
Aller Voraussicht nach wird sich die Union nach den vorgezogenen Bundestagswahlen in einer komfortablen Situation befinden. CDU und CSU dürften Ende Februar den ersten Platz belegen und sich dann ihren Koalitionspartner aussuchen können. Friedrich Merz wird wie an der Fleischtheke frei entscheiden: Darf’s vielleicht die SPD sein, Herr Wahlsieger? Oder vielleicht doch lieber die Grünen? Auch die hätten wir frisch im Angebot.
Wer die Wahl gewinnt, wird die Qual haben: Friedrich Merz hofft, als Sieger aus der Bundestagswahl hervorzugehen.
Merz und seine Christdemokraten lassen nichts unversucht, um als geschmeidige Partner in den kommenden Koalitionsverhandlungen zu erscheinen. Vor allem die Grünen sehen sich einer Charmeoffensive ausgesetzt. Markus Söder weicht – erwartungsgemäß – sein kategorisches Nein zu Schwarz-Grün auf. Friedrich Merz treibt – ebenfalls erwartungsgemäß – durch sein Antichambrieren bei Habeck & Co. den Preis für Schwarz-Rot in die Höhe.
Man kann dieses samtpfötige Verhalten des prognostizierten Wahlsiegers aus parteilogischen Gründen nachvollziehen. Merz will beide Koalitionsoptionen im Spiel halten, damit sich weder die Sozialdemokraten noch die Grünen ihrer Regierungsbeteiligung zu sicher sind.
Außerdem knüpft die CDU an das Konzept ihrer langjährigen Kanzlerin an und betreibt „asymmetrische Demobilisierung“. Sie will derart mittig-links erscheinen, dass viele Verächter der CDU mangels konservativem Aufregerpotenzial nicht zur Wahl gehen.
Dennoch ist die vorauseilende Umarmung der Grünen ein Fehler. In der Sache mag Merz Recht haben, wenn er nun bekräftigt: „In der Außen- und Sicherheitspolitik gibt es sicher mit den Grünen mehr Gemeinsamkeiten als mit der SPD.“ Solche Signale an die Grünen in hoher Frequenz nebst der stets wiederholten Behauptung, es handele sich bei ihnen um eine „bürgerliche Partei“, verkennen: Am Ende könnten der Union mehr konservative Wähler von der Stange gehen, als Zuspruch in der linken Mitte zu gewinnen ist.
Friedrich Merz und Robert Habeck beim Unternehmertag 2022 in Berlin.
Wer in Merz einen Hoffnungsträger sah für einen Kursschwenk nach rechts, wird dessen lautes Nachdenken über eine Reform der Schuldenbremse und eine neue Regelung des Schwangerschaftsabbruchs, seine Weigerung, eine andere Migrationspolitik im Bundestag zur Abstimmung zu stellen, und seine Maßregelung der FDP nicht begrüßen. Aus einem neuen Helmut Kohl droht Merkel 2.0 zu werden.
Vor allem aber: Die Strategen der CDU übersehen, wie unbeliebt die Grünen geworden sind. Abseits einiger weniger urbanen Zentren ist das grüne Spitzenpersonal Kassengift. In Deutschlands Provinz – und Deutschland ist die Summe seiner Provinzen – will niemand mehr hören, was die Grünen zu „Klimapolitik“, „ökologischer Transformation“ oder dem „Zeitalter der Erneuerbaren“ zu sagen haben.
Die Performance der grünen Minister im Kabinett Scholz war unterirdisch. Annalena Baerbock, Robert Habeck, Lisa Paus und Steffi Lemke belegen eindrücklich, dass Ideologie blind macht für das Maß der eigenen Inkompetenz. Bürgerlich sind die Grünen nur insofern, als sie auf bürgerliche Wähler zielen. Personell wie programmatisch stehen sie mittlerweile für Kommandowirtschaft, Unfreiheit und einen hypermoralischen Wächterstaat.
Die grünen Ministerinnen Baerbock, Lemke und Paus applaudieren Robert Habeck.
Die Zahlen bestätigen die Antipathie, die den Grünen entgegenschlägt. Laut ARD-Deutschlandtrend von November ist das rein theoretische Wählerpotenzial der Grünen seit 2021 dramatisch abgesackt – von 50 auf 33 Prozent.
Das Marktforschungsinstitut Allensbach ermittelte im September, dass 35 Prozent der Deutschen die Grünen „auf keinen Fall“ in einer Regierung sehen wollen; nur bei der AfD ist die Ablehnung größer. Schwarz-Grün erreicht unter allen möglichen Regierungsbündnissen eine Präferenz von 12 Prozent und damit exakt dasselbe niedrige Niveau wie eine Koalition von CDU, CSU und AfD.
Gegen die Alternative für Deutschland kämpft die Union mit viel Leidenschaft. Eine (kommunal längst bröckelnde) Brandmauer wurde eingeführt, an Beschimpfungen zum Nachteil der AfD bleiben Söder und Merz hinter dem neuen grünen Parteivorsitzenden Felix Banaszak oder der Grünen Jugend nicht zurück. Die Union stellt sich blind für die Schnittmengen mit der AfD in der Wählerschaft und der Programmatik, weil sie keine Debatte über rechte Politik führen möchte.
Für die Grünen spricht, dass sie in keinem Verfassungsschutzbericht auftauchen. Das war es dann auch schon. Der Abwehrkampf der Union gegen die AfD wird desto unglaubwürdiger, je heftiger CDU und CSU die Grünen umwerben. Wahlkämpfe sind keine vorgezogenen Koalitionsverhandlungen.
Die Union hält an der Brandmauer gegen die AfD fest und schließt eine Koalition aus.
Beim schwarz-grünen Pas de deux kommt hinzu: Ein Bündnis der Union mit der Habeck-Partei wäre nicht nur rasend unbeliebt, sondern auch dramatisch unglaubwürdig. Bürgerliche, geschweige denn konservative Politik lässt sich mit einer antibürgerlichen Sammlungsbewegung nicht umsetzen. Freiheit lässt sich nicht mit deren Verächtern sichern und Marktwirtschaft nicht mit deren Antagonisten. Mit Schwarz-Grün würde die linke Republik vollendet.
Aus all dem kann der Schluss nur lauten: Eine Union, die über Selbstachtung verfügt, muss die Grünen im Wahlkampf mindestens ebenso entschieden angehen wie die AfD. Wer mit den Grünen kuschelt, die AfD aber in den Schwitzkasten nimmt, ist kein glaubwürdiger Vertreter einer selbstbewussten bürgerlichen Politik.