
Man kann nicht sagen, dass Politiker in Deutschland mehr arbeiten müssten. Die meisten sind in der Tat gut ausgelastet. Mehr nachdenken vor dem Sprechen wäre dagegen wünschenswert. Was reitet zum Beispiel die Union, eine Debatte darüber zu führen, dass die Deutschen mehr arbeiten müssen? CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann brachte es am Sonntagabend bei „Caren Miosga“ sogar fertig, auf die Frage, wer denn genau mehr arbeiten müsse, zu antworten: „Zum Beispiel Rentner in Deutschland.“
Wie bitte?
Man kann gern darüber diskutieren, ob höhere Lebenserwartung zu längerer Lebensarbeitszeit führen muss, wie der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen bei „Schuler! Fragen, was ist“ gut begründet vorrechnet. Bei der Frage nach Mehrarbeit aber als Erstes auf die Rentner zu zeigen, ist nicht nur parteitaktisch unklug, wenig sympathisch, sondern vor allem auch völlig abwegig. Wenn eine Rentnergeneration sich für dieses Land aufgerieben hat, dann ist es die aktuelle, und es werden auch noch diejenigen Rentner sein, die in den kommenden Jahren in Ruhestand gehen.
Freizeitkult, Recht auf Homeoffice oder gar „Work-Live-Balance“ können die meisten der heutigen Rentner kaum buchstabieren, geschweige denn sich darunter etwas vorstellen. Vieles spricht dafür, dass Außenkanzler Friedrich Merz (CDU) in seiner inzwischen schon einigermaßen gefürchteten Sprunghaftigkeit die Klage über Berufseinsteiger aufgeschnappt hat, die sich im Ein- oder Vorstellungsgespräch mehr als vier Tage Arbeit pro Woche nicht vorstellen können und gerade vor und nach Wochenenden gern von zu Hause arbeiten. Darüber kann man gern debattieren – vor allem zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften.
Friedrich Merz spricht im Deutschen Bundestag.
Von politischen Parteien, Kanzlerparteien zumal, kann man allerdings erwarten, dass sich Experten mal kurz über solche Themen beugen und einen Augenblick darüber nachdenken, ob es für eine gesellschaftliche Debatte taugt. Es ist schon einigermaßen kurios, wenn Carsten Linnemann im gleichen Gespräch erklärt, das Arbeits- und Sozialministerium sei sein großes politisches Ziel, um danach kein Wort darüber zu verlieren, dass man zunächst die Frühverrentung („Rente mit 63“) abschaffen könnte und müsste. Die bittere Wahrheit ist, dass die Politik nicht in der Lage ist, den Fehler der Frühverrentung zu korrigieren, weil selbst unsinnige soziale Besitzstände in Deutschland nicht mehr korrigierbar sind und vom Koalitionspartner SPD mit Zähnen und Klauen verteidigt werden. Wenn nun also der subventionierten „Rente mit 63“ die subventionierte „Aktivrente“ für länger arbeitende Rentner beigestellt wird, ist das die konsequente Fortsetzung eines sozialpolitischen Irrwegs der feigen Konfliktvermeidung mithilfe von Steuergeld.
Viel schlimmer aber ist das bewusste, nicht heimliche, sondern ganz gezielte Wegducken von Union und Politik insgesamt beim auch für den Arbeitsmarkt zentralen Thema Migration. Laut Statistischem Bundesamt haben im Januar 2025 in Deutschland durchschnittlich rund 1,88 Millionen erwerbsfähige Ausländer Bürgergeld bezogen. Insgesamt bezogen rund 2,6 Millionen Ausländer Bürgergeld. Eine Belastung für die Sozialkassen, die die Lohnzusatzkosten für Arbeitgeber und Arbeitnehmer in die Höhe treiben.
Bevor man Rentner als eine Art Wohlstandsreserve anlocken will, sollte man sich zunächst ehrlich machen: Asyl- und Schutzmigration in die Sozialsysteme wird diese früher oder später sprengen. Selbst Migranten, die in Arbeit sind, führen zu großen Teilen einfache Hilfstätigkeiten aus, von denen man zwar leben kann, die aber langfristig in die Grundsicherung führen.
Mit dem Thema Renten wirbt die SPD im Wahlkampf.
Mit anderen Worten: Migration, die nicht restriktiv auf gut ausgebildete Facharbeiter, Forscher oder Top-Leute begrenzt wird, zieht den sozialen Saldo nach unten. Familiennachzug (nicht nur bei subsidiär Schutzsuchenden, sondern auch bei Eingebürgerten!), ist für das Sozialsystem ein Riesenproblem, weil Menschen nachgeholt werden, die eben keine tragfähige Erwerbsbiografie mehr begründen. So menschlich verständlich der Nachzug auch sein mag. Die Union will dieses Thema aber nicht anfassen, weil die SPD nicht mitspielt, Grenzkontrolle mit Europarecht schwierig ist und man fürchtet, dass es die AfD bestätigt und ihr Zulauf verschafft. Man mag das verstehen, akzeptieren muss man es gleichwohl nicht.
Zehn Jahre nach dem Migrationsherbst 2015 müsste sich die Politik endlich dazu aufraffen, die bittere Wahrheit zu sagen: Migranten werden nicht die Rente der Deutschen zahlen und auch nur zu einem kleinen Teil die Pflege übernehmen. Pflege, die übrigens über die Pflegeversicherung auch erst mit guten Vollzeitjobs bezahlt werden muss. Und auch die Geburtenraten in Deutschland steigen durch Migration nicht signifikant, was der einzige Weg wäre, um das Umlage-Sozialsystem wieder stabiler zu machen.
CDU-Generalsekretär Linnemann im Gespräch mit ARD-Moderatorin Caren Miosga
Die bittere Wahrheit ist: Das Programm der Union heißt Friedrich Merz. Wieder regieren, den Kanzler stellen. Für ein Land, das auf nahezu allen Politikfeldern in der Krise steckt, ist es zu wenig, zwischen Tirana und Turku (Finnland) für Europa und Ukraine unterwegs zu sein, während es im Konrad-Adenauer-Haus ganz offensichtlich nicht einmal dafür reicht, einen Talkshow-Auftritt strategisch vorzubereiten, sich nicht auf eine sinnlose Debatte über das Ausweiten der geleisteten Arbeitsstunden einzulassen, wenn die Arbeit in Deutschland durch hohe Energiepreise und Bürokratie viel zu teuer, nicht innovativ und viel zu ineffektiv ist. An einem unrentablen Standort einfach nur mehr zu produzieren, wird nicht funktionieren. Stattdessen wird bei „Miosga“ eine halbe Stunde über die Frauenquote diskutiert, mit der die Union nun wirklich nichts mehr gewinnen kann. Deutschland geht es nicht schlecht, weil es keine Bundespräsidentin gibt. Sich endlich einmal von diesem Lieblingsthema der Linken zu lösen, wäre ein Lichtblick gewesen.
All das bereitet ein schlagkräftiges Partei- und Regierungsteam vor, entwirft Linien für einen klaren Kurs gegen ideologisches Medienumfeld und einen Koalitionspartner, der über weite Strecken das Gegenteil von dem will, was die Union für sinnvoll hält. Wenn man sich schon in einen selbstgewählten Brandmauer-Kerker begibt, sollte man zumindest versuchen, den „Politikwechsel“ zu signalisieren, den man versprochen hat. Wenn man ihn schon nicht umsetzen kann.
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