
Boris Kálnoky: Was sind „Grooming Gangs”, und warum ist das so ein explosives Thema?
Charlie Peters: Grooming Gangs sind Gruppen von Männern, die sexuelle Ausbeutung von Kindern betreiben. Das ist eine sehr klinische Beschreibung von Kindervergewaltigung, von Barbarei, einigen der abscheulichsten Verbrechen, die man sich überhaupt vorstellen kann, in vielen Fällen auch Folter. Es handelt sich um organisierte Banden, die sich zusammenschließen, um jungen Kindern, vor allem Mädchen im Alter zwischen 10 und 16 Jahren, vorzugaukeln, dass sie mit diesen Tätern in einer Beziehung stehen und von ihnen geliebt werden. Die Täter geben den Opfern das Gefühl, dass sie in einer Beziehung sind. Sobald jedoch Vertrauen aufgebaut wurde, verwandelt sich diese Nähe sehr schnell in sexuelle Ausbeutung, und schließlich in extreme körperliche und sexuelle Gewalt.
Wie schaffen es die Vergewaltiger, dass die Mädchen ihnen vertrauen?
Es beginnt oft damit, dass sie Geschenke machen und den Mädchen das Gefühl geben, geschätzt zu werden. Viele junge Mädchen sind leicht zu beeindrucken von älteren Männern und ihren schnellen Autos sowie ihrem Zugang zu Geld, und das ist dann der Beginn einer vermeintlichen Beziehung. Aber dann verwandeln sich die Geschenke und die kostenlosen Fahrten sehr schnell in Alkohol, Zigaretten und Drogen, und die Mädchen werden von diesen Verbrechern abhängig gemacht. Und wenn das erst einmal geschehen ist, kann diese Form des Missbrauchs jahrelang andauern. Sie kann ein ganzes Leben andauern.
Wer sind typischerweise die Täter?
Während die meisten Kinderschänder in Großbritannien einsame, weiße Männer sind, die im Verborgenen agieren, gibt es bei den pakistanischen Tätern kein Schamgefühl, weil sie zusammenarbeiten. Siet un das nicht nur mit ihren Freunden, sondern vor allem auch mit ihren Familien.
Wie bitte?
Kürzlich haben wir herausgefunden, dass über zwei Drittel dieser Täter sehr formalisierten Verwandschaftsstrukturen angehören. Es handelt sich im Wesentlichen um Clans. Sie sind Brüder und Cousins. In Rotherham missbrauchte die kriminelle Familie Hussain um Arshid Hussain hunderte von Mädchen. Sie handelten auch mit Drogen – und wurden für den Handel mit Mädchen bezahlt. Der Grund, warum Pakistaner so stark vertreten sind, liegt darin, dass sie nicht nur in engen Verwandschaftsstrukturen leben und loyal zu einander stehen, sondern es gibt in diesen Gemeinschaften auch organisierte Kriminalität. In einigen Fällen, vor allem in Rotherham, war der Kindesmissbrauch dem Handel mit Drogen sogar untergeordnet. Das war etwas, was sie nur nebenbei machten. Dies stellte nur eine weitere Einnahmequelle für sie dar. Aber das alles war Teil einer organisierten, vernetzten, landesweiten kriminellen Tätigkeit.
Können Sie den Missbrauch quantifizieren? Von wie vielen Tätern sprechen wir, von wie vielen Opfern?
Allein in Rotherham – der Landkreis zählte 2022 rund 268.000 Einwohner – stellte die Regierung 2014 fest, dass dort zwischen 1997 und 2014 über 1.400 Mädchen missbraucht worden waren. Die National Crime Agency hat diese Zahl kürzlich auf 1.510 erhöht. Und das ist nur eine Stadt.
Wir haben Berichte aus Telford (mehr als 1.000 Opfer), Manchester (Hunderte von Opfern), Oxford (Hunderte), und GB News hat über 50 Städte im ganzen Land identifiziert, in denen dies geschehen ist. Wir glauben, dass die Zahl der Opfer in Bradford, wo noch nicht einmal eine formelle Untersuchung stattgefunden hat, Rotherham in den Schatten stellen dürfte. Allein dort könnte es Tausende von Opfern geben.
