Das größte patriotische Rock-Event Europas

vor etwa 3 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Eine halbe Million Menschen besuchen ein Rockkonzert, auf dem ein Sänger auftritt, der weiten Teilen Europas als Reizfigur gilt. Marko Perković, besser bekannt als „Thompson“, trat am 5. Juli am Hippodrom in Zagreb vor einer Menschenmenge auf, die der Kontinent selten gesehen hat.

Was für viele Kroaten ein bewegender Abend der Einheit war, wurde andernorts zum Politikum. Die Berliner Zeitung sprach von einem „gesellschaftspolitischen Offenbarungseid“ und zog Parallelen, wenig originell und überraschend, zum Rechtsextremismus. Doch was geschah tatsächlich an diesem Abend? Und warum berührt dieser Sänger in seinem Heimatland so viele Menschen, während er im links-woken Westen vor allem Befremden auslöst?

Am 5. Juli 2025 fand in der kroatischen Hauptstadt eines der größten Konzertereignisse der europäischen Musikgeschichte statt, bei dem ungefähr eine halbe Million Menschen dabei sein wollten. Bereits in den ersten 24 Stunden nach Verkaufsstart wurden über 280.000 Tickets verkauft. Wahrscheinlich nicht nur ein nationaler Rekord.

Trotz der Größenordnung verlief die Veranstaltung ohne größere Zwischenfälle. Besucher reisten aus allen Teilen Kroatiens sowie aus der Diaspora an, auch aus Deutschland, Österreich, Skandinavien und sogar den USA. Neben der Musik rückten Elemente in den Vordergrund, die über das Konzertformat hinauswiesen. Religiöse Bezüge, geschichtspolitische Aussagen und emotionale Erzählmuster, all das verlieh dem Abend gesellschaftliche Tiefe.

Besonders der politische Kontext machte das Ereignis bemerkenswert. Zagreb wird seit 2021 von der links-grünen Bewegung Možemo („Wir können“) regiert, deren Vertreter, allen voran Bürgermeister Tomislav Tomašević, für eine progressive, säkular geprägte Stadtpolitik stehen. Die Bewegung setzt sich für Multikulturalismus, Gendergerechtigkeit und eine kritische Auseinandersetzung mit nationalen Mythen ein. In diesem Umfeld wirkte das Thompson-Konzert – eine Massenveranstaltung mit christlicher Botschaft, patriotischem Pathos und direktem Bezug auf den Unabhängigkeitskrieg – wie ein bewusster Kontrast.

Viele Beobachter deuteten das Konzert daher nicht nur als musikalisches Großereignis, sondern als symbolische Rückeroberung öffentlichen Raums durch konservative und religiöse Milieus. Dass die Stadt das Konzert nicht untersagte, obwohl sie ähnliche Veranstaltungen in der Vergangenheit kritisiert hatte, wurde selbstverständlich unterschiedlich bewertet. Die Einen sehen darin ein Zeichen demokratischer Toleranz, Andere ein strategisches Stillhalten in einer polarisierten Gesellschaft.

Marko Perković eröffnete den Abend mit den Worten: „Gelobt seien Jesus und Maria, liebes Volk. Danke, dass ihr so zahlreich gekommen seid.“ Die Begrüßung spiegelt eine in Kroatien weit verbreitete Form des religiösen Alltags und stand exemplarisch für den Charakter des Abends. Perkovićs Musik vereint Rock, folkloristische Stilelemente und spirituelle Inhalte. Im Zentrum steht die Erzählung von Heimat, Familie, Glauben und nationaler Selbstbehauptung.

Der Künstler ist eine zentrale Figur der kroatischen Kulturlandschaft nach dem Zerfall Jugoslawiens. Seine Popularität reicht weit über das Musikalische hinaus. Für viele symbolisiert Perković eine Generation, die Krieg, Unabhängigkeit und existenzielle Brüche erlebt hat. Zugleich bