
Eine taumelnde Republik fährt Karussell mit sich selbst. Wer die Debatte über die Regierungserklärung von Noch-Kanzler Olaf Scholz (SPD) verfolgt hat, geht nicht sehr hoffnungsvoll in den nasskalten Wahlwinter.
In einer gespenstischen Geschäftsordnungsdebatte, deren Sinn draußen im Land kaum jemand verstehen dürfte, einigen sich die Ampel, ihre Reste und die eigentlich opponierende Union darauf, bis zur Wahl überhaupt nur noch im Plenum öffentlich zu diskutieren, worauf man sich im politischen Kartell der Mitte im Hinterzimmer verständigt hat. Aus Angst vor AfD und BSW wird das Parlament kurzerhand dichtgemacht und zur Bühne für ein mehrmonatiges Kungelstück umfunktioniert. Dass das Bündnis Sahra Wagenknecht notgedrungen gemeinsam mit der AfD gegen diesen Klüngel mit Ansage stimmt, ist keine Allianz, sondern eine Art demokratische Notwehr auf verlorenem Posten.
Ein Kanzler ohne Mehrheit gibt eine Regierungserklärung ab, obwohl er längst nicht mehr regiert und sein machtvollster Akt noch die Vertrauensfrage ist, die ihn das Amt kosten soll. Mit geballten Fäusten und gespannten Handkanten erklärt Scholz das Ende seiner Koalition, redet schnell und mit auffälliger „Ich“-Frequenz. Eine verstörende Simulation von Tatkraft und Führungsstärke.
„Die Zeiten, in denen wir leben, sind verdammt rau“, sagt Scholz und schmückt sich noch kurz vor dem Abgang mit dem Telefonat „mit Präsident Trump“. Ausgerechnet sein seltsamer Schlingerkurs im Ukraine-Krieg soll wohl eine Art Vermächtnis sein: „Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Ukraine als demokratischer Staat eine gute Perspektive hat. Es darf keine Beschlüsse über die Ukraine hinweg geben“, sagt er. Dann: „Wir müssen alles dafür tun, dass dieser Krieg nicht weiter eskaliert und wir nicht Kriegspartei werden. Ich bin dagegen, das mit von uns gelieferten Waffen weit nach Russland hineingeschossen werden kann. Und ich werde meine Meinung nicht ändern.“
Scholz blickt während der Rede von Friedrich Merz demonstrativ ins Handy.
Dann geht er direkt in seinen ganz persönlichen Wahlkampf-Modus über, der offenbar darin besteht, mit Schulden zu reparieren, was die Staatskasse nicht hergibt: „Ich will vermeiden, dass es zu Verteilungskämpfen jeder gegen jeden kommt. Ich will, dass unser Land und unsere Demokratie stark bleiben. Das darf niemals zu Lasten unseres Zusammenhalts gehen. Ich werde die Bürger niemals für die Wahl stellen Sicherheit oder Soziales.“ Mit mir bekommt ihr alles, soll das wohl heißen. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sitzt schräg hinter ihm auf der Regierungsbank und lässt sich nicht anmerken, dass sein Kanzler gerade gegen ihn seine Spitzenkandidatur zu verteidigen sucht.
„Geisterstunde“, nennt CDU-Chef Friedrich Merz diese Rede. „Das ist nicht von dieser Welt. Sie leben in ihrer eigenen Welt. Sie haben nicht verstanden, was draußen los ist im Land“, sagt er. Scholz suggeriere Zusammenhalt und spalte in Wahrheit das Land. „Donald Trump kennt ihren Namen bloß aus dem G20-Gipfel in Hamburg, den sie so grandios organisiert haben. Der wird sie wie ein Leichtgewicht abtropfen zu lassen.“ Solche Tiraden sind offenbar zulässig. Scholz Rausschmiss von Lindner dagegen sei „unwürdig“ gewesen.
Verstörend auch, dass offenbar keine der von sich nur als „demokratische Parteien“ sprechenden Politiker eine Idee davon haben, wie sie mit der in Umfragen bei knapp zwanzig Prozent stehenden AfD umzugehen gedenken. Man werde nur Themen auf die Tagesordnung setzen, wettert Merz, „über die wir uns zuvor geeinigt haben“, damit keine einzige Stimme von „denen da“ komme. Dass „die da“ nicht verschwinden werden und von mehreren Millionen Menschen gewählt werden, scheint da egal zu sein.
Und auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kommt in seiner Jungfernrede im Bundestag nicht umhin, gleich eingangs auf die AfD einzutrümmern: Man könne über die Ampel sagen, was man wolle, aber das „sind Demokraten, und das ist der Unterschied zu dem selbstgerechten Geschrei, das wir gerade gehört haben. (...) Sie sind die Handlanger Putins. Sie wollen ein anderes Land. Deshalb werden wir ihnen das Land nicht überlassen. Zu keiner Zeit.“
Rat- und Machtlosigkeit, Selbstgerechtigkeit und wohlfeile Polit-PR brechen sich in dieser Debatte Bahn, die am Ende einer vermurksten Ampel-Ära seltsam unpassend wirken. „Manchmal ist eine Entlassung auch eine Befreiung“, sagt Christian Lindner, der an diesem Tag nur noch FDP-Abgeordneter ist. „Die Regierung Scholz ist auch daran gescheitert, dass wir im Kabinett nicht mehr über dasselbe Land gesprochen haben. Wer schon nicht die Realität beschreiben kann“, so Lindner, komme in der Politik nicht weit. Der FDP-Chef bemüht sich sichtlich, in Stil und Wortwahl sich abzusetzen vom Getöse der Rechtfertiger (Scholz) und aggressiven Angreifer (Merz, Söder). Der Liberale will zurück ins politische Spiel, in dem er gerade gescheitert ist, und er versucht es als einziger mit einem Ton, der auch eine Spur Demut erkennen lässt. Zu Recht.
Lindner und Scholz würdigen sich im Parlament keines Blickes.
Es ist ein zuweilen surreales Stück, das da aufgeführt wird vor den interessierten Bürgern des Landes. „Für uns kommt es jetzt darauf an, die richtigen Entscheidungen zu treffen“, sagt Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), die kurioserweise ihren kanzlerkandidierenden Konkurrenten Robert Habeck vertreten muss, der mit seinem Regierungsflieger wegen einer Panne nicht rechtzeitig kommen konnte. Sinnlose Wohlfühlsätze, vorgetragen in kämpferischer Pose gegen das grüne Stimmungstief. „Sicherheit in unsicheren Zeiten geben“ wollen die, „unser wunderbares Land ist stark“, sagt sie und spricht über den Busfahrer, der jeden Morgen aufsteht, „weil meine Nachbarn mich brauchen“. Schöne grüne Welt, in der Busfahrer nicht fürs Gehalt, sondern aus Solidarität für die Nachbarn arbeiten. Söder pumpt derweil sichtlich die Backen auf. „Die Klimakrise ist die größte Sicherheitsgefahr auf dieser ganzen Welt“, sagt Baerbock.
Der Bayer (Franke!) versucht in seiner ersten Rede im Bundestag eine Mischung aus staatstragendem Ernst und seinen traditionellen Standup-Comedy-Nummern. Symbolhaft sei es, sagt er, „dass gerade heute mal wieder ein Regierungsflieger ausfällt.“ Ein Symbol für die gescheiterte Wirtschaftspolitik. „Robert Habeck ist das Gesicht der Rezession“, der in seinem Bewerbungsvideo um die Kanzlerschaft den Deutschne „droht, in ihre Küchen zu kommen.“ Der Rücktritt sei stattdessen fällig, und wenn Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) die gute Zusammenarbeit mit Habeck lobe, könne er ihn gern zurücknehmen. Bierzelt Bundestag mitten in Berlin.Für die AfD liefert Alice Weidel eine Art Attacken-Feuerwerk, spricht von der Demut, die Scholz habe vermissen lasse, vom Verfassungsschutzchef, der jetzt CDU-Bundestagsabgeordneter werden wolle. Sie nennt Merz einen „Ersatz-Scholz“ - da muss selbst der Kanzler unfreiwillig lachen. Angela Merkel sei „die beste Kanzlerin gewesen, die die Grünen jemals hatten“ und mit ihrem „Willkommensputsch, die Mutter aller Sünden“. Es ist der aggressive Ton einer Opposition, die sich an die Übereinkünfte der anderen nicht halten muss, weil Ausgesperrte sich eben mit der Straße solidarisieren, nicht mit den politischen Salons, zu denen sie nicht zugelassen sind.
„Dem deutschen Volke“, das draußen am Sims des Reichstags als Inschrift verewigt ist, präsentierte sich in dieser Debatte des Ampel-Abgesangs eine politische Welt für sich: Gescheiterte, die keine Fehler gemacht haben und wieder antreten wollen. Gegenspieler, die ihre mit den Gescheiterten vermutlich weitermachen müssen und hoffen, dass die verachtete Schmuddel-Konkurrenz von rechts und links ihnen nicht zu nahe kommt. Am Ende senkt sich eine gnädige Dämmerung über das Regierungsviertel, durch die die Kuppel des Reichstags weithin leuchtet. Ein Licht im politischen November.
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