Carsten Linnemann (CDU) bei Miosga: Rentner müssen mehr arbeiten

vor 21 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

Denkt Carsten Linnemann an seine Heimat, empfindet er tiefen Schmerz. Aber nicht etwa, weil in Bielefeld ein Syrer wahllos auf eine Gruppe feiernder Menschen einstach und dabei fünf Männer teils schwer verletzte. Nein, der CDU-Generalsekretär empfindet tiefen Schmerz, weil sein SC Paderborn den Aufstieg verpasst hat.

Nun gut – weder das Attentat, noch die Fußballpleite haben etwas mit dem eigentlichen Thema der Sendung zu tun. Doch das eine wird minutenlang zelebriert, das andere komplett ignoriert. So geht Talkshow-Themensetzung heute.

Linnemann darf seine Fußball-Chose so richtig überladen, und das kann er ja bekanntlich besser als ein pakistanischer Trucker. „Wenn wir knapp verlieren, brauche ich fünf, sechs, sieben, acht Stunden, um das zu verdauen. Das ist brutal. Viel schlimmer als die Politik. Fußballniederlagen sind viel schlimmer als politische.“

Was Deutschland mit dem Linnemann’schen Vorbeischlittern an einem Ministeramt möglicherweise erspart geblieben ist, machen seine weiteren Aufführungen an diesem Abend deutlich. Mit arbeitswirtschaftlichen Zusammenhängen jedenfalls scheint er es nicht so sehr zu haben. Er soll erklären, warum Merz und auch er selbst den Deutschen jüngst vorgeworfen hat, sie seien nicht produktiv genug, sie sollten gefälligst mehr, härter und effizienter arbeiten.

Linnemann versucht es mit Ablenkung: Es gebe Zehntausende, „die das Sozialsystem ausnutzen“, stöhnt er. Außerdem beklagt er, „dass wir soviel Steuern bezahlen, dass die Beschäftigten das Gefühl haben, es lohnt sich gar nicht mehr zu arbeiten.“

Das aber war nicht das Thema, und Miosga muss mehrfach nachhaken. Eine Antwort bleibt er dennoch schuldig. Die Pauschalattacke auf die deutsche Arbeitnehmerschaft kann oder will Linnemann nicht aus der Welt reden. Christiane Benner, Vorsitzende der IG Metall (und SPD-Mitglied), kontert: „Wir brauchen Respekt für die Menschen in diesem Land. Wenn ich Beschäftigte beschimpfe, dann kriege ich keine Zuversicht, dann kriege ich Frust. Deshalb verstehen wir nicht diese Debatte, die ja wirklich Menschen beleidigt.“

Doch auch Moritz Schularick scheint die Deutschen für latent faul zu halten. Der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft Kiel erzählt, dass „wir etwa 30 Prozent weniger als unsere polnischen Nachbarn“ arbeiten. Daraus schließt er messerscharf, dass wir kinderleicht ein 30 Prozent höheres Bruttoinlandsprodukt erwirtschaften könnten. Die Abschaffung von Feiertagen bringe zwar „nur einen niedrigen Milliardenbetrag“, sei aber „ ein klares Signal“ und „ein sinnvoller Schritt“, denn „wir sind im europäischen Vergleich nicht mehr die Fleißigsten“. Schularick: „Vielleicht haben wir uns in den Jahren des wirtschaftlichen Erfolgs gewisse Dinge ein bisschen bequem gemacht.“

Linnemann kontert mit Bayern, das mehr Feiertage habe als der Bundesdurchschnitt und trotzdem „ein tolles Wachstum“. „Wenn’s nach Bayern ginge, müssten wir eigentlich noch mehr Feiertage haben“, sagt er und erntet dafür ein einsames „Bravo“ aus dem Publikum. So angespornt, versucht er es erneut mit dem Bürgergeld-Bashing, was ihm Miosga jedoch sofort austreibt.

Wer arbeitet denn nun zu wenig, will die Moderatorin wissen. Linnemann führt allen Ernstes als Erstes die Rentner an und wirft seinen ultimativen Rettungsanker in die trübe Talksuppe: die „Aktivrente“, die er seit Monaten durch jede Talkshow prügelt. Rentner sollen danach 2000 Euro steuerfrei dazu verdienen können. So werde erreicht, „dass Zehntausende, vielleicht sogar eine sechsstellige Zahl in den nächsten Jahren länger arbeiten“, jubiliert er. Auf X setzt es umgehend die ersten höhnischen Kommentare. Beispiel: „Spannend: Von ‚Flüchtlinge zahlen unsere Renten‘ zu ‚Rentner müssen mehr arbeiten‘ hat es nur zehn Jahre gedauert.“ Oder: „Was Rente ist, scheint bei ihm noch nicht angekommen zu sein.“

Viele Arbeitnehmer würden schon das normale Renteneintrittsalter kaum schaffen, klagt Gewerkschafterin Benner, etwa weil die Arbeit körperlich zu anstrengend sei. So ein Problem einem Politiker zu verklickern, ist allerdings eine Herkulesaufgabe. Das Problem, so Benner seien „‘ne Menge Frauen, die in Teilzeit sind, die würden gern länger arbeiten“. Man solle außerdem „investieren in Bildung, in Kitas“, denn das würde dann langfristig auch gleich den vielbeklagten angeblichen „Fachkräftemangel“ beheben.

Am Ende überrascht Linnemann mit einem Anflug überraschender Ehrlichkeit, die er allerdings geschickt verpackt: „Dass wir auf Rente mit 67 jetzt zugehen“, sei schonmal klar. Ebenso, „dass wir natürlich perspektivisch, wenn wir immer älter werden, auch länger arbeiten müssen“. Und dann das Entscheidende: Er würde den Menschen aber „nicht jetzt sagen: Ihr müsst bis 70 oder 75 arbeiten“.

Nicht jetzt, sondern lieber erst ein bisschen später…

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