in der Leipziger Volkszeitung. Und ja, sie habe sich bedroht gefühlt: „Wir sind in der Politik alles Ehrenamtler, haben Haus und Familie, da muss man vorsichtig sein“. Somit wurde die Abstimmung nicht namentlich, sondern anonym durchgeführt. Das Ergebnis fiel eindeutig aus: Zwölf Personen stimmten gegen die Förderung, fünf dafür, drei enthielten sich.
Linkspartei und SPD machten ihr Wahlverhalten öffentlich, die CDU hingegen nicht. Die sechs anwesenden Personen der AfD stimmten gegen die Förderung, wer die anderen sechs Personen waren, die für die Streichung der Gelder verantwortlich sind, bleibt unklar. Die CDU war ebenfalls mit sechs Personen anwesend. Dies wären also jene zwölf Stimmen, mit denen die Förderung für den Verein für 2025 ausgesetzt wurde. Die Leipziger Volkszeitung schrieb anschließend, dass die Geschäftsführerin des Vereins, Martina Glass, „den Tränen nahe“ gewesen sei.
Der Verein organisiert unter anderem „Mittelmeer Monologe“. Dabei wurden Vertreter der Organisation „Sea-Watch“ eingeladen, um zu berichten, wie wichtig die „Seenotrettung“ im Mittelmeer ist. Zudem veranstaltet das Netzwerk regelmäßig „interkulturelle Frauenkreise“. Am 8. Mai lädt man zum „Brunch zum Frauenkampftag“.
Martina Glass, Vorsitzende des „Netzwerks für Demokratische Kultur e. V.“
Der Verein äußerte sich ebenfalls zum Vorfall. In einem veröffentlichten Statement heißt es: „Es gibt Menschen, die das, was wir machen, nicht sinnvoll oder gar unsinnig finden und die sich schon lange wünschen, dass es uns hier nicht mehr gibt. Menschen, die demokratische Werte, die für ein gesellschaftliches Miteinander, Solidarität und Respekt stehen, nicht teilen. Aber das NDK ist vor 25 Jahren in Wurzen angetreten, um diese Werte zu stärken und auch zu verteidigen und wir werden nicht damit aufzuhören. Das sind wir den Menschen in Wurzen schuldig, die ebenfalls jeden Tag für diese Werte einstehen“, so Martina Glass, Geschäftsführerin des Vereins.
Weiter erklärt der Verein: „Es handelt sich dabei um einen dezidiert politisch motivierten Angriff auf einen aktiven Teil der demokratischen Zivilgesellschaft. Dieser fand eine große Mehrheit im Wurzener Stadtrat. Die Entscheidung reicht damit in seiner Tragweite und Bedeutung weit über den abgelehnten Zuschuss hinaus.“
Der Kulturausschuss des Stadtrats sollte über 12.000 Euro Förderung für den Netzwerk-Verein entscheiden. Das Geld der Stadt ist gemäß einer Förderrichtlinie notwendig, um weitere Fördermittel vom Land zu erhalten. Denn nicht nur die Stadt Wurzen bezuschusst den Verein. Auch über das Land Sachsen fließen üppige Steuermittel. Rund 150.000 Euro kommen über das Landesprogramm „Leipziger Raum“. Diese Mittel können jetzt nicht mehr beantragt werden. Damit droht dem Verein im schlimmsten Fall das Aus.
NIUS fragte bei der Stadtverwaltung nach, wie hoch die Fördermittel von 2023 bis 2025 lagen. Demnach erhielt das „Netzwerk für Demokratische Kultur e. V. “ in den vergangenen zwei Jahren beinahe eine halbe Million Euro Steuergeld. Die Summe beläuft sich auf exakt 463.218,15 Euro.
Bemerkenswert: Der Verein plante für das Jahr 2026 knapp 80.000 Euro alleine für Personalkosten ein, obwohl nicht eine einzige Stelle des Vereins eine Vollzeitanstellung ist. Die hohen Personalkosten führten auch die Stadträte der CDU und AfD zur Begründung an, weshalb sie die Finanzierung nicht mehr fortsetzen möchten. Aufgrund der geringen Nachfrage bei den Veranstaltungen des Vereins sah sich dieser gezwungen, Ticketpreise und Eintrittspreise stark zu begünstigen oder erst gar nicht zu erheben. Deshalb erwirtschaftete er im Jahr 2024 nur 4.000 Euro mit Veranstaltungen. Martina Schmerler, die im Stadtrat in der SPD-Fraktion sitzt, stimmte zwar gegen den Vorschlag der AfD, aber sagte der Leipziger Volkszeitung: „Ich finde, dass diese Summe in keinem Verhältnis zu den Gesamtkosten steht“.
Der Verein „Netzwerk für Demokratische Kultur e. V.“, wollte sich auf Anfrage von NIUS zu dem Vorfall und den ausbleibenden Mitteln nicht äußern. Auch die Sächsische Landesregierung antwortete bis Redaktionsschluss nicht auf unsere Fragen.
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