
Manchmal sagt ein Satz schon alles. Rumäniens geschäftsführender Staatspräsident Ilie Bolojan, zugleich geschäftsführender Vorsitzender der einstigen Volkspartei PNL (nominell konservativ), hat einen neuen, geschäftsführenden Ministerpräsidenten ernannt, verkündeten die rumänischen Medien am Dienstagmorgen.
So viel „geschäftsführend” in einem Satz signalisert, was in Rumänien derzeit los ist: Die Welt der bisherigen politischen Eliten implodiert.
Catalin Predoiu heisst der neue Regierungschef. Fun fact: Er ist der Mann, der am häufigsten Ministerpräsident war – dies ist seine dritte Tour. Allerdings immer nur auf wenige Tage. Er wird immer dann hervorgezaubert, wenn mal wieder ein Ministerpräsident zurückgetreten ist, und man einen Lückenfüller braucht bis der nächste ernannt wird. Es gab in den 35 Jahren seit der Wende 32 Wechsel im Ministerpräsidentenamt, davon elfmal „geschäftsführend”. Predoiu ist ansonsten ein erfahrener, mehrfacher, langjähriger Minister (Justiz, Inneres).
Zuvor war der bisherige Regierungschef Marcel Ciolacu zurückgetreten. Zugleich hatte er mit seiner Partei, der sozialdemokratischen PSD, die bislang regierende Koalition mit der PNL und der Partei der ungarischen Minderheit (UDMR) verlassen. Damit zog er die Konsequenz aus dem katastrophalen Ergebnis des Kandidaten der Regierungskoalition, Crin Antonescu, in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl am 4. Mai. Antonescu war mit nur 20 Prozent der Stimmen nicht einmal in die Stichwahl gekommen. Das Ergebnis bedeutet, dass die Koalition, die erst am 1. Dezember bei den damaligen Wahlen eine Parlamentsmehrheit errungen hatte, nach nur fünf Monaten im Amt kaum noch Unterstützung hat in der Gesellschaft.
In einer Situation, in der noch nicht klar ist, wer am Ende die Stichwahl am 18. Mai gewinnt und Staatspräsident wird, muss also nicht nur ein neuer Regierungschef, sondern eine neue Regierungskoalition entstehen. Ohne die PSD gibt es aber keine Mehrheit für „proeuropäische” Parteien im Parlament.
George Simion, der die erste Runde der Präsidentschaftswahl mit 41 Prozent der Stimmen so klar gewann, dass er auch als Favorit für die Stichwahl gilt, hat dazu eine ganz eigene Idee. Der Chef der nationalistischen AUR-Partei will Calin Georgescu mit der Regierungsbildung beauftragen. Als Staatspräsident hätte er dazu das Recht. Georgescu hatte im vergangenen November die damalige erste Runde der Präsidentschaftswahl gewonnen, die dann aber vom Verfassungsgericht storniert wurde – mit der Begründung, er werde von Russland unterstützt (was nicht klar belegt werden konnte). Eine Kandidatur Georgescus als Regierungschef dürfte sicherlich ebenfalls vor Gericht angefochten werden.
Erst muss Simion aber die Stichwahl gewinnen, gegen den Bukarester Bürgermeister Nicusor Dan. Er kandidiert als Unabhäniger, aber im Laufe des Wahlkampfes stellte sich die liberale, ursprünglich von ihm selbst gegründete Protestpartei USR hinter ihn (obwohl sie ihn vor Jahren aus der Partei geworfen hatte, weil er eine Annährung an die Mainstreamparteien suchte). Für die Stichwahl haben auch die konservative PNL und die Ungarn-Partei UDMR dazu aufgerufen, für ihn zu stimmen. Die PSD des zurückgetretenen Premiers Marcel Ciolacu weigert sich, eine Wahlempfehlung zu geben.
Nicusor Dan hat sich gegen neue Parlamentswahlen ausgesprochen (kein Wunder, diese würde die AUR gewinnen). Stattdessen empfahl er eine Minderheitskoalition aus USR, PNL und UDMR, die von der PSD informell unterstützt werden könnten. Besonders stabil klingt das nicht.
Und so sind vorgezogene Parlamentswahlen früher oder später eine realistische Option. Die würden bei derzeitigem Stand der Dinge einen klaren Sieg der AUR und der mit ihr verbündeten Rechtsparteien SOS und POL bringen.
Rumänien steht an der Schwelle zu einem kompletten Systemwechsel. Die Welt der proeuropäischen, Nato-treuen Mainstreamparteien kollabiert.