Ein Bundespolizist an der Grenze gesteht: „Zurückweisungen finden eigentlich fast täglich statt, aber mit diesem besonderen Wort Asyl sehr selten“

vor 16 Tagen

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Seit dem 7. Mai gelten in Deutschland verschärfte Grenzkontrollen. Nach Darstellung von Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) zeigten diese spürbar Wirkung. Doch trotz mehr Zurückweisungen gelangen Asylbewerber weiterhin ungehindert über wenig kontrollierte Abschnitte ins Land. An der Grenze berichten Polizisten: In der Praxis hat sich kaum etwas geändert.

„Die verstärkten Grenzkontrollen wirken“, verkündete Bundesinnenminister Alexander Dobrindt Mitte Mai mit sichtlicher Genugtuung bei einem Besuch an der deutsch-österreichischen Grenze. Laut Bild-Zeitung wurden in der ersten Woche nach Einführung der Maßnahmen 739 Menschen an der Grenze zurückgewiesen. Bis zum 22. Mai zählten die Behörden insgesamt 1.676 illegale Einreiseversuche. Für Dobrindt ist das ein Beleg dafür, dass seine Strategie aufgeht.

Doch bei näherem Hinsehen zeigte sich schnell, dass die Bilanz ernüchternd ausfällt.

Trotz verstärkter Kontrollen wurden im gleichen Zeitraum 1.535 neue Asylanträge beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gestellt – von Menschen, die offenbar trotzdem den Weg über die kaum gesicherten Abschnitte an Oder, Neiße, Donau oder Inn fanden. Die vermeintlich geschlossene Grenze weist also weiterhin große Lücken auf. Ein Blick auf die Zahlen relativiert den Effekt der Maßnahme zusätzlich: Von den 739 Zurückgewiesenen – in der ersten Woche – hatten lediglich 51 explizit ein Asylbegehren geäußert. Bis zum 22. Mai kamen insgesamt 123 Asylbewerber direkt an die Grenze, von denen letztlich nur 87 abgewiesen wurden. Für die Bundespolizei, die seither Zehntausende Überstunden leistet, ist das ein ernüchterndes Ergebnis.

Grenzkontrollen am Bundespolizeirevier Breitenau an der Autobahn 17 nahe der deutsch-tschechischen Grenze. Die Bundespolizeidirektion Pirna verschärft die Kontrollen an den Grenzen zu Tschechien und Polen.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) spricht von einer „Signalpolitik“ und lobt „Law-and-Order-Philosophie“. Die SPD hingegen bleibt zurückhaltend. Fraktionsvize Sonja Eichwede betont gegenüber Bild, dass temporäre Grenzkontrollen zwar kurzfristig Wirkung zeigten, langfristig aber nur eine gemeinsame europäische Asylpolitik für „Humanität und Ordnung“ sorgen könne.

Vor Ort allerdings zeigt sich bislang wenig Veränderung. An der Autobahnkontrollstelle in Sachsen berichtet Polizeihauptmeister Frank Rehbein, dass sich durch die neue Weisung faktisch nichts geändert habe, wie der Deutschlandfunk berichtet.

„Zurückweisung können wir ja schon seit dem 16. Oktober 2023. Ich würde sagen, für unsere Dienststelle hat sich nichts geändert. Also zahlentechnisch ist das genauso geblieben. Im konkreten Fall hat sich eigentlich nichts geändert, was diese Kontrolle betrifft. Zurückweisungen finden eigentlich täglich fast statt, aber mit diesem besonderen Wort Asyl sehr selten.“

Die meisten Zurückweisungen erfolgen laut Polizei, weil etwa ein Aufenthaltstitel aus einem Nachbarland abgelaufen ist oder Reisende irrtümlich glauben, mit einem Touristenvisum nach Deutschland einreisen zu dürfen. Grenzpolizist Rehbein:

„Bei vielen ist das Visum abgelaufen, bei vielen ist der Aufenthaltstitel, den sie in Tschechien haben, abgelaufen, und sie haben gedacht, sie können einreisen. Viele kommen wirklich touristisch und haben tatsächlich vergessen, dass sie nicht einreisen dürfen. Und dann werden sie zurückgewiesen.“

Neben diesen Routinemeldungen stoßen die Beamten immer wieder auch auf Personen, die unabhängig von Migration zur Fahndung ausgeschrieben sind. Überraschend selten hingegen seien seit Einführung der Kontrollen Schleuser unterwegs, die Geflüchtete illegal nach Deutschland bringen wollen – ein Nebeneffekt der Maßnahmen, den die Polizei durchaus registriert.

NIUS fragte die Bundespolizei, wie viele Personen seit den neuen Grenzkontrollen direkt an der Grenze ein Asylgesuch stellten, wie viele davon ins Bundesgebiet gelassen und wie viele zurückgewiesen wurden. NIUS wollte außerdem wissen, aus welchen konkreten Gründen Personen zurückgewiesen oder zugelassen wurden (z. B. Dublin-/Eurodac-Treffer, fehlende Vulnerabilität).

„Die Bundespolizei wird zu gegebener Zeit Feststellungszahlen zu den vorübergehend wiedereingeführten Binnengrenzkontrollen veröffentlichen. Derzeit ist es dafür noch zu früh. Bitte haben Sie Verständnis, dass gegenwärtig noch keine Aussagen zu möglichen quantitativen Veränderungen getroffen werden können.“

Im Ergebnis zeigt sich, dass Grenzkontrollen allein, selbst wenn sie in verschärfter Form stattfinden, nicht nennenswert ins Gewicht fallen. Nötig wären lückenlose Grenzkontrollen, was pragmatische Fragen ob der Realisierbarkeit aufwirft: Neben einem Grenzzaun wären auch verstärkter Drohneneinsatz und die Verwendung von Wärmebildkameras denkbar.

Klar ist: Sobald der grenznahe Raum überschritten wurde, können illegale Migranten nicht mehr zurückgewiesen oder zurückgeschoben werden – vollkommen unabhängig davon, ob man ihnen gewährt, im Landesinneren einen Asylantrag zu stellen.

Der Grund: Im Landesinnern kommt als Rückführungsvorgang nur noch eine Abschiebung infrage, die es gesetzlich erforderlich macht, das Zielland zu bestimmen. Und um das zu tun, muss das Dublinverfahren angewendet werden, das die Zuständigkeit für die Bearbeitung eines Asylantrags klärt.

Trotz politischer Inszenierung offenbart die Bilanz der verschärften Grenzkontrollen vor allem eins: Die Grenzen bleiben durchlässig, die Zahlen neuer Asylanträge sinken nur leicht. Ohne lückenlose Überwachung bleibt der Effekt der von der Union angekündigten „Migrationswende“ rein symbolisch.

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