„Charismatischer Scharlatan” oder Kämpfer gegen das Establishment? Alles, was Sie zum Sieg Simions bei den Rumänien-Wahlen wissen müssen

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Im Schatten des Ukrainekriegs und eines europaweiten Rechtsrucks steht Rumänien vor einer politischen Weichenstellung. Am 4. Mai, bei der Wiederholung der annullierten Präsidentenwahl vom Vorjahr, hat sich George Simion, Kandidat der rechtspopulistischen AUR, mit deutlichem Vorsprung durchgesetzt – für einen direkten Sieg reichte es jedoch nicht. Nun soll eine Stichwahl die künftige Ausrichtung des Landes entscheiden.

Simion erreichte in der ersten Runde rund 41 Prozent der Stimmen – beinahe doppelt so viel wie sein Herausforderer Nicușor Dan, der als parteiloser, liberalkonservativer Bürgermeister von Bukarest mit etwa 21 Prozent ins Rennen ging. Knapp dahinter lag Crin Antonescu, Kandidat der Regierungsparteien PSD und PNL, mit rund 20,1 Prozent. Noch am Wahlabend gestand Antonescu seine Niederlage ein. Nicușor Dan erklärte in der Nacht zum Montag: „Es geht jetzt darum, ob Rumänien westlich orientiert bleibt.“ Der Wahlkampf gegen den „isolationistischen“ Simion werde schwierig, so Dan. Simion hingegen zeigte sich kämpferisch: „Wir haben zusammen Geschichte geschrieben, wir nähern uns einem hervorragenden Ergebnis“, sagte er in einer Fernsehansprache. Im Zentrum seines Wahlkampfs: die demonstrative Nähe zum kremlfreundlichen Călin Georgescu, der 2024 die annullierte Wahl dominiert hatte.

Besonders symbolträchtig: In Antonescus Heimatstadt Tulcea war Simion der einzige Kandidat, der die 50-Prozent-Marke überschritt. Antonescu selbst landete dort mit 16,2 Prozent nur auf dem dritten Platz, wie Romania Libera berichtet.

Călin Georgescu, Gewinner der ersten Runde der annullierten Wahl im vergangenen Jahr (links), und Präsidentschaftskandidat George Simion verlassen das Wahllokal, nachdem sie ihre Stimmen in der ersten Runde der wiederholten Präsidentschaftswahl in Bukarest, Rumänien, am Sonntag abgegeben haben.

Die Präsidentenwahl im November 2024 hatte für einen politischen Eklat gesorgt. Nachdem der parteilose und prorussische Kandidat Călin Georgescu die erste Wahlrunde am 24. November gewonnen hatte, annullierte das rumänische Verfassungsgericht die Wahl. Die Argumentation: Georgescu soll massiv von einer TikTok-Kampagne profitiert haben, die wiederum vom Kreml finanziert worden sein soll. Die EU-Kommission leitete daraufhin ein Verfahren gegen TikTok ein, um mögliche Verstöße gegen den „Digital Services Act“ zu prüfen – ein Vorgang, den etwa der EU-Kommissar Thierry Breton ausdrücklich lobte.

Georgescu, gegen den seit Februar 2025 die Staatsanwaltschaft ermittelt, bezeichnete die Annullierung als „Staatsstreich“. Später stellte sich heraus, dass die TikTok-Kampagne nicht von Russland, sondern von der regierenden Partidul Național Liberal (PNL) finanziert worden war. Kritiker sprachen im Zusammenhang mit der undurchsichtigen Rolle des Verfassungsgerichts und der eiligen Reaktion der EU von einer politisch motivierten Gerichtsentscheidung, die einen legitimen Wahlsieger von der Macht fernhalten sollte.

Statt also selbst anzutreten, trat Georgescu nun als Unterstützer George Simions auf. Die beiden zeigten sich am Wahltag demonstrativ gemeinsam bei der Stimmabgabe. Simion schloss nicht aus, Georgescu im Falle eines Wahlsiegs zum Ministerpräsidenten zu ernennen. Georgescu hatte zuvor erklärt, Rumäniens Zukunft liege in der „Weisheit Russlands“ – und stellte sogar die Realität des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine infrage.

Gleichzeitig gehört Simions Partei AUR zur russlandkritischen Fraktion EKR im EU-Parlament, der auch Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni angehört. Beobachter vermuten daher, dass Simions Schulterschluss mit Georgescu wahlkampftaktisch motiviert gewesen sein könnte – eine bewusste Provokation, um das Wählerpotenzial des Anti-Establishments zu mobilisieren.

Georgescu-Anhänger in Bukarest

Der Ausgang der ersten Wahlrunde stieß auf ein gespaltenes Echo. Rechtspopulisten in Europa reagierten mit Jubel: So gratulierte etwa der ehemalige polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki George Simion zu seinem „ausgezeichneten Ergebnis“, während der stellvertretende Ministerpräsident Italiens, Matteo Salvini, erklärte, die Rumänen hätten „mit Herz und Verstand frei gewählt“ – ein Seitenhieb auf Brüssel, wie Politico berichtet.

In Rumänien hingegen zeigten sich Vertreter des politischen Establishments alarmiert. „Die Vernunft sagt uns, Nicușor Dan im zweiten Wahlgang zu unterstützen“, erklärte UDMR-Chef Kelemen Hunor – die UMDR gilt als Partei der ungarischen Minderheit. Für diese sei ein moderater Kandidat weit akzeptabler als Simion, so das rumänische Nachrichtenportal G4-Media. Auch führende Politiker der Regierungsparteien signalisierten Unterstützung für Dan, um einen außenpolitischen Kurswechsel zu verhindern. „Der europäische Weg Rumäniens ist nicht verhandelbar“, betonte etwa PNL-Vize Alexandru Muraru laut Radio Free Europe.

Innerhalb der Sozialdemokraten (PSD) sorgte das Ergebnis für massive Selbstkritik. Ein Bürgermeister forderte den Rücktritt der gesamten Parteispitze um Marcel Ciolacu und nannte das Abschneiden „eine Schande“. Der frühere Staatspräsident Traian Băsescu ging noch weiter – Simions Einzug in die Stichwahl sei „grauenhaft“, er sei für ihn „ein Scharlatan und nichts anderes, ein charismatischer Scharlatan“.

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