
Am Freitag debattierte der Bundestag über Trusted Flagger. Dies war zuallererst ein Sieg des freien Wortes über die Zensur-Gelüste der Bundesregierung. Kein Medium hatte so umfangreich und kritisch über das System der „vertrauenswürdigen Hinweisgeber“ berichtet wie NIUS. Und so kam das Nachrichtenportal auch im Plenum zur Sprache, in der Rede des Grünen-Abgeordneten Tobias B. Bacherle, dem nichts als der Versuch einer Schmähung einfiel. Der Angriff ad hominem ist die letzte Verteidigungslinie des Entwaffneten.
Zensur ist, wie die meisten politischen Phänomene, kein statischer Zustand. Sie kann im Kleinen beginnen: Etwa, wenn der Bereich des Verpönten auf einmal größer ist als der Bereich dessen, was als zulässig wahrgenommen wird. Wir erlebten in den vergangenen Jahren, wie sich der Meinungskorridor immer weiter verengte, wie immer weniger Menschen sich trauten, frei zu sprechen – aus Angst vor sozialen oder beruflichen Sanktionen. Auch wenn der Staat dabei noch nicht als zensierende Instanz eingriff, sondern nur mittels politischer Vorfeldorganisationen den Diskurs zu lenken versuchte, stellt ein solches Klima eine Gefahr für die Meinungsfreiheit dar: Denn erst der schweigende Bürger ermöglicht dem Staat, tiefer in die Privatsphäre vorzudringen und Freiheiten Stück für Stück zu beschränken.
Nun findet genau das statt, was lange als übertriebene Befürchtung abgetan wurde: Die Regierung gießt die Beschränkung der Meinungsfreiheit zunehmend in Gesetzesform. Mit dem Selbstbestimmungsgesetz stellt sie es unter Strafe, die Wahrheit über das Geschlecht eines Menschen zu sagen. Sie wertet Kritik als Beleidigung und zeigt Bürger und Journalisten an. Sie plant, gegen Bürger vorzugehen, die sich „gemeinwohlschädlich“ äußern. Sie will die Geschäftsordnung des Bundestags ändern, um den Abgeordneten „Respekt und Achtung“ in ihren Reden vorzuschreiben. Nun prescht sie bei der Umsetzung des europäischen Digital Services Act (DSA) vor und schafft ein Zensur-Monstrum, das Plattformen zur massenhaften Entfernung legaler Beiträge einlädt – ganz so, als wollte sie noch die linkesten Regierungen Europas links überholen.
Der Grüne Klaus Müller leitet die Bundesnetzagentur, die dafür zuständig ist, Trusted Flagger zu zertifizieren.
Es gibt wenig, was diese Bundesregierung noch zusammenhält: Neben dem Wunsch, die eigenen Posten, Gehälter und Rentenbezüge bis zum Ende der regulären Legislaturperiode zu sichern, ist da noch das autoritäre Politikverständnis, das Grüne, SPD und Teile der FDP teilen. Wirtschaftsminister Robert Habeck legt die Umsetzung eines Gesetzes, das den Kern der Meinungsfreiheit betrifft, ausgerechnet in die Hände seines Parteifreunds Klaus Müller. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte bereits im Februar gedroht, wer den Staat verhöhne, bekomme es mit einem starken Staat zu tun. Familienministerin Lisa Paus (Grüne), die lieber Gesellschaftsministerin wäre, weil das noch mehr nach Orwell klingt, möchte auch Aussagen „unterhalb der Strafbarkeit“ in den Blick nehmen.
Wir befinden uns an einem Wendepunkt: Die Beschränkung der Meinungsfreiheit, die lange Zeit eher eine gesellschaftliche Stimmung war, verwandelt sich in ein legislatives Projekt. Zu ihrem Schrecken jedoch muss die Regierung erkennen, dass sie mit ihrem Vorgehen zugleich einen Wandel in der öffentlichen Stimmung herbeiführt. Die Menschen wollen sich nicht mehr vorschreiben lassen, wie sie zu denken und zu sprechen haben. Sie fühlen sich befähigt, selbst zu entscheiden, ob sie dem Gemeinwohl dienen wollen oder nicht, was „Respekt und Achtung“ sind, wie sie die Arbeit der Regierungs-Koalition bewerten.
Dies veranschaulichte auch die Debatte im Bundestag. Das altbekannte Spiel der Diffamierung aller Andersdenkenden funktioniert nicht mehr. Sogar der FDP-Abgeordnete Max Modhorst bekannte: „Nicht jede Kritik ist unberechtigt, nur weil sie von Leuten kommt, die einem nicht gefallen. Man sollte nicht gleich immer mit einem Reflex reagieren, dass das eine böse Kampagne sei.“
Nichts fürchtet die autoritäre Macht so sehr wie das freie Wort. Zu Recht, wie die Debatte im Bundestag zeigte. Denn das freie Wort ist die wirksamste Waffe gegen Regierungen, die nicht verstanden haben, dass in der Demokratie alle Macht vom Volke ausgeht.
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