Vor zwei Jahren hat die Regierung eine Taskforce für Grooming Gangs eingerichtet, nachdem unsere GB News-Untersuchung diese 50 Städte aufgedeckt hatte. In ihrem ersten Jahr hat diese Taskforce über 1000 Verhaftungen vorgenommen, und Schutzmaßnahmen für rund 4000 Opfer ergriffen. Ich bin überzeugt, dass die Zahl der Opfer in die Zehntausende geht und möglicherweise mehr als 100.000 beträgt.
Sie sagen, die Fälle reichen bis ins Jahr 1997 zurück. Warum wird das erst jetzt untersucht?
Es gibt sogar Fälle, die bis in die 1960er Jahre zurückreichen. 1962 errichtete Großbritannien den Mangla-Damm in Kaschmir. Viele Gebiete wurden überflutet, mehr als 110.000 Menschen wurden umgesiedelt. Viele von ihnen siedelten ins Vereinigte Königreich um – vor allem nach Bradford, Birmingham und so weiter. Sehr bald nach ihrer Ankunft begannen sich bestimmte kriminelle Muster herauszubilden. Die ersten Fälle reichen bis in die 1960er Jahre zurück, manche der Opfer sind heute in ihren 80ern. Wir haben auch Berichte über solche Misshandlungen aus den 1970er und 1980er Jahren, die vereinzelt von Journalisten aufgeschrieben wurden.
Und niemand hat etwas dagegen unternommen?
Wir haben es also mit einer Situation zu tun, in der das britische System, die Behörden, der Staat, die Maschinerie, die dieses Land lenkt, beschlossen hat, dass es besser sei, weit verbreitete Massenvergewaltigungen von Kindern zu dulden, als den Multikulturalismus zu kritisieren oder gar zivile Unruhen zu riskieren. Das war eine bewusste Entscheidung, die das System getroffen hat.
Ist das einer der Gründe, warum es soviel Widerstand gegen die Forderung nach einer Untersuchung gab? Zu viele einflußreiche Menschen, die zu viel zu verlieren haben?
Ja, absolut. Ich denke, dass jetzt Tausende Menschen im ganzen Land nervös sind, jetzt, da endlich eine Untersuchung stattfindet. Sie haben Angst, dass jemand an ihre Tür klopft und ihnen sagt, dass sie bei dieser Untersuchung aussagen müssen. Bei früheren Untersuchungen fahlte das, was wir „statutary powers” nennen, gesetzliche Befugnisse. Es waren Untersuchungen, bei denen sich Menschen freiwillig melden und aussagen konnten. Aber niemand konnte gezwungen werden, Auskunft zu geben. Nach Jahrzehnten des Scheiterns gibt es jetzt zum ersten Mal eine Untersuchung mit gesetzlichen Befugnissen. Wenn Menschen vorgeladen werden, um auszusagen, müssen sie hingehen und aussagen. Dies ist also das erste Mal, dass wir eine echte Rechenschaftspflicht erleben.
Einige beschuldigen Premierminister Keir Starmer selbst. Trägt er irgendeine Art von Verantwortung?
Von 2008 bis 2013 war er Leiter der Staatsanwaltschaft (Crown Prosecution Service, CPS). Er sagt, dass er 2012 die CPS-Regeln geändert hat, um die Verfolgung von Grooming Gangs zu erleichtern. Und das stimmt auch. Aber er gab auch zu: „Wir haben eine Generation von Mädchen im Stich gelassen”. Er sagte „wir”. Eigentlich ist es viel schlimmer: es sind mehrere Generationen. Auch den Vorschlag einer neuen Untersuchung lehnte er zunächst ab. Er sagte, es habe bereits eine Untersuchung gegeben.
