
Sie klatschen rhythmisch zur Begrüßung und schon vor der Rede. Sie halten Pappschilder hoch mit Sprüchen wie „KANNzler“, „Wieder nach vorne“ und tragen Hoodies mit ME-RZ in zwei Zeilen eigenwillig getrennt. Doch so richtig aus dem Häuschen gerät der CDU-Bundesparteitag mit seinen 956 Delegierten erst, als Friedrich Merz jede Kooperation mit der AfD ausschließt.
„Wir werden mit dieser Partei, die sich da Alternative für Deutschlandland nennt, nicht zusammenarbeiten. Vorher nicht, nachher nicht. Niemals“, ruft Merz in den Saal. Gute zehn Minuten hat er da schon gesprochen, doch jetzt stehen die Reihen im CityCube an der Berliner Messe und geben Szenenapplaus. In den hinteren Reihen springen welche auf, die in großen Lettern „Brandmauer“-Plakate mitgebracht haben.
Diese Partei stehe gegen alles, was die Union ausmache, ruft Merz. Westbindung, Nato, Europa... Deshalb werde es weder eine Duldung durch die AfD geben noch eine Minderheitsregierung, und je länger er ausführt, was es alles mit der AfD NICHT geben werde, desto euphorischer johlt es in der Halle. Ich habe viel erlebt als Reporter auf Parteitagen. Das Austeilen gegen die Konkurrenz gehört gewissermaßen zum Pflichtprogramm. Aber dass sich eine Partei sich dafür feiert, die eigenen Optionen zu beschneiden, habe ich noch nie erlebt.
Friedrich Merz während seiner Rede beim Bundesparteitag am Montag in Berlin
Als wolle man einen bösen Spuk vertreiben und durch laute Beschwörungen mit großem Indianer-Ehrenwort all jene überzeugen, die der Union heimliches Liebäugeln mit den Blauen unterstellten, wird der Kanzlerkandidat umspült von einer Brandung Euphorie für seine Absage, eigen Projekte mit den vermeintlich falschen Leuten umzusetzen. Eine Art ritueller Reinigung, die freilich von Linken und Grünen, die draußen vor der Halle demonstrieren, tapfer ignoriert wird. Wer ließe sich auch die schönste Wahlkampf-Munition aus den Händen nehmen, wenn es „gegen recht“, die Union und ihren Frontmann Friedrich Merz geht?
Es ist ein eigentümliches Unwohlsein an sich selbst, was in diesem wortreichen Umtanzen der AfD zum Ausdruck kommt. Es ist keine polemische Auseinandersetzung wie bei Grünen, Linken oder SPD, sondern der Versuch einer Dämonisierung, die am Ende nur die Macht des Dämonen um so größer erscheinen lässt.
„Wir sind fest entschlossen: Wir werden diese Bundestagswahl mit einem sehr guten Ergebnis gewinnen“, sagt der, als wäre es lediglich eine Frage des Willens, bei welcher Prozentmarke die Union am Ende durchs Ziel geht. „Ich werde dann den Anspruch erheben, im Deutschen Bundestag zum Bundeskanzler gewählt zu werden.“ Sätze wie diese bezeichnen in ihrer Wunschhaftigkeit das eigentliche Problem der Union, über das bei diesem Parteitag einfach nicht gesprochen wird: Sie findet für jenen „Politikwechsel“, der als lautloser Schriftzug während der Merz-Rede über die Videowand wandert, schlichtweg keine Partner mehr.
SPD und Grüne haben in der vergangenen Woche das „Zustrombegrenzungsgesetz“ blockiert, in dem auch Forderungen von SPD- und Grünen-Ministerpräsidenten enthalten waren, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis im Wahlkampf das Versprechen auftaucht, auf keinen Fall die Migrationspolitik der Union mitzutragen. Mit Rot-Grün kann Merz nicht liefern, und mit Blau will er nicht.
Entscheidend, sagt er an diesem kalten Montagnachmittag, sei der Abstand, mit dem die Union ins Ziel gehe. „Wieviel Abstand haben wir zu allen anderen Parteien. Wähler müssen wissen: Sie können größtmöglichen Abstand zu allen mit ihrer Stimme herstellen… Je größer der Abstand, desto mehr können wir von dem umsetzen können, was wir beschlossen haben.“ Das ist zwar wahr, überzeugt aber keine enttäuschten Wähler, die schon zu oft erlegt haben, dass die Union gerade nicht lieferte, was sie versprochen hatte.
Prinzip Hoffnung, anstatt einfach eine Regierung des gesunden Menschenverstandes auszurufen, die Probleme des Landes angeht. Handreichung an alle, die dabei helfen wollen und Absage an rechte Ideologen. Doch so hermetisch, wie Merz sich die Optionen verbaut, ist es kein Wunder, dass auf den Gängen dann eben doch seltsamen Minderheitsregierungen die Rede ist und Spekulationen die Runde machen, wer von seinen jetzigen Mitstreitern dem Kanzlerkandidaten die Geschäfte aus der Hand nehmen werde, wenn sich die Union in den Koalitionsgesprächen verkante.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst wird da immer wieder genannt, dessen derzeitige Loyalität als eine Art Qualifikation für die künftige Kronprinzenrolle betrachtet wird. Und auch Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn gilt vielen als ehrgeizig und flexibel genug, im passenden Moment zum erneuten Sprung an die Spitze anzusetzen – wenn er denn die Erblast seiner Corona-Politik irgendwie loswerde.
Merz und Söder demonstrierten Einheit
Und so geht man denn mit einem flauen Gefühl in die letzten drei Wahlkampfwochen, blickt auf die Umfragen, in denen die Union bei 30 Prozent festgeschraubt zu sein scheint, während die AfD bei 22 Prozent schon in Lauerstellung liegt. Bange blickt so mancher Delegierte auf die kommenden TV-Duelle, in den Merz womöglich wieder spontanen Eingebungen folgen, umstrittene Sprüche bringen oder kurzfristige Kurskorrekturen verlauten lassen könnte, wie man in einigen Landesverbänden fürchtet.
„Something happened on the way to heaven“ spielt die „Union Band“ zum Einzug von CSU-Chef Markus Söder. Ein Superhit von Phil Collins. Manchmal kommt eben was dazwischen auf dem Weg zum Himmel. Für Söder ist 2021 Armin Laschet dazwischen gekommen. Auch für Friedrich Merz ist es noch ein ein gutes Stück Weg zum himmlischen Kanzleramt...