Bund gründet Prüfstelle für Tariftreue

vor 3 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

Von Baugenehmigungen über Gaststättenerlaubnis, vom Antrag auf Elterngeld bis zur Brandschutzverordnung – für alles gibt es ein Formular, eine Vorschrift, ein Amt. Wer ein Gartenhäuschen errichten will, muss mitunter mehr Formulare ausfüllen als ein mittleres Start-up bei der Finanzierungsrunde. Der Imbisswagen braucht eine Hygienebelehrung nach §43 IfSG, einen Reisegewerbeschein sowie idealerweise einen Flucht- und Rettungsplan. Selbst für das Aufstellen eines Sonnenschirms auf dem Gehweg verlangen manche Kommunen eine kostenpflichtige Sondernutzungserlaubnis.

Der Wildwuchs in der öffentlichen Verwaltung entspringt dem generellen Misstrauen dezentralen marktwirtschaftliche Steuerungsprozessen gegenüber. Tief im Inneren der deutschen Seele ruht der Wunsch nach einem staatlichen Prüfsiegel, einer letzten Absicherung, bevor man eine wirtschaftlich relevante Entscheidung trifft – ein altes preußisches Kulturerbe. Um dem damit verbundenen Bürokratieärger wenigstens seelisch Linderung zu verschaffen, bedient sich die Politik regelmäßig eines rhetorischen Klassikers, dem des Versprechens des Bürokratieabbaus.

Selbstverständlich ist dies keineswegs ernst gemeint. Es ist nur eine rhetorische Finte, die Politikern in jeder kritischen Diskurslage aus der Patsche helfen soll. Bürokratieabbau klingt gut, es klingt bürgernah und suggeriert dem Wähler, noch immer Herr im eigenen Haus zu sein.

Auch Bundeskanzler Friedrich Merz und seine Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (beide CDU) bedienen sich der Leerformel Bürokratieabbau in regelmäßigen Abständen. Und der von den Medien zum „Wirtschaftsfachmann“ verklärte Merz hat seinen Phrasen-Almanach gut studiert:

„Wir müssen das Bürokratie-Monster in den Griff bekommen. … Es wird keine Gesetze mehr geben, die die Bürokratie weiter ausweiten. … Wenn es nötig ist, Regelungen zu treffen, müssen dafür mindestens zwei andere Regelungen aufgehoben werden, sonst machen wir es nicht.“

Das waren Merz’ Worte auf dem Deutschlandtag der Jungen Union in Halle im vergangenen Jahr. Da forderte der damalige Kanzlerkandidat sogar einen Einstellungsstopp für den Öffentlichen Dienst. Was man halt so erzählt, wenn man in Stimmung kommt und einen Saal voller junger Leute mit aufmunternder Wohlfühl- und Zukunftsprosa bespielt – Merz als ordnungspolitischer Luftbefeuchter.

In diesen Tagen erleben wir Merz in der Rolle des grünen Sozialdemokraten: Plakative PR-Events mit der Wirtschaft (das 600 Milliarden Euro Investitionspaket), die entfernt an Gerhard Schröders Fähigkeit erinnern, Nähe zur Wirtschaft zu simulieren, wechseln sich ab mit staatlichen Investitionspaketen und Schuldenprogrammen. Von Bürokratieabbau allerdings weit und breit keine Spur mehr. Wen interessiert schon ein Koalitionsvertrag? Etwa fünf Prozent des Inhalts dieses Papiers widmeten sich dem Abbau nutzloser Verwaltungsprozesse (für welche gilt dies nicht?). 20 Prozent der Verwaltungsvorschriften des Bundes wollte man eliminieren, die Bürokratiekosten der Wirtschaft um 25 Prozent senken.

Aber am Ende verhält es sich so, wie mit der Senkung der Stromsteuer: Koalitionsverträge dienen der Binnenstabilisierung von Parteien, ihre Wirkung nach außen ist belanglos. Lesen Sie den Vertrag als Negativ, damit er irgendeinen Sinn ergibt.