Es gab zwar tatsächlich eine „Unabhängige Untersuchung des sexuellen Kindesmissbrauchs (2015-2022). Die befasste sich aber nur mit sechs Orten, in keinem von ihnen gab es Grooming Gang Muster, es gab nicht eine einzige Strafverfolgung gegen pakistanische Missbrauchstäter. Diese Untersuchung war also reine Augenwischerei, eine feige Weigerung, sich mit dem Thema zu befassen. Ich denke, dass Keir Starmer in dieser Sache sehr politisch war. Seine wirkliche Verantwortung liegt darin, nicht viel früher eine Untersuchung angeordnet zu haben. Das sollte für ihn peinlich und beschämend sein. Aber es war für die Labor-Partei schon immer schwierig, sich mit diesem Thema zu befassen.
Warum?
Viele der Gebiete, in denen sich diese Dinge ereigneten, wurden von Labor regiert, und viele Labor-Politiker halfen, das zu vertuschen. Viele der betroffenen Städte sind Labor-Hochburgen. Diese Abgeordneten werden von denselben Gemeinschaften gewählt, in denen dieser Missbrauch stattfand. Die Politiker zögern, weil sie fürchten, Stimmen zu verlieren, wenn sie eine solche Untersuchung anordnen. Es ist entsetzlich: Sie haben sich lieber für Wählerstimmen entschieden, statt dafür, Kindesvergewaltigungen zu untersuchen.
Außerdem ist Labor die Partei des Multikulturalismus; also dieser ganzen Idee, dass, wenn wir alle gleich sind und die richtigen Bedingungen schaffen, es kein Problem mit der Integration gibt. Aber diese Geschichte erschüttert ihr Weltbild fundamental. Es zerreisst ihr Verständnis vom Vereinigten Königreich, von Gemeinschaften, von der Fähigkeit der Menschen, sich zu integrieren. Mit dieser Geschichte fällt also ihr ganzes Projekt auseinander.
Sind minderjährige Mädchen jetzt sicherer? Oder geht der Missbrauch weiter?
Im letzten Jahr hat die Taskforce „Grooming Gangs” 700 neue Fälle aufgedeckt, 1000 Verhaftungen vorgenommen, und Maßnahmen zum Schutz von 4.000 Opfern ergriffen. Unter der Leitung der National Crime Agency (unsere Version das amerikanischen FBI) wird jetzt eine neue landesweite Polizeiaktion gestartet. Ja, der Missbrauch passiert immer noch, aber die Kinder sind tatsächlich sicherer, die Dinge sind jetzt besser als vorher. Das gibt mir in Gefühl der Hoffnung.
Sie stehen in Kontakt mit vielen Opfern. Wie hat das Trauma ihr Leben verändert? Was erhoffen sie von der jetzt anlaufenden Untersuchung?
Sie hoffen auf Rechenschaft – für die Täter, aber auch für diejenigen, die den Missbrauch vertuscht haben. Viele leben immer noch in Angst. Viele leben in der Anonymität. Einige glauben immer noch, dass das, was ihnen passiert ist, normal war, weil es so vielen ihrer Freundinnen auch passiert ist. Einige wurden so gründlich manipuliert, dass sie glauben, sie würden geliebt. Viele beginnen jetzt erst zu begreifen, dass sie Opfer waren. Dass sie Unterstützung verdient haben. Dass es nicht ihre Schuld war.
Bio: Charlie Peter ist ein preisgekrönter Investigativ-Reporter, Kriegsberichterstatter und Nachrichtensprecher beim Fernsehsender GBNews in Großbritannien. Seine Berichterstattung über Grooming Gangs führte zu mehreren prominenten politischen Rücktritten und wird weithin als entscheidender Faktor gewertet für den Entschluss der Regierung am 14. Juni 2025, eine landesweite Untersuchung des Skandals einzuleiten. Peter studierte Philosophie an der Universität Edinburgh, diente als Elite-Soldat in der britischen Armee und kam bei mehreren internationalen Antiterror-Missionen zum Einsatz.