Konservatives CDU-Urgestein Christean Wagner verstorben

vor etwa 6 Stunden

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Christean Wagner wurde am 12. März 1943 im ostpreußischen Königsberg geboren. Nach dem Jura-Studium in Marburg und Heidelberg und der anschließenden Promotion war Wagner 1977 bis 1981 Vorsitzender des Gemeinderats seines Wohnortes Lahntal, von 1975 bis 1981 dann Erster Kreisbeigeordneter des Landkreises Marburg-Biedenkopf. Schließlich wurde er Landrat des Kreises Marburg-Biedenkopf (1981-1985) und Staatssekretär des CDU-Bundesumweltministers Walter Wallmann (1986-1987), seines wichtigsten Förderers. Mit dem Sieg Wallmanns bei der hessischen Landtagswahl und dessen Wahl zum Ministerpräsidenten wurde Wagner Kultusminister (1987-1991).

Von 1991 bis 1999 regierte dann wieder die SPD in Hessen. Das Amt des Ministerpräsidenten holte Roland Koch für die CDU zurück, er machte Wagner für die Amtszeit von 1999 bis 2005 zum Justizminister. Von 2005 bis 2014 war Wagner dann als CDU-Fraktionsvorsitzender im Hessischen Landtag neben Ministerpräsident Koch bzw. später Ministerpräsident Bouffier der Zweitstärkste in der Hessen-CDU. Dem Hessischen Landtag gehörte Wagner 23 Jahre lang an. Als Wagner 2014 mit 71 Jahren ausschied, begann die schwarz-grüne Koalition, die Wagner wider Erwarten noch mit vorbereitet hatte.

Wagner war ein Konservativer im ursprünglichen Sinn des Wortes und in der ideellen Nachfolge Alfred Dreggers, der 1974 bei der Wahl im „roten“ Hessen mit 47,5 Prozent nur knapp an der absoluten Mehrheit gescheitert und von 1982 bis 1991 Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion war. Der evangelische Christ Wagner plädierte für eine „Rückkehr der religiösen Dimension in das öffentliche Bewusstsein“. In einem FAZ-Gastbeitrag kritisierte er 2007 den „Mangel an kultureller Sicherheit“ als Kern einer verbreiteten Unsicherheit. Wörtlich: „Auch die Liebe zum Land ist Bestandteil der eigenen Identität. Sie umfasst das Bekenntnis zum Wertekanon des Grundgesetzes, ebenso wie das Bewusstsein, Teil einer christlich-abendländisch geprägten Gemeinschaft zu sein.“

Wagner weiter: Kulturelle Selbstvergewisserung mache uns unbefangener und toleranter gegenüber Fremden. Wagner forderte, „mehr Leitkultur“ zu wagen. „Nur eine klare kulturelle Identität wird den Menschen in unserem Land die Sicherheit verschaffen, aus der heraus sie die Kraft zur Gestaltung ihrer Zukunft schöpfen. Wenn wir uns wieder stärker dessen versichern, was uns leitet, dann gewinnen wir inneren Halt zurück, um Freiheit in Verantwortung wahrnehmen zu können. Wir müssen mehr Leitkultur wagen – um der Freiheit willen.“ Wagner warb auch dafür, mehr Kreuze in Schulgebäuden aufzuhängen. Wagner erhob auch Forderungen, die nicht überall auf Gegenliebe stießen. So stritt er für eine elektronische Fußfessel und die rasche Abschiebung von straffällig gewordenen Ausländern. Der Umstand, dass er selber geschieden war, bedrückte ihn sehr, da er für traditionelle Familienwerte warb.

Für die CDU der Angela Merkel war Wagner ein unbequemer Mann, wie es ihn in der linksverrutschten und weichgespülten CDU nicht mehr gibt. Als Wortführer des konservativen „Berliner Kreises“ innerhalb der CDU griff er bei Parteitagen wortgewaltig in Debatten ein. 2010 kritisierte er die Merkel-CDU und erklärte gemeinsam mit drei anderen CDU-Politikern in einem offenen Brief, die Union müsse unter anderem das christliche Wertefundament der Gesellschaft stärker betonen. Im Magazin „Focus“ forderte er 2010 eine Rückbesinnung auf das „C“. Leidenschaftlich stellte sich Wagner gegen Merkel wegen des Aussetzens der Wehrpflicht und des Ausstiegs aus der Atomkraft.

Wagner kritisiert auch, dass Merkel dem SPD-Mann Frank-Walter Steinmeier 2017 den Weg ins Präsidentenamt geebnet hatte und ab 2015 in der Flüchtlingspolitik für einen „ungeregelten Zuzug“ gesorgt hatte. Bis in die letzten Jahre kommentierte er aktuelle Entwicklungen. So sagte er zur Niederlage der Union bei der Bundestagswahl 2021 mit Spitzenkandidat Armin Laschet: „Mit Söder und Merz hätten wir ein erheblich besseres Ergebnis erzielt.“ Im kleinen Kreis kritisierte er auch so manchen CDU-Ministerpräsidenten, der sich Merkel unterworfen habe und – so Wagners Worte – zu viel auf Merkels Schoß sitze.

Wagner las und mochte TE, auch wenn er da und dort anderer Meinung war und uns das freundlich-bestimmt wissen ließ. Am 18. Juli 2016 ging er in einem Gastbeitrag für TE anhand von fünf Punkten der Frage nach: „Was ist konservativ?“ Darin schrieb Wagner: „Der Konservative verteidigt nicht das Bestehende, sondern das Bewährte. Für ihn ist nicht Fortschritt, was heute schlicht nur anders ist als gestern. Fortschritt ist dagegen das, was heute besser ist als gestern.“ TE-Gastautor Ismail Tipi, hessischer CDU-Landtagsabgeordneter mit türkischen Wurzeln, allzu früh verstorben Anfang 2023, hat das am 10. Mai 2017 noch einmal aufgegriffen. Auch er fehlt der Politik – und TE.

Ich, der Verfasser dieses Nachrufs, habe Wagner 1987 kennengelernt. Wagner war soeben hessischer Kultusminister und ich ehrenamtlicher Präsident des Deutschen Lehrerverbandes geworden. Wir verstanden uns auf Anhieb gut. Ich besuchte ihn in seinem Haus, weil er wegen einer Knöchelfraktur, die er sich beim Volleyballspiel zugezogen hatte, nicht in Wiesbaden sein konnte. Unsere Zusammenarbeit vertiefte sich 1990, als wir Seminare für reformbereite Lehrer aus der Noch-DDR organisierten. 1995 war Wagner derjenige, der mich dem CDU-Spitzenkandidaten Manfred Kanther als „Schattenkultusminister“ in dessen Wahlkampfmannschaft empfahl.

Kanther wurde 1995 jedoch nicht Ministerpräsident, weil eine mögliche CDU/FDP-Koalition bei 46,6 Prozent hängen (CDU: 39,2; FDP 7,4) und SPD/Grüne mit 49,2 vorne blieb (SPD: 38,0; Grüne 11,2). Das tat unserem Austausch keinen Abbruch. Bis vor wenigen Monaten gab Wagner per Mail oder telefonisch Rückmeldung auf meine und andere TE-Texte. Traurig, dass er von uns gegangen ist. Und schlimm, dass die CDU solche Leute mit Ecken und Kanten nicht mehr hat – und auch unter Merz nicht mehr haben will.

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