Folgt man der Auswertung des ifo-Instituts, das die jährlichen Bürokratielasten für die deutsche Wirtschaft auf 146 Milliarden Euro taxierte, böte aber gerade der Bürokratieabbau ein wirkungsvolles politisches Betätigungsfeld. Doch diesen wird es in Deutschland nicht geben. Kein Politiker würde ohne Not durch Effizienzmaßnahmen in der Verwaltung Arbeitsmarktstatistik und Wählerhoffnungen verhunzen. Bürokratiekörper sind politische Vorfeldorganisationen. Sie sind die machtvolle Signatur, dass der Staat auch im Wirtschaftsleben das Sagen hat.

Dass sich daran auf absehbare Zeit nichts ändern wird, stellt in diesen Tagen die Bundesregierung sicher. Nach der Errichtung des geisterhaften Digitalministeriums ist nun die „Prüfstelle Tariftreue“ das neueste Geschütz im Arsenal der Berliner Funktionäre. Sie könnte noch in diesem Jahr die Arbeit aufnehmen. Beheimatet ist die Behörde bei der Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (die gibt es wirklich). Sie soll zunächst mit 15 Planstellen besetzt werden. Kostenpunkt: schlappe 2,4 Millionen Euro.

Die Gesetzgebung zur Gründung machte federführend das Bundeswirtschaftsministerium unter Robert Habeck – einem „Fachmann“ für Bürokratieabbau und passionierten Mittelstandsadvokaten. Das Narrativ kennt man inzwischen: Man wolle den fairen Wettbewerb schützen, die Tarifbindung stärken und Lohndumping bekämpfen. Was bleibt, ist eine weitere Kontrollbehörde, die eine zusätzliche Schranke gegen freien Wettbewerb errichtet.

Der Großindustrie wird mit diesem Prozedere ein besseres Blatt zugespielt. Kleine und mittlere Betriebe sind tendenziell nicht in der Lage, den Zusatzaufwand, den eine größere Unternehmensverwaltung spielend bewältigen kann, gleichermaßen zu erbringen.

Auf Bundesebene gilt die Tariftreue ab einer Auftragsvergabe in Höhe von 50.000 Euro. Die Dokumentation, die durch die Unternehmen erfolgt, zwingt diese dazu, auch die Subunternehmer auf ihre Tariftreue hin zu überwachen. Ein bürokratischer Matroschka-Effekt, der am Ende nur eines bewirkt: Abschreckung. Die Bundesregierung führt mit dieser Behörde den nächsten Akt im Dauerbrenner „Bürokratie-Stadl“ vor: mehr Papier, mehr Beamte, mehr Formulare, höhere Kosten.

Wer den umfangreichen Dokumentationspflichten nach dem vorgegebenen Standard der Behörde nicht nachkommt, riskiert Sanktionen. Und wer den Aufwand nicht mehr stemmen kann, verabschiedet sich von vornherein aus dem Ausschreibungsprozess.

Währenddessen wird die deutsche Wirtschaft von den politikgemachten Wellen der Deindustrialisierung schwer erschüttert. Im vergangenen Jahr verlor der Standort 64,5 Milliarden Euro an Direktinvestitionen ans Ausland – ein dramatischer Befund über die tatsächliche Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Wirtschaftsstandorts.

Fatalerweise hat man in der Politik den Ernst der Lage noch immer nicht erkannt: Ideologie schlägt Ratio. Und die Klima-Agenda ragt als eiserner Monolith hervor, um den sich die Politik wie in einem Gravitationsfeld dreht.

Der unter diesen Bedingungen unvermeidliche Bürokratieaufbau wird flankiert von kontinuierlichen Abgabenerhöhungen. Seien es die steigenden Lohnnebenkosten, um die Löcher in der Sozialversicherung zu schließen, die stetig steigende CO2-Abgabe oder, so wie im letzten Jahr, höhere Mautabgaben und die als Reform getarnte drastische Erhöhung der Grundsteuern – das Leben in Deutschland wird zusehends unerschwinglich, weshalb auch Gastgewerbe und Hotellerie gerade ein reales Minus von vier Prozent im Vorjahresvergleich meldeten.

Friedrich Merz wird auch fiskalpolitisch das Erbe seiner Vorgänger fortschreiben und der treibende Faktor für den strukturellen Ausbau des Staatsapparates sein. Da sich der Abschwung fortsetzt, wird sich vermutlich auch dafür eine neue Behörde finden. Vielleicht eine Stabsstelle für Tariftreuezertifizierung in postindustriellen Übergangsphasen. Mit Kommission, Ombudsfrau (!), Beirat und Evaluierungsplan.

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