Bundesverfassungsgericht: die maskierte Kandidatin

vor etwa 3 Stunden

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Die Entscheidung über die neuen Richterstellen am Bundesverfassungsgericht steht noch immer aus. Bekanntlich kam es im Juni nicht zur geplanten Abstimmung im Bundestag. Dann zog eine der beiden SPD-Kandidatinnen, Frauke Brosius-Gersdorf, ihre Kandidatur zurück. Erstens, weil ihr und der Partei klar wurde, dass sie die erforderliche Zweidrittelmehrheit im Parlament nicht erreicht, zweitens, weil sich in ihrer Doktorarbeit zahlreiche erklärungsbedürftige Stellen finden, die sich entweder ganz oder weitgehend mit der Promotionsschrift ihres Mannes decken. Sollte ihr der Doktortitel entzogen werden, wäre wohl auch ihre Professur hinfällig. Die wiederum gehört zu den notwendigen Voraussetzungen für den zu besetzenden Posten.

Nachdem die SPD-Führung ungefähr ein Dutzend Mal erklärte, sie werde auf jeden Fall an Brosius-Gersdorf festhalten, trat die Juristin dann doch den unfreiwilligen Rückzug an – und die Sozialdemokraten mussten von vorn auf Suche gehen. Für die Findungskommission gibt es eine selbstauflegte formale Beschränkung: Die vorgeschlagene Person soll erstens wieder eine Frau sein, und zweitens wie die Vorgängerin aus dem „progressiven Lager“ stammen, um den koalitionsmüden linken Parteiflügel zufrieden zu stellen. Diese Aufgabe meldete Fraktionschef Michael Miersch als gelöst.

Jedenfalls schicken sie ihre Bewerberin für ein Amt, in dem jemand 12 Jahre die Rechtsordnung der Republik mitprägen darf, nur mit Tarnkappe auf den Weg. Denn bis heute sehen SPD und Grüne den Grund für das Scheitern von Brosius-Gersdorf nicht etwa in dem Umstand, dass sie mit ihren Ansichten zur Menschenwürde, zum Wahlrecht und zum Ehegattensplitting gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht – sondern in der Tatsache, dass sich Medien außerhalb des ARD-ZDF-SPIEGEL-Süddeutsche-Komplexes damit beschäftigten und eine öffentliche Debatte in Gang brachten. Für einen solchen Vorgang gilt nun offenbar bei linken Parteien das Motto: „Die Vergangenheit mahnt. Nie wieder“. Hoffentlich, meint der zu Scherzen aufgelegte Beobachter, erfahren wenigsten die Bundestagsabgeordneten, die über die Besetzung entscheiden, vor der Abstimmung den Namen der maskierten SPD-Juristin.

Aber wieso eigentlich? Die BILD zitiert ein Vorstandsmitglied der SPD mit den Sätzen: „Scheitert die Richterwahl wieder an der Union, steht auch die Regierung vorm Scheitern. Mir fehlt die Fantasie, wie wir dann noch irgendwas mit CDU und CSU beschließen wollen.“ Mit anderen Worten: Die Abgeordneten der Union müssen sowieso wählen, wen die SPD bestimmt, egal, welche Ansichten sie vertritt. Wozu müssen sie dann ihren Namen kennen? Die zweite Kandidatin Ann-Katrin Kaufhold, die an der Vorbereitung des offenbar verfassungswidrigen Berliner Enteignungsgesetzes mitwirkte, steht schließlich weiter zur Wahl. Bis jetzt traut sich die Unionsfraktion nicht, sie offen abzulehnen. Wie die Abgeordneten dann geheim entscheiden, steht allerdings dahin.

Darin besteht aus Sicht des Linksblocks und wohl auch der Unionsfraktionsführung das größte anzunehmende Ärgernis. Die Fraktionsspitze der Grünen bezeichnete das schon mehrmals als Skandal; SPD-Parteichef Lars Klingbeil mahnte, so etwas dürfe sich „nicht wiederholen“. Bliebe der SPD-Vorschlag Nummer zwei einfach geheim, gäbe es bei der Union zumindest deutlich weniger Gewissensbisse. Und eigentlich braucht die Öffentlichkeit auch nach erfolgter Kür nicht zu erfahren, wer ins Verfassungsgericht einrückt. Bürger, die unsere Demokratie stützen, wissen auch so, dass es sich um eine gute Entscheidung handelt. Und wer partout nach einem Namen verlangt, zeigt damit nur, dass er demokratischen Institutionen misstraut.

Das Amt eines Sonderermittlers gegen eine bestimmte Partei kennt die deutsche Rechtsordnung zwar nicht, bei Parteiverboten gibt es außerdem strafrechtlich nichts zu ermitteln. Unabhängig wäre der Sonderermittler also nur vom Grundgesetz. Aber wenn es um die Beseitigung einer Partei geht, die der Inlandsgeheimdienst als verfassungsfeindlich einstuft, dürfen verfassungsrechtliche Hürden eben nicht störend im Weg stehen. Der SPD-Politiker merkte noch an, er beurteile „das nicht juristisch oder politikwissenschaftlich, sondern aus Sicht eines Parlamentariers und Familienvaters“.

An die Denkfigur des Sonderermittlers schließt sich die eines Sondergerichtes eigentlich logisch an. Denn auch bei aller Sorgfalt bei der Postenbesetzung kann man einem Verfassungsgericht nie ganz über den Weg trauen – ein Rest Unsicherheit, wie das Urteil ausfällt, bleibt immer, genauso wie bei einer geheimen Wahl. Diese ewig kippligen und am Ende nie ganz steuerbaren Verfahren erweisen sich als wahre Krux für Unseredemokratie. Ein extrakonstitutionelles Höchstgericht, besetzt mit anonymen Kräften, könnte da Abhilfe schaffen. Dort entscheiden die Richter und Richterinnen vielleicht nicht immer als Verfassungsjurist, dafür aber Familienvater oder -Mutter, Rechtshänder und Nichtraucher.

Demokratie – das darf kein Risiko sein.

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