Wir brauchen Politiker genauso wenig wie wir Könige und Kaiser gebraucht haben

vor 22 Tagen

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Politik, sie kommt als etwas Hochkomplexes daher. Für den Normalbürger wirken Diskussionsformate im Fernsehen oder Parlamentsdebatten schnell einschüchternd. Da hauen sich die Politiker und Journalisten Paragrafen um die Ohren, zitieren Statistiken und Studien aus dem Bewusststeins-Niemandsland des Durchschnittsbürgers und beschuldigen sich gegenseitig bei diesem Gesetz in der Gegenwart oder jenem Vorgehen in der Vergangenheit einen großen Fehler zu machen beziehungsweise gemacht zu haben ...

Die meisten Journalisten, nahezu alle Politiker, aber auch politisch interessierte Bürger sind oftmals dermaßen in ihrer Informations-Blase gefangen, dass sie gar nicht ahnen, wie unverständlich die meisten Debatten für die Mehrheit der Menschen im Land sind, die selbst dann keine fünf Minister aufzählen könnten, wenn man ihnen eine Pistole vor den Kopf hielte.

Es ist nicht so, dass diese Unverständlichkeit dazu führt, dass Politiker eine hohe Kompetenzzuschreibung von der Bevölkerung bekommen. Könnte man schließlich meinen, nach dem Motto: „Die können so selbstbewusst über so komplexe Probleme reden, die müssen ja Ahnung haben.“

So ist es allerdings nicht, ganz im Gegenteil!

Gar keiner Partei trauen die allermeisten Menschen zu, die Probleme zu lösen.

Alle Umfragen bezeugen ein immer weiter schrumpfendes Vertrauen in den Staat, die Politik und die Institutionen. Auf die Frage, welche Partei am besten die Probleme in Deutschland lösen könne, antwortet in Umfragen regelmäßig eine relative Mehrheit: „Keine Partei kann das.“

An der Stelle schlägt die Wirkung der ganzen politischen Debatten voll ein. Bei diesen täglich stattfindenden Debatten geht es immer darum, wer am besten innerhalb der Logik des bestehenden Staatssystems argumentieren kann. Es gibt so gut wie keine Auseinandersetzungen darüber, ob das bestehende System der Bundesrepublik gut oder schlecht ist, sondern nur darüber, an welchen Stellschrauben des Systems wie stark gedreht werden soll. Und das geschieht seit Jahrzehnten. Das führt dazu, dass die meisten Bürger zu geistigen Gefangenen des Status quo werden, sie hinterfragen ihn nicht mehr.

Sie erklären bei Umfragen, dass sie dem Staat und den Parteien nicht vertrauen, schlussfolgern aus der Antwort aber eben nicht, dass diese Institutionen inhärent schädlich sind, sondern suchen fieberhaft nach der einen Partei innerhalb der bestehenden Struktur, die ihnen am wenigsten schlimm vorkommt.

Bei dieser Bundestagswahl am „wenigstens schlimm“: die Parteien von Friedrich Merz.

Nicht nur diese intellektuelle Verkrüppelung als Folge der hysterischen Verblödungsdebatten ist verheerend, sondern auch etwas anderes: Politik ist wahnsinnig unterhaltsam. Die Ausraster, die Beleidigungen, wütende Politiker, Spekulationen über Koalitionen, all das füttert den kollektiven Masochismus der Massen, zu dem ich mich auch schuldig bekennen muss. Moderner Gladiatorenkampf ist das, aber nicht als besondere Show, sondern als Alltagsdroge.

Die meisten Menschen haben das falsche Bild von Politik und Politikern als Problemlöser im Kopf. Verstärkt wird das in Wahlkampfzeiten, in denen die Bevölkerung mit wohlklingenden Versprechen dauerbeschallt wird. Selbst staatskritische Bürger neigen in diesen Zeiten dazu, einzelnen solcher Versprechen zu glauben. Glauben zu wollen.

Der Zweckoptimismus und die Hoffnung auf Besserung dieser oder jener Probleme verdrängen dann die normalerweise herrschende Meinung über die Politik. Auch hier muss ich mich leider schuldig bekennen. Im Moment überlege ich, mir meine „Danke, Friedrich Merz!“-Kolumne auszudrucken und einzurahmen, als kleine Demutsübung. Wenn selbst Libertäre in schwachen Momenten empfänglich für politische Heilsversprechen sind, ist es umso wichtiger, sich bewusst zu werden, was Politik eigentlich ist.

Ende Januar verfasste unser Kolumnist diesen Text, in dem er sich freute, dass die Union offenbar einen Politikwechsel eingeleitet habe.

Endlos viele Versuche existieren, das Wesen der Politik zu beschreiben. Einer der bekanntesten Versuche ist zweifellos der des großen Soziologen Max Weber. Politik sei „ein starkes, langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.“

Diese Definition ist zwar bekannt, aber falsch. Sie ist viel zu verherrlichend. Zu Recht erwiderte deshalb der amerikanische Ökonom Dwight R. Lee einmal, dass Politik „das Bohren von Löchern in den Boden eines Bootes“ wäre. Ich stimme ihm zu, aber wie schafft es die Politik, diese Löcher ganz in Ruhe bohren zu können?

