
Die Bundesrepublik befindet sich auf einer schiefen Ebene. Die bedrohlichen Entwicklungen in diesen Tagen sprechen dafür, dass sich das Land in seiner Krise einem Etatismus grün-sozialistischer Prägung zuzuwenden scheint.
Folgt man den uninspirierten Äußerungen der Mitglieder der Bundesregierung zur wirtschaftlichen Lage der Republik, könnte man den Eindruck gewinnen, die Causa Frauke Brosius-Gersdorf biete eine nicht unwillkommene Ablenkung des parlamentarischen Betriebs vom ökonomischen Kollaps des Landes.
Niemand ist in der Lage, sich fachlich kompetent zu dem zu äußern, was in diesen Tagen in der Wirtschaft geschieht. Die unheimliche Stille, mit der sich Wirtschaft und Politik ihrem vermeintlichen Schicksal ergeben haben, ist erschütternd.
Es ist unverzeihlich, dass die nun bald drei Jahre anhaltende Rezession nicht längst zum Gravitationszentrum der täglichen Medienberichterstattung wurde. Wohlstand wird als Selbstverständlichkeit hingenommen. Die Erbengeneration schweigt, Zehntausende Subventionsunternehmer machen Kasse, das wachsende Heer der Arbeitslosen dämmert in der Sozialversicherung vor sich hin.
Umso wichtiger ist es, dass Vertreter der Wirtschaft nun aus der Deckung kommen und ihr Schweigen brechen. Am Donnerstag präsentierte der Verband der Chemischen Industrie (VCI) Zahlen zur aktuellen Lage dieser für den Standort Deutschland so wichtigen Branche.
Diese zeigen, dass sich der Abwärtstrend der Wirtschaft ungebremst fortsetzt. Im Vorjahresvergleich sank die Produktion der Chemie im ersten Halbjahr 2025 um weitere drei Prozent. Die Schwere der Krise wird greifbar, setzt man die Gegenwart in Bezug zu dem Jahr vor den Corona-Lockdowns. Hier schlägt ein Produktionsminus von 15 Prozent zu Buche. In diesem Falle von einer Rezession zu sprechen, wäre euphemistisch. Es handelt sich um einen Kollaps, wie wir ihn in anderen Teilen der Wirtschaft, wie der Grundstoffindustrie oder im Maschinenbau, in ähnlicher Weise beobachten können.
Garniert werden diese Horrorzahlen mit der Meldung von sechs Chemiebetrieben, die nun Standorte schließen oder ihre Produktion drastisch zurückfahren müssen. 2.000 Jobs werden dabei in den Werken von Dow Chemie in Böhlen, Bayer in Frankfurt, BASF in Ludwigshafen, Total Energies in Gladbeck sowie Shell und SABIC gestrichen. Die Liste der Unternehmen, die dem Standort Deutschland den Rücken kehren, wächst immer weiter.
VCI-Präsident Markus Steilemann versucht sich derweil in Zweckoptimismus: „Wir müssen jetzt im Schulterschluss schnell handeln und mutig vorangehen. Der Standort Deutschland ist im internationalen Vergleich zu teuer.“ Die Mitglieder des VCI kritisieren den hinlänglich bekannten toxischen Cocktail aus Bürokratiewahn, Spitzensteuern, ruinösen Energiepreise und Arbeitskosten auf Rekordniveau.
40 Prozent der Mitgliedsunternehmen klagen derzeit über fehlende Aufträge. Die Auslastung der Produktionsanlagen liegt seit drei Jahren unter der Rentabilitätsschwelle. Die Folge ist ein regelrechter Investitionsstopp.
Was dann allerdings folgt, ist ernüchternd. Steilemann knickt ein – politisch korrekt, ohne die Probleme beim Namen zu nennen. Keine Rede vom eigentlichen Elefanten im Raum: der grünen Agenda, der CO₂-Bepreisung, der Regulierungswut, dem dirigistischen Wahnsinn des Green Deal. Auch Steilemann bleibt im braven Appell stecken, wo klare Worte gefragt wären.
Wer auf Kooperation mit einer Politik setzt, die Ideologie längst über Vernunft gestellt hat, verliert wertvolle Zeit – und mit ihr ziehen sich ganze Industriezweige zurück. Zwar zeigt sich die Branche kämpferisch. Zwei von drei Unternehmen seien bereit, wieder zu investieren – wenn sich die Standortbedingungen besserten. Die Industrie sei bereit, die Politik müsse liefern, sagt Steilemann.
Steilemann macht ein Umdenken in Berlin und Brüssel aus. Wettbewerbsfähigkeit, Resilienz, Bürokratieabbau stünden wieder auf der Agenda. Ist dies tatsächlich so? Wachsweiche Worte und gefällige Mittelstandsprosa im Koalitionsvertrag ersetzen keinen Systemwechsel.
Steilemann fordert einen „Masterplan“, eine „kraftvolle Chemieagenda“. Schön und gut – doch ohne einen klaren Bruch mit der klimaideologischen Überregulierung endet auch dieser Plan als Papiertiger.
Steilemann hat Recht, wenn er auf die erdrückende Last der Bürokratie verweist. Laut einer Studie des ifo Instituts belaufen sich die Bürokratiekosten in Deutschland auf 146 Milliarden Euro pro Jahr – eine regelrechte Wachstumsbremse mit System.
Was er jedoch offenlässt, ist die Frage, wie die Quadratur des energiepolitischen Kreises gelingen soll: Grüne Transformation bei gleichzeitig wettbewerbsfähigen Preisen? Wunschdenken trifft auf Realität – die ganze Republik wird in diesen Tagen Zeuge, dass die grüne Strategie an den Fakten gescheitert ist.
Alles verhallt im Vagen: Der „Monitoringbericht“ des Wirtschaftsministeriums wird zum nächsten Placebo einer Regierung, die sich weigert, ihr Scheitern einzugestehen. Sicherheit, Klimaschutz, Bezahlbarkeit – das Mantra klingt gut, hat aber leider wenig Bezug zur Lage in den Unternehmen.
Was fehlt, ist brutale Ehrlichkeit: Die Energiewende ist zu einem überteuren Perpetuum mobile einer regulierungswütigen Bürokratiemaschine degeneriert. Wer auf Zwang, Umlagen und Planwirtschaft setzt, sieht zu, wie seine Industrie an bessere Standorte abwandert. Es braucht endlich eine Politik, die sich an physikalischen Gesetzen und marktwirtschaftlichen Prinzipien orientiert – nicht an ideologischen Wunschlisten.
Wie sagte einst der ehemalige Bundespräsident Dr. Roman Herzog? Durch Deutschland müsse ein Ruck gehen. Auch in der gegenwärtigen Situation fehlt in Deutschland eine intellektuell und rhetorisch richtungsweisende Wirtschaftselite. Die defensive Rhetorik von Verbänden und Großkonzernen lässt immer wieder die Vermutung durchscheinen, der nächste Subventionstopf liege näher als fundamentale Kritik an der fatalen Politik. Dazu bedarf es offenen Streits und ehrlicher Worte.
Was wir hier erleben, hat allerdings wenig zu tun mit demokratischer Debattenkultur. Ohne sie kann es keine wirtschaftspolitische und gesellschaftliche Evolution geben. Ohne sie werden wir den Pfad der zentral geplanten Destruktion und der Zentralisierung von politischer Macht nicht mehr verlassen können.