
Der Migrationsforscher Daniel Thym fordert eine 180-Grad-Wende in der Asylpolitik. Dem Spiegel sagte Thym: „Für einen Systemwechsel wird uns nur eins übrig bleiben: Wir müssten die Menschenrechte weniger streng handhaben.“ Notfalls, so der Wissenschaftler, „indem die EU-Verträge und die Europäische Menschenrechtskonvention verändert werden.“ Damit wirft Thym, der jüngst das Buch „Migration steuern“ veröffentlicht hat, erstmals die grundlegende Frage auf, ob und inwiefern das Asylsystem in der jetzigen Form noch zeitgemäß ist.
Die jüngsten Maßnahmen wie Grenzkontrollen und Einschränkungen beim Familiennachzug seien zwar ein Schritt in die richtige Richtung, so Thym, aber längst nicht weitreichend genug. „Die Gespräche haben sich auf kurzfristige Maßnahmen konzentriert. Nach den fürchterlichen Anschlägen und Messerattacken wollen Union und SPD damit Ruhe und Handlungsfähigkeit vermitteln. Das ist jetzt gut und richtig. Nachhaltig ist es aber nicht“, betont er. Seiner Ansicht nach droht bei der nächsten Krise ein endgültiger „Vertrauensverlust“ in das Asylrecht, was radikalen Kräften Auftrieb verschaffen könnte.
Asylbewerber auf einem Schlauchboot vor der Ankunft auf der italienischen Insel Lampedusa.
Besonders im Dublin-System sieht Thym ein Kernproblem. „Offene Binnengrenzen passen einfach nicht zu einem Dublin-System, das mehrfache Asylanträge in unterschiedlichen Ländern zulässt“, erklärt der 52-Jährige. Viele Geflüchtete reisten von Erstaufnahmeländern wie Italien weiter nach Deutschland, wo Rückführungen oft scheitern. „Ein Asylbewerber sollte nur noch einen einzigen Antrag stellen dürfen“, schlägt er vor und plädiert dafür, dass Asylbewerber mit Bleiberecht sich in anderen EU-Staaten Arbeit suchen dürfen, Sozialleistungen jedoch nur im Erstaufnahmeland erhalten.
An den EU-Außengrenzen schlägt Thym drastische Schritte vor, etwa eine tägliche Höchstgrenze für Asylanträge. „Zum Zuge kämen in erster Linie Personen, die vorab elektronisch einen Termin vereinbart haben“, sagt er. Wer keinen Termin hat, solle nach einem schnellen Verfahren zurückgewiesen werden, außer bei unmittelbarer Verfolgung. Dafür könnten etwa Transitzentren eingerichtet werden, in denen Asylsuchende bis zu 16 Wochen warten müssten. „Natürlich ist Haft eine harte Maßnahme. Aber wenn jemand an der EU-Außengrenze um Asyl sucht, finde ich es grundsätzlich tragbar“, so Thym im Spiegel.
Die Mauer an der Grenze zwischen den USA und Mexiko.
Gleichzeitig betont er die Notwendigkeit, Migration strategisch zu steuern. Deutschland müsse als Einwanderungsland anerkannt werden, ohne jedoch jeden aufzunehmen. „Staaten wie Kanada, Australien oder die USA wählen von jeher aus, wer dort leben darf. An erster Stelle steht dabei die Anwerbung von Arbeitskräften, dann kommt die Fluchtmigration. In Deutschland ist es bisher andersherum“, kritisiert der Professor für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht an der Uni Konstanz. Migrationsabkommen mit Herkunftsländern könnten helfen, wenn diese im Gegenzug abgelehnte Asylbewerber zurücknehmen.
Thym sieht die aktuelle Asylpolitik in einer Sackgasse. Die großzügigen Interpretationen der Menschenrechte durch Gerichte müssten überdacht werden, um Reformen zu ermöglichen. „Da sagen jetzt einige: Das ist illusorisch. Aber man sollte es zumindest versuchen“, meint er. Pilotprojekte wie Asylverfahren in Drittstaaten hält er für denkbar, wenn sie gut organisiert werden. Ohne solche Maßnahmen warnt er vor einem Scheitern des Systems: „Die Angst vor schlimmen Bildern darf nicht der Grund sein, ewig ein dysfunktionales und unfaires System aufrechtzuerhalten.“
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