
In Shanghai hat am Wochenende die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, kurz SOZ, ihren Gipfel eröffnet. Chinas Staatschef Xi Jinping empfängt dort so viele Gäste wie noch nie. So traf gestern Russlands Präsident Wladimir Putin zu einem mehrtägigen Besuch in der Volksrepublik China ein. Er landete am Sonntag in der nordchinesischen Hafenstadt Tianjin und wurde mit einer Ehrengarde begrüßt – nicht so wie vor kurzem die EU-Abordnung mit Kommissionspräsidentin von der Leyen durch den Hintereingang eingelassen und auch wieder hinausgeworfen wurde.
Am Mittwoch gehört Putin dann zu den Gästen einer riesigen Militärparade in Peking, mit der an den 80. Jahrestag des Sieges über Japan und das Ende des Zweiten Weltkrieges erinnert wird.
Bereits am Samstag war der indische Regierungschef Narendra Modi in China eingetroffen. Er will seinen Besuch am Montag auch für ein bilaterales Treffen mit Putin nutzen, heißt es. Vorab telefonierte Modi nach eigenen Angaben mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj, um über die Friedensbemühungen im Ukraine-Konflikt zu beraten. Sie hätten sich über „die Bemühungen um die Wiederherstellung von Frieden und Stabilität ausgetauscht“, schrieb Modi am Samstag in Onlinenetzwerken über das Telefonat. Indien unterstütze „alle Bemühungen in dieser Richtung uneingeschränkt“, heißt es floskelhaft.
Das Gipfeltreffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit ist weit mehr als ein Regionaltreffen. Hier sitzen Staats- und Regierungschefs zusammen, die gemeinsam rund 40 Prozent der Weltbevölkerung und ein Viertel der globalen Wirtschaftsleistung vertreten. China, Russland, Indien, Pakistan, Iran, Belarus und die zentralasiatischen Staaten – dazu Partner wie Türkei, Saudi-Arabien und Ägypten. Sie alle wollen zeigen: Die Zeit einer allein vom Westen dominierten Weltordnung geht zu Ende.
Die Agenda reicht von Terrorismusbekämpfung über Energie- und Transportkorridore bis zu Zahlungsfragen. Politisch will Peking die SOZ als Sprachrohr eines „Globalen Südens“ inszenieren; strategisch gilt das Treffen als Testfall für eine engere China–Indien-Koordinierung und für Pekings Schulterschluss mit Moskau. Neue US-Zölle liefern den geopolitischen Hintergrund.
Die Organisation wurde 2001 ursprünglich gegründet, um Grenzkonflikte zwischen China, Russland, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan zu klären. Inzwischen umfasst sie China, Russland, Indien, Pakistan, Iran, Belarus sowie mehrere zentralasiatische Staaten.
Im Mittelpunkt des Treffens steht unter anderem die Abkehr von westlichen Konstruktionen wie dem Internationalen Währungsfonds oder der NATO. Eigene Finanz- und Sicherheitsnetzwerke sollen etabliert und ausgebaut, die Dominanz des US-Dollars eingeschränkt werden. Für Russland ist das Treffen eine Demonstration gegen die westlichen Sanktionen, für China eine Gelegenheit, seine Rolle als Ordnungsmacht in Eurasien zu präsentieren – mit der „Neuen Seidenstraße“ als Hebel zu mehr Einfluss.
Natürlich gibt es Rivalitäten, wie etwa zwischen Indien und Pakistan, aber auch zwischen Indien und China: Hier ist besoders das separate Treffen zwischen Xi und Modi am Sonntag von Bedeutung. Xi betonte: Beide Länder sind Kooperationspartner, keine Rivalen. Es sollen wieder Direktflüge zwischen China und Indien aufgenommen werden. Die Symbolik zählt: Während Europa und die USA mit sich selbst beschäftigt sind, wächst im Osten ein Machtblock heran, der den Westen herausfordert.
Europäische Vertreter glänzen derweil weithin durch Abwesenheit: Lediglich der Schweizer Alt-Bundesrat Ueli Maurer (SVP) fliegt nach China und wohnt den Feierlichkeiten bei. Es sei wichtig, Kontakte und Beziehungen zu China zu pflegen, betont er, und muss sich dafür von seinen Eidgenossen maßregeln lassen. Er verursache einen „Reputationsschaden“. Neben ihm hat China noch ein halbes Dutzend weitere ehemalige Politiker aus Europa eingeladen. Lediglich zwei amtierende Staatsoberhäupter sind dabei: Serbiens Präsident Aleksandar Vučić und der Premierminister der Slowakei, Robert Fico.
Das Treffen sendet eine klare Botschaft aus: Europa stolpert über sich selbst. Der Westen verliert an Einfluss, während sich in Shanghai ein multipolares Machtgefüge etabliert.