Um das zu verstehen, ist der Politikbegriff des radikalliberalen Autors Roland Baader am hilfreichsten. Politik setzt sich laut ihm aus folgenden Bestandteilen zusammen:

Nicht nur beschreibt er damit den Wesenskern von Politik im Allgemeinen perfekt, mir fällt auch keine bessere Beschreibung der schwarz-roten Koalitionsverhandlungen ein. Gut, die Anmaßung ist nicht neu, die gibt es seit eh und je. Die Einbildung, ökonomische Gesetze aushebeln zu können, wird sogar durch die Einbildung ergänzt, die schlimmen Folgen dieser Aushebelung ignorieren zu können. Gerade die Vortäuschung der Notwendigkeit eines umfassenden Aktionismus und das Geschäft mit der Angst sind das Fundament dieser zukünftigen Koalition. Ohne Angst-Aktionismus hätten die geplanten Neuschulden oberhalb von einer Billion Euro niemals eine Chance gehabt. Die Bestechungsaktivitäten mit anderer Leute Geld werden nicht nur fortgesetzt, sondern verstärkt.

Auch die Zoll-Eskapaden von Donald Trump beruhen auf der Einbildung, ökonomische Gesetze aushebeln zu können und sind natürlich Aktionismus und die totale historische Ignoranz. Wer kann die Abhängigkeit von der Politikkaste ernsthaft für eine super Idee halten?

Donald Trump hat einen Zoll-Krieg mit der ganzen Welt begonnen.

Es kann doch nicht sein, dass ein Unternehmer, der ordentlich wirtschaftet, langfristig denkt und investiert, plötzlich seine Geschäftsgrundlage verliert, weil ein US-Präsident eine historisch dämliche Idee in seinem Kopf ausgebrütet hat und einen Zollkrieg vom Zaun bricht. Es kann doch nicht sein, dass ein Vermieter, der für hunderte oder tausende Menschen Wohnraum schafft, ständig von der Gemütslage irgendwelcher Taugenichtse in Berlin abhängig ist, die ihm jederzeit jede Kalkulation zunichtemachen können. Es kann doch nicht sein, dass mit Friedrich Merz bald ein Mann, der in nur wenigen Wochen stolze acht Prozentpunkte Vorsprung zur AfD verspielt hat und mit der 16-Prozent-SPD überfordert ist, als Bundeskanzler Deutschland aus der Rezession führen soll. Es kann doch nicht der Weisheit letzter Schluss sein, dass die Produktiven und Klugen unterwürfig bei den Unproduktiven und Dummen darum betteln müssen, dass sie bitte in Ruhe wirtschaften und leben dürfen.

Die einzige erträgliche Politik ist deshalb Anti-Politik. Eine Politik, die als singuläres Ziel hat, den Einfluss von Politik zu senken. Bestenfalls im Kontext einer Verfassung, die dem Staat gar nicht erst erlaubt, auch nur annähernd die Hälfte des Einkommens seiner Bürger zu rauben oder die politisch genehmen Unternehmen massenweise mit Subventionsgeldern zuzuschütten oder ein Schneeballsystem namens umlagefinanzierte Rente zu erschaffen.

Für den modernen Menschen des Westens wäre es ein absurder Gedanke, von Königen oder Kaisern beherrscht zu werden, die über seinen Alltag bestimmen. Wie konnten unsere Vorfahren das über Jahrtausende tolerieren? Grotesk! Doch Politiker sind auch Herrscher, daran ändert eine Abstimmung alle vier Jahre nichts. Und es sind Herrscher, die belegbar keine Probleme lösen, sondern nur neue schaffen. Die Wahrheit ist: Wir brauchen Politiker genauso wenig wie die Menschen der Vergangenheit Könige und Kaiser gebraucht haben. Hoffentlich braucht die Menschheit nicht erneut Jahrtausende, um das zu begreifen.

Natürlich wird diese Erkenntnis sich in unser aller Lebenszeit höchstwahrscheinlich nicht durchsetzen, aber ab und zu ist die Erinnerung wichtig: Wir leben in einem obskuren Clownsystem, das nicht das Ende der Geschichte ist. Ab und zu ist so ein bewusster geistiger Rückzug aus dem politischen Alltagsstuss höchstförderlich, um nicht nur der Wahrheit näher zu kommen, sondern dank zerstörter Besserungsillusion auch der guten Laune und zweckmäßigen Gelassenheit, die jedoch keinesfalls als Gleichgültigkeit zu verstehen sind.

Lesen Sie die vorangegangene Kolumne von Ben Brechtken:Die unterschätzte Radikalität der SPD: Wenn Sozialisten sich zum Sozialismus bekennen, muss ihnen geglaubt werden

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