
Wie die gesamte deutsche Wirtschaft befindet sich auch die Chemieindustrie in einem anhaltenden Niedergang. Im zweiten Quartal 2025 sank die Produktion der Branche gegenüber dem Vorquartal deutlich um 3,8 Prozent. Damit ist die Chemieindustrie so schwach wie seit mehr als 30 Jahren nicht mehr.
Nach Angaben des Branchenverbands VCI fiel die Kapazitätsauslastung im zweiten Quartal auf nur noch 71,7 Prozent – den niedrigsten Wert seit 1991. Rentabel gelten die Anlagen erst ab einer Auslastung von rund 82 Prozent.
Parallel dazu brach der Umsatz der Chemie- und Pharmaindustrie deutlich ein: Mit 52,2 Milliarden Euro lag er 5,2 Prozent niedriger als im Quartal zuvor und 2,7 Prozent unter dem Wert des Vorjahres. Für die reine Chemiesparte rechnet der VCI im Gesamtjahr 2025 mit einem Minus von etwa zwei Prozent. Bei weiter sinkenden Preisen dürfte der kombinierte Branchenumsatz um ein Prozent auf rund 221 Milliarden Euro absacken.
Eine kurzfristige Erholung ist nicht in Sicht. Mehrere große Unternehmen wie BASF, Covestro, Lanxess und Brenntag haben zuletzt ihre Jahresziele nach unten korrigiert. Der Abwärtstrend dürfte sich fortsetzen.
Die Ursachen liegen in erster Linie in der anhaltend schwachen Nachfrage nach deutschen Chemieprodukten im In- und Ausland sowie in strukturellen Problemen. Die geringe Inlandsnachfrage erklärt sich vor allem durch die Rezession, die seit fast drei Jahren über der Bundesrepublik lastet. Viele Industriekunden haben ihre Produktion und Investitionen zurückgefahren und ihre Bestellungen von Chemikalien reduziert – zum Nachteil der deutschen Hersteller.
Das schwache Auslandsgeschäft ist vor allem auf massive internationale Konkurrenz zurückzuführen. Vor allem China hat Deutschland als führenden Exporteur in der Chemie und anderen Schlüsselindustrien überholt. Mit niedrigeren Preisen und gigantischen Produktionsvolumina erobern chinesische Anbieter immer größere Marktanteile – ein wesentlicher Grund für die sinkende Kapazitätsauslastung in der heimischen Branche.
Wie Unternehmen aus Fernost das erreichen, ist leicht erklärt: Sie profitieren von deutlich günstigeren Rahmenbedingungen – niedrigen Lohn- und Energiekosten, weniger Bürokratie, geringerer Steuerlast und umfangreichen staatlichen Subventionen. Deutsche Chemieunternehmen hingegen kämpfen mit hohen Energiekosten, übermäßiger Regulierung und zusätzlichen Abgaben wie der CO₂-Steuer.
Die CO₂-Steuer basiert auf dem Europäischen Emissionshandel (EU ETS). Sie wird auf die Nutzung fossiler Energieträger erhoben und soll den Übergang zur Klimaneutralität innerhalb der EU vorantreiben. Kritiker bemängeln jedoch seit Jahren, dass das System die energieintensive Industrie massiv belastet. Besonders die Chemiebranche leidet darunter, da sie in hohem Maße von Erdgas abhängig ist. Knapp die Hälfte des Energiebedarfs der deutschen Chemieindustrie wird durch Erdgas gedeckt – sowohl als Energiequelle als auch als Rohstoff für die Herstellung chemischer Endprodukte.
Das EU-Emissionshandelssystem basiert auf einem „Cap-and-Trade“-Prinzip. Innerhalb des Systems wird eine Obergrenze für die gesamte erlaubte Emissionsmenge festgelegt. Diese wird in Zertifikate unterteilt, die jeweils zur Emission einer Tonne CO₂ berechtigen. Unternehmen, die CO₂ ausstoßen, müssen entsprechende Zertifikate erwerben. Der Preis wird am Markt gebildet. Da die Zahl der Zertifikate jedes Jahr sinkt, während die Nachfrage aus energieintensiven Branchen hoch bleibt, steigen die Kosten kontinuierlich.
Im internationalen Wettbewerb geraten deutsche Chemieunternehmen dadurch zunehmend ins Hintertreffen. Konkurrenten aus Ländern ohne vergleichbare Belastungen haben deutlich geringere Betriebskosten und können ihre Produkte entsprechend günstiger anbieten. Um überhaupt mithalten zu können, müssen deutsche Firmen trotz sinkender Margen ihre Preise senken – eine prekäre Situation.
Im zweiten Quartal verzeichnete die Branche einen Preisrückgang von 0,6 Prozent gegenüber den ersten drei Monaten des Jahres. Auf Jahressicht lagen die Preise damit um 0,2 Prozent unter dem Vorjahresniveau.
Neben den strukturellen Faktoren trägt auch die Zollpolitik der USA, in Reaktion auf die Handelsbarrieren der EU (mehr dazu hier), zur angespannten Lage bei. Wie der VCI berichtet, wirken sich Vorzieheffekte vom Jahresbeginn nun negativ aus. In Erwartung neuer US-Zölle hatten die Unternehmen ihre Ausfuhren in die Vereinigten Staaten kurzfristig stark ausgeweitet. Dieser Effekt schlägt sich nun in rückläufigen Exportzahlen nieder.