
Das Schicksal, von dem der Evangelist Matthäus in diesem berühmten Satz spricht, ist nicht vorhersehbar, für niemanden von uns. Und auch die Stunden, die zu einer schicksalhaften Wendung führen, kann keiner voraussehen. Nehmen wir den gestrigen Abend, 21 Uhr. Ein leichter Wind wehte über dem Bendlerblock zum Großen Zapfenstreich. Der Mann, der geehrt wurde, wirkte verloren auf dem weiten Platz. Gerade hatte Bundesverteidigungsminister Pistorius für seinen scheidenden Kanzler Worte der Güte und der Nachsicht gefunden. Alles ein bisschen zu viel für einen, der zu wenig geleistet hat. Aber das spielt im Moment des Schicksals keine Rolle.
Auftakt zum Grossen Zapfenstreich.
Nach dem Großen Zapfenstreich kam der letzte große Abgang des Nochkanzlers. Scholz hatte seinem Nachfolger Friedrich Merz noch Fortune gewünscht. Dann rollte er das letzte Mal mit seinem Kanzler-Auto davon. Scholz war Geschichte.
Olaf Scholz während des großen Zapfenstreichs.
Das nächste Bild, das sich den TV-Zuschauern womöglich eingebrannt hat, war wieder Olaf Scholz. Er lief durch den Plenarsaal, ohne an die weit entfernte Kamera zu denken (NIUS berichtete). Es war unmittelbar, nachdem feststand, dass sein Nachfolger Friedrich Merz doch noch nicht zum Nachfolger gewählt worden war. Auf den ersten Metern, die die TV-Kamera verfolgte, guckte Scholz zerknirscht wie einer, der mit seiner Mimik sagen wollte: Ich wasche meine Hände in Unschuld. Für dieses Desaster kann ich nichts. Dann, ganz plötzlich, drehte Scholz den Kopf ruckartig nach rechts und grinste fast unmerklich. Wie ein Foul beim Fußball, das man erst in Zeitlupe erkennen kann, sah man das Foul von Scholz erst in der verlangsamten Wiederholung. Es waren zwei verschiedene Scholzens, die da zu sehen waren. Mein gesunder Menschenverstand fragt sich: Grinst so ein aufrechter Mann? Oder wusste Scholz viel mehr als er uns verriet?
Scholz lief durch den Plenarsaal, ohne an die weit entfernte Kamera zu denken.
Was dann in den Nachmittagsstunden geschah, hat alles doch noch verändert, das Wichtigste jedoch nicht. Die historische Kanzlerwahl hatte ihre Unschuld verloren, die sie womöglich nie gehabt hat. Sie hat dunkle Mächte aufgezeigt, die womöglich für immer im Dunkeln bleiben. Aber sie hat vor allem gezeigt, dass niemand voraussehen kann, wann die Zukunft zum Schicksal wird. Ein bisschen von diesem Atem war gestern beim großen Zapfenstreich zu spüren – also vor der Kanzlerwahl. Es war der Atem des Ewigen. Es war ein bisschen von dem, was der Evangelist Matthäus so eindrucksvoll für immer formuliert hat. „Darum seid wachsam. Denn ihr kennt weder Tag noch Stunde.“
Hoffentlich vergisst Friedrich Merz das nie.