
Wenn man als Freier Wähler im Westen umfällt, dann muss man schnell mit Angriffen gegen Kollegen aus dem Osten kontern, die eine Politik des gesunden Menschenverstandes betreiben – zur Ablenkung versteht sich. Mit seiner Zustimmung zum skandalösen Akt der Monster-Staatsverschuldung in Billionenhöhe hatte sich Bayerns Wirtschaftsminister und Landeschef der Freien Wähler Hubert Aiwanger unglaublich blamiert.
Erst hat Aiwanger laut zum Billionenschuldenpaket von CDU-Möchtegernkanzler Friedrich Merz getönt: „Wir sagen Nein“. Schon nach fünf Tagen fiel er um. „Wenn wir Freien Wähler nicht eingelenkt hätten, wären wir am Freitag nicht mehr in der Regierung“, klagte er weinerlich. Die CSU hätte dann ohne die Freien Wähler im Bundesrat zugestimmt. Soso.
Wohl, um von dieser Blamage abzulenken – die Freien Wähler sind offensichtlich im Westen keine Alternative mehr zu Union, SPD, Grünen und Linken –, attackieren diese Verlierer ihre konservativen Kollegen im Osten. Im Visier: Sachsens unabhängiger Freier Wähler Matthias Berger.
Der langjährige Oberbürgermeister von Grimma, er amtierte dort zwei Jahrzehnte, will die undemokratische Brandmauer zur Alternative für Deutschland (AfD) nicht aufrechterhalten, sondern im Gegenteil, sie als gebranntes Kind des DDR-Mauerbaus niederreißen. Verständlich: Brandmauern 35 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs passen nicht zu einer Demokratie – sie schaden.
Im diktatorischen Stil der Grünen verlangt jedoch der Bundesvorstand der Freien Wähler jetzt vom sächsischen Landtagsabgeordneten, er solle sich gefälligst von seiner teilweisen Zusammenarbeit mit der AfD distanzieren. Berger dürfe ab sofort Logo, Namen und Erscheinungsbild der Freien Wähler nicht mehr nutzen. Doch anders als CDU-Bundestagspräsidentin Julia Klöckner fällt Berger nicht um.
Denn die Anordnung bedeutet im Grunde: Wer sich im Gegensatz zum Bundesverband wie ein Demokrat verhält und mit den 40 Parlamentskollegen der größten Oppositionspartei in Sachsen redet, die bei der Bundestagswahl im Februar 38,5 Prozent erzielte, ist für die Oberen der Freien Wähler untragbar. Spätestens jetzt wird klar, diese Truppe ist im Westen überhaupt keine Alternative mehr zum Altparteienkartell.
Doch die Ostdeutschen halten zusammen gegen die Diktate des Bundesverbands aus dem Westen. Der Landesverband der Freien Wähler in Sachsen stellt sich im Streit des Bundesverbands mit dem Landtagsabgeordneten Matthias Berger hinter seinen Parlamentarier.
„Wir halten die sogenannte Brandmauer gegenüber der AfD nach wie vor für nicht hilfreich. Die AfD ist hinter dieser Brandmauer sowohl in Sachsen als auch bundesweit stärker geworden“, mahnt Sachsens Landesvorsitzender Thomas Weidinger. Die Freien Wähler würden „die AfD und insbesondere die 37 Prozent der sächsischen Wähler, die diese Partei bei der vergangenen Bundestagswahl gewählt haben“, nicht ausgrenzen.
Abgrenzen statt Ausgrenzen, lautet Weidingers Devise. „Die Landesvereinigung Sachsen wird wie mit jedem anderen kommunalen Freie-Wähler-Akteur in Sachsen auch mit Matthias Berger weiter zusammenarbeiten“, so Sachsens Landeschef abschließend. Obendrein sei der Direktkandidat nicht Mitglied der Partei und damit auch nicht weisungsgebunden. Allerdings ist Berger Mitglied beim FREIE WÄHLER Grimma e.V.
Insofern ist das Diktat des Bundes schon eine Ungeheuerlichkeit.
Matthias Berger reagiert im Gespräch mit Tichys Einblick entspannt, aber kritisch: „Ich bin wohl einer der wenigen Politiker, der nach der Wahl das macht, was er vor der Wahl versprochen hat. In meinem Fall, mit allen zu reden.“ Aiwanger und Merz können da jedenfalls nicht mithalten. Im Gegenteil: Sie haben ihre Wähler schlussendlich betrogen. Berger hingegen steht für eine Politik des gesunden Menschenverstandes. Das stört die Etablierten gewaltig.
Wie Matthias Berger gegenüber Tichys Einblick weiter berichtet, hatte er bereits im September 2024 ein Schreiben von der Bundespartei bekommen: Er solle sich umgehend dem Abgrenzungsbeschluss der Freien Wähler zur AfD unterwerfen. „Das habe ich natürlich nicht gemacht und das auch in einer Zoom-Konferenz begründet“, sagt Berger Tichys Einblick. Er stellte später zudem noch einmal klar, dass für ihn eine Abgrenzung zur AfD nicht in Frage kommt.
Foto: © Olaf Opitz. Matthias Berger mit Jagdhund Apoll in seinem Gartenreich im Muldental
Denn das Wahlprogramm der Freien Wähler Sachsens basiere schließlich auf drei Grundsätzen. Erstens, wir reden mit allen. Zweitens, wir bauen Brücken und keine Mauern. Drittens, eine gute Idee ist eine gute Idee – egal, von wem sie kommt.
Diese drei Punkte gehörten für ihn zu den Säulen der Demokratie. Berger erklärt zudem Tichys Einblick, er kenne bis heute keine Beschlüsse des Bundesvorstandes, ihm sei dazu nichts übermittelt worden, sondern nur über die Presse. Den Stil des Bundesvorstandes findet Berger daher inhaltlich wie auch in der Art und Weise höchst fragwürdig. Und die Anordnung des Bundesvorstandes kontert er mit: „Ich bleibe Freier Wähler des Grimmaer e.V.“.
„Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“, beschrieb der Autor sein Porträt über Berger im Oktober vergangenen Jahres. Inzwischen fürchtet sich das links der Mitte ausgerichtete politische Meinungskartell bereits vor einem einzelnen Demokraten. Der Bundesvorstand der Freien Wähler jedenfalls hat mit seinen politischen Umfallern und dem Diktat gegen einen unabhängigen Parlamentarier bewiesen – jeder blamiert sich vor seinen Wählern, so gut er kann. Und das können die Aiwangers sehr gut.