
Hat der niedersächsische Verfassungsschutz die Zeit und den ZDF-Satiriker Jan Böhmermann auf die Spur des YouTubers Clownswelt gebracht?
Am vergangenen Freitag hatten ZDF und Zeit über den rechten YouTuber berichtet, in seinem privaten Umfeld geschnüffelt und seinen Vornamen veröffentlicht. Auch der Verfassungsschutz äußerte sich gegenüber der Zeit zu Clownswelt, sprach von einer „rechtspopulistische(n) Plattform“ mit „Ansätzen neurechten Denkens“.
NIUS-Recherchen zeigten: Der Verfassungsschutz beobachtet Clownswelt gar nicht, obwohl es in der Zeit so geklungen hatte. Dort hieß es über die Szene der rechten YouTuber: „Auch der Verfassungsschutz Niedersachsen beobachtet die Szene. Eine Sprecherin teilte auf Anfrage von Zeit Online mit, dass es sich bei „Clownswelt um eine ‚rechtspopulistische Plattform‘ mit ‚Ansätzen neurechten Denkens‘ handle. Wesentlich mehr ist jedoch nicht zu erfahren.“ Dass der YouTuber vom Verfassungsschutz nicht beobachtet wird, erwähnte die Zeit nicht.
Doch die Tatsache, dass sich die Behörde überhaupt gegenüber der Zeitung zu dem YouTube-Kanal äußerte, wirft ein Schlaglicht auf das Vorgehen des Verfassungsschutzes Niedersachsen: Denn die Behörde kommunizierte öffentlich ihre Einschätzung eines Mediums, das nicht beobachtet wird und für das darum eigentlich keine Verdachtsmomente vorliegen, und signalisierte der Zeitung damit, dass der YouTuber dennoch verfassungsschutzrelevant ist, was die Recherche der Journalisten aufwertete und Clownswelt verdächtig erscheinen ließ.
In vergleichbaren Fällen verweigerte das Pendant auf Bundesebene, das Bundesamt für Verfassungsschutz, stets eine Auskunft. NIUS hatte sich in der Vergangenheit etwa nach dem Rechtsextremisten Ferhat Sentürk und möglichen Verbindungen zu den Grauen Wölfen erkundigt. Das Bundesamt antwortete in diesem und anderen Fällen, dass es sich grundsätzlich nicht zu Einzelpersonen sowie zu Organisationen äußere, die nicht im Verfassungsschutzbericht (VSB) erwähnt werden.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln
Auf welcher rechtlichen Grundlage äußert sich also der niedersächsische Verfassungsschutz zu einem Medium, das er offenkundig nicht beobachtet? Auf NIUS-Anfrage schreibt ein Sprecher: „Wir haben uns in diesem Fall nicht zu Einzelpersonen, sondern zu einer anonymen Plattform und deren Inhalten auf Basis einer aktuellen und anlassbezogenen Einschätzung geäußert. Grundsätzlich gehört es auch zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes, als Frühwarnsystem im Vorfeld, wenn es Anhaltspunkte für extremistische Aktivitäten gibt, diese zu bewerten. Gleichermaßen kann es auch dazugehören mitzuteilen, wenn es keine Hinweise oder Erkenntnisse für extremistische Aktivitäten gibt.“
Dass es sich bei der öffentlich verkündeten Einschätzung des Verfassungsschutzes Niedersachsen, Clownswelt sei eine „rechtspopulistische Plattform“, allerdings nicht um eine neutrale Aussage, sondern um eine Wertung handelt, wird an anderen Äußerungen der Behörde deutlich. So warnte ihr Chef Dirk Pejril im vergangenen Jahr vor den Europawahlen vor „Rechtsextremisten und Rechtspopulisten“. Diese wollten „mit platten Botschaften und vermeintlich einfachen Lösungen Menschen verunsichern und eine demokratiefeindliche Stimmung erzeugen“.
Daraus ergibt sich, dass für den Verfassungsschutz auch der als „rechtspopulistisch“ eingestufte Clownswelt-Kanal Teil des demokratiefeindlichen Lagers ist – was der Recherche von Zeit und ZDF ebenfalls zuträglich war, da es die Geschichte über einen eigentlich unbedeutenden YouTuber überhaupt erst relevant werden ließ.
Der Verfassungsschutz Niedersachsen fiel in der Vergangenheit regelmäßig durch ein bemerkenswertes Verständnis seiner Aufgabe auf. So hatte er mit einem niedlichen Hundevideo dafür geworben, „Extremismus unterhalb der Strafbarkeit“ zu bekämpfen und „im Vorfeld konkreter Gesetzesverstöße tätig“ zu werden. Auf der Plattform X postete die Behörde das Bekenntnis: „Auch wir sind Antifa. Selbstverständlich.“ Pejril selbst wehrte sich in einem anderen Fall nicht dagegen, dass ein Auftritt von ihm für ein Werbevideo der Grünen verwendet wurde.
Pejril im Video der Grünen.
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