
„Meine Stellungnahme war sehr stark geprägt von den damaligen medizinischen Erkenntnissen und Einschätzungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Heute in der jetzigen Perspektive haben wir einen ganz anderen Zuwachs an Wissen“, rechtfertigte die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf am Dienstagabend bei Lanz ihren Einsatz für eine „verfassungsrechtliche Pflicht zur Einführung einer Impfpflicht“.
Mehrfach verwies sie auf den angeblich fundamental konträren Wissensstand von heute und November 2021, jener Zeit, in der sie gemeinsam mit ihrem Mann eine Stellungnahme für die Universitäten Potsdam und Leipzig verfasst hatte, in der Sätze stehen wie dieser:
„Es ist Aufgabe des Staates, die große Mehrheit der Bevölkerung, die freiwillig geimpft ist, wirksam davor zu schützen, dass ihre Gesundheit, ihre persönliche Freiheit sowie ihre berufliche und wirtschaftliche Existenz weiterhin von Ungeimpften bedroht wird.“
Mit dieser Argumentation, Geimpfte würden durch Ungeimpfte „bedroht“ bringt sie in der Stellungnahme sogar für eine „Pflicht zur Impfpflicht“ ins Spiel.
Immer wieder versucht sie am Dienstagabend bei Lanz geschickt, den Eindruck zu erwecken, sie treffe ihre Einschätzungen im Gegensatz zu all den politischen Agitatoren rein faktenbasiert und auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse. „Das ist mein Standpunkt als Rechtswissenschaftlerin“, sagt sie, und: „Ich wollte einen wissenschaftlichen Beitrag zu dem leisten, worüber die Welt in der Corona-Pandemie diskutiert hat.“ Selbstverständlich könne man „das heute alles völlig anders sehen.“
Lanz springt ihr zur Seite, indem er betont, es sei damals schließlich die Hochphase „des ganzen Desasters“ gewesen. „Die ganzen Corona-Maßnahmen sind im Spiegel der Zeit zu sehen“ pflichtet die Juristin ihm bei.
Frauke Brosius-Gersdorf, die Verfassungsrichterin werden möchte, und ihr Mann, der Rechtswissenschaftler Hubertus Gersdorf, sind zu jenem Zeitpunkt im November 2021 überzeugt: „Selbst wenn sich die Ungeimpften über den Winter 2021/22 mehrheitlich mit dem Corona-Virus infizieren, lässt die Immunität nach einigen Monaten nach, sodass ohne Impfpflicht auf den Corona-Winter 2021/22 voraussichtlich weitere Corona-Winter folgen würden. Dies zu verhindern, ist (Pflicht-)Aufgabe des Staates.“
Auch das hier schreiben sie: „Geimpfte können sich nicht selbst wirksam schützen, weil die Impfung nicht vor Impfdurchbrüchen bewahrt. Erkrankungen infolge von Impfdurchbrüchen verlaufen zu einem nicht unerheblichen Teil schwer und machen einen Klinikaufenthalt mit Intensivbehandlung erforderlich.“
Letzteres ist dabei eine vollkommen offensichtlich dissonante Argumentation, deren fehlende Logik jedem, der die Zeilen ideologiefrei liest, sofort ins Auge springen müsste: Da die Impfung nicht gut genug wirkt, müssen alle Menschen zur Impfung gezwungen werden.
Hinzu kommt: Der Versuch Frauke Brosius-Gersdorfs, ihre Befürwortung einer kontrafaktischen Grenzüberschreitung mit dem damaligen Stand der Wissenschaft zu relativieren, ist nicht haltbar. Denn es war auch im November 2021 mitnichten medizinischer Konsens, dass die Corona-Impfung – eine Impfung, die über das Blut verabreicht wird – steril vor einer Ansteckung mit einem Erreger schützt, der über die Schleimhäute von Nase und Rachen übertragen wird.
Der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Wolf-Dieter Ludwig, hatte bereits Ende 2020, noch bevor die Impfkampagne überhaupt begonnen hatte, gewarnt: „Wir wissen relativ sicher, dass eine sogenannte sterile Immunität – das heißt, dass diejenigen, die sich impfen lassen, das Virus nicht weitergeben – wahrscheinlich im Augenblick nicht erreichbar ist.”
Ludwig weiter: „Eine Impfpflicht ist vor diesem Hintergrund in keiner Weise akzeptabel“.
Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig ist seit 2006 Vorstandsvorsitzende der Arzneimittelkommission der Ärzteschaft.
Daten aus verschiedenen europäischen Ländern aus Juli 2021 untermauerten diese Einschätzung. In mehreren Ländern nämlich, die besonders viel geimpft hatten, wie beispielsweise das Vereinigte Königreich, die Niederlande oder Malta, schossen die Inzidenzen in die Höhe. Gleichzeitig bleiben sie in vielen Ländern mit niedrigsten Impfquoten – wie beispielsweise Rumänien oder Bosnien – auf niedrigem Niveau und stiegen erst im Herbst zur Saison wieder an.
Diese Dynamik ist eine Momentaufnahme und kein Beweis dafür, dass Geimpfte das Virus besonders stark verbreiten. Aber sie ist der Gegenbeweis zu der Annahme, dass Impfungen Infektionswellen senken, eindämmen, oder sogar brechen und damit Ansteckungen verhindern könnten.
Diese Daten waren offiziell verfügbar, jeder hätte sie zur Kenntnis nehmen können – auch das Juristen-Paar Frauke Brosius-Gersdorf und Hubertus Gersdorf.
Bei Lanz verteidigte die Juristin ihre Position von damals auch mit den Worten, sie finde es „vollkommen legitim, weil es wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass der Staat damals nicht nur die Verpflichtung hatte, die Freiheit von Menschen zu schützen, die sich aus gutem Recht nicht freiwillig impfen lassen wollen; sondern es eben auch um den Schutz der Gesundheit und der Freiheit von Menschen ging, die sich freiwillig haben impfen lassen.“
Das Ehepaar argumentierte in der Stellungnahme für eine verpflichtende Impfung außerdem mit der großen Gefährlichkeit einer Covid-Erkrankung: „Zu berücksichtigen ist auch, dass das Risiko einer Beeinträchtigung von Leib und Leben bei einer Corona-Erkrankung ohne Impfung groß ist.“ Dabei liegt die Infektionssterblichkeitsrate des Coronavirus im Bereich von 0,2 bis 0,5 Prozent und damit nur knapp über der von Grippeviren.
Zu Sanktionen, die man Ungeimpften auferlegen könnte, hatte das Ehepaar konkrete Vorstellungen: „Führt der Gesetzgeber eine allgemeine Impfpflicht ein, sind Sanktionen bei Verstößen gegen die Impfpflicht vorzusehen. In Betracht kommen neben der Verhängung von Bußgeldern insbesondere die Einführung und konsequente Durchsetzung einer 1 G-Regel sowie der Wegfall der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.“
Mehr NIUS: Neues Video aus der Pandemie aufgetaucht: So verächtlich sprach Juristin Brosius-Gersdorf über Ungeimpfte