Von wegen „Links ist vorbei“: Die Union kapituliert im Kulturkampf

vor etwa 1 Monat

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„Die von uns geförderten Kulturangebote sind vielfältig und inklusiv.“ Wer in diesen Tagen die gemeinsamen Koalitionspapiere von CDU/CSU und SPD liest, kann sich kaum vorstellen, dass die Union mit am Tisch saß.

„Gezielte Einflussnahme auf Wahlen sowie inzwischen alltägliche Desinformation und Fakenews sind ernste Bedrohungen für unsere Demokratie, ihre Institutionen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt.“ Wie bitte? Wer etwas „Falsches“ sagt, kann sich auf die Meinungsfreiheit nicht berufen? War die Rechtsstaatspartei Union gerade in der Kaffeepause, als dieser Passus einvernehmlich formuliert wurde? Wer entscheidet, was wahr und unwahr ist?

Wie anders klang das noch im Wahlkampf, als Friedrich Merz (CDU) im Münchner Löwenbräukeller so richtig den Nerv der eigenen Anhänger traf: „Links ist vorbei“, rief der Kanzlerkandidat beim offiziellen Wahlkampfabschluss am Vorabend der Bundestagswahl in die johlende Menge. „Es gibt keine linke Mehrheit und keine linke Politik mehr in Deutschland.“ Er wolle wieder Politik für die Mehrheit der Bevölkerung machen, die gerade denke und „alle Tassen im Schrank“ habe – und nicht „für irgendwelche grünen und linken Spinner auf dieser Welt“. Sprüche, so recht nach dem Geschmack nicht nur der CSU-Leute im Saal, sondern auch der Unionsbasis überhaupt, die sich draußen im Land mit linken Aktivisten, linken Medien und einem links-grünen Kulturbetrieb herumärgern, obwohl die Mehrheit der Leute weder „queer“ noch öko-aktivistisch tickt.

Die Parteichefs treten vor die Presse – die Koalitionspapiere derweil atmen einen linken Geist.

Eine Rede, die den Sound des gesamten Merz-Wahlkampfs aufnahm, die die Seele der Partei endlich einmal aus ganzem Herzen streichelte und endlich einmal wieder den alten, echten Friedrich Merz aufscheinen ließ, der ehedem zum jungen, konservativen Parteinachwuchs der Union gehört hatte. Eine Rede, für die die Union sich wenige Stunden später bereits zu entschuldigen begann. Die „linken Spinner“ hätten sich auf die lauten Störer vor der Halle bezogen und natürlich habe Merz niemandem zu nahe treten wollen. Deftige Wortwahl müsse – im Wahlkampf zumal – aber auch möglich sein ... Defensiver Bückling vor den Sprachpäpsten der linken Operation Goldwaage, und natürlich durfte auch der Vorwurf der „Spaltung“ nicht fehlen, der die „Gräben“ vertiefe, wie SPD-Chef Klingbeil es ausdrückte. Botschaft: Wann und wo immer Konservative sich äußern, wird „gespalten“, weil Links normal und Rechts halt rechts sei.

SPD-Chef Lars Klingbeil wirkt immer mehr wie der heimliche Gewinner der Koalitonsverhandlungen.

Man hätte also gewarnt sein können. Eine wirkliche Vertretung für das konservative Milieu rechts der Mitte ist die Union längst nicht mehr, wie Cicero-Autor Volker Resing schon vor Jahren in seinem Buch „Die Kanzlermaschine“ schrieb. Konservative Unionsanhänger werden nicht erst seit den Merkel-Jahren mehr und mehr politisch heimatlos oder wechseln gleich zur AfD. Und so reibt man sich verwundert die Augen, wenn etwa im Papier der Arbeitsgruppe „Kultur und Medien“ steht: „Zur Sicherung der Vielfalt auf dem Buchmarkt werden wir mit den Ländern eine strukturelle Verlagsförderung prüfen.“ Vielfalt, die vom Staat gefördert wird? Wie kritisch, wie unabhängig kann staatlich geförderte Publizistik sein? „Auch der Kulturbereich soll nachhaltig arbeiten. Beratungsangebote wie die Green Culture Anlaufstelle werden wir auf ihre Wirksamkeit überprüfen und wenn notwendig weiterentwickeln.“ Die scheidende Kulturstaatsministerin Claudia Roth von den Grünen hätte es nicht schöner formulieren können.

Links ist ganz offensichtlich nicht vorbei, sondern die Union ist jetzt mit dabei. Ein Satz mit X: Es ändert sich nix! Doch wie kann das sein? Was ist los mit der Union, deren christsozialer Ableger in Bayern noch beim politischen Aschermittwoch gegen die Grünen wetterte?

CSU-Chef Markus Söder teilte im Wahlkampf noch gegen linke Gegner aus, zeigt sich nun aber umso handzahmer.

Die Wahrheit ist: Die Union hat den linken Kulturkampf nie wirklich angenommen. Der frühere CDU-Vize Jens Spahn mahnte immer wieder, dass die Union nicht nachlassen dürfe, ebenfalls den öffentlichen Raum prägen zu wollen. Doch in der Praxis regiert bei CDU/CSU die verzagte Vorsicht vor dem linken Zeitgeist und seinen Shitstorms. Die CSU unter Parteichef Markus Söder hat den Kulturkampf zuweilen geführt, rief eine „konservative Revolution“ aus oder hängte Kruzifixe in den Amtsstuben auf, doch all das immer nur im Lichte von Opportunität und Stimmenfang. Was sich nicht auszahlt, unterbleibt. Anders, als die ideologiegetriebenen Parteien links der Mitte, gelten allzu feste Grundüberzeugungen in der Union eher als hinderlich im Macht- und Meinungskampf.

Eine Tatsache, die in schöner Regelmäßigkeit Wählertäuschung und -enttäuschung produziert. In der Union herrscht zudem ein seltsames Verständnis von Professionalität, wonach ab einer bestimmten Postenhöhe im Parteiapparat, „Geschlossenheit“ und „Loyalität“ zur aktuellen Führung die obersten Tugenden sind. Widerspruch wird allenfalls hinter verschlossenen Türen oder nach außen mit gesenkter Stimme akzeptiert. Gut zu beobachten ist die leicht stromlinienförmige „Professionalisierung“ bei jungen Partei-Talenten, die sich mit Anfang dreißig für die hauptberufliche Politik-Karriere entscheiden. Sympathische Kantigkeit und klare Aussprache der frühen Jahre weichen dann spürbar stabilisierenden, nicht selten formelhaften und erwartbaren Wortmeldungen. Während man beispielsweise in diesen Tagen aus vielen Parteigliederungen Berichte über Austritte hört, sprach Mecklenburg-Vorpommerns CDU-Generalsekretär Philipp Amthor jüngst im Deutschlandfunk von Parteieintritten und guten Erfolgen bei den Koalitionsgesprächen, an denen er beteiligt ist. Er hat verstanden.

Philipp Amthor hat unlängst verstanden – und wechselt die Kommunikationsstrategie.

Es gibt allerdings auch einen ernsthaften Hintergrund dieses eher flexiblen Professionalitätsverständnisses: Für den Aufstieg innerhalb der Partei braucht man die eigenen Anhänger, die einen in Mandate bringen. Diese gewinnt man mit möglichst innigem Gleichklang mit der Parteibasis. Hat man es dann in politische Wahlämter geschafft, braucht man naturgemäß nicht mehr nur die eigene Anhängerschaft, sondern versucht Stimmen in der gesamten Gesellschaft zu sammeln und formuliert die ehemaligen Überzeugungen geschmeidiger.

Bei der Union kommt aber noch etwas anderes hinzu: Zu manchen Bereichen des gesellschaftlichen Kulturkampfes fehlt schlichtweg der Zugang. Authentische Erfahrungen mit der Cancel-Kultur im Netz macht man halt nur, wenn man selbst auf Social-Media-Plattformen unterwegs ist und zum Beispiel mit Blick auf die Corona-Politik Meinungen vertritt, die nicht der Regierungslinie entsprechen. Wer die Stimmung in der Gesellschaft mit dem Meinungsbild in den Medien verwechselt, wird ebenfalls zu anderen Schlüssen kommen. Das Gleiche gilt, wenn die innere Logik des Politikbetriebes Vorrang hat vor der Repräsentanz der Meinung auf den Straßen.

Im Falle der Koalitionsgespräche bedeutet das, dass die Anschlussfähigkeit zur SPD an erster Stelle steht, weil sonst keine Regierungsoptionen vorhanden sind. Die Union kann nicht einmal mit dem Abbruch der Verhandlungen drohen, weil die SPD zur Not eine Minderheitsregierung zustande bringen könnte, während die Union sich festgelegt hat, von der AfD nicht einmal die Stimmen zu nehmen. Was bleibt also, als der SPD aus der Hand zu fressen oder bei Neuwahlen noch schlechter abzuschneiden?

Mit anderen Worten: Links ist längst nicht vorbei. Obwohl der Zeitgeist nicht nur in Deutschland derzeit eher rechts weht, bleibt der Union nur der Fluchtweg nach links. Sie wählt die Räder selbst, unter die sie bei nächster Gelegenheit kommt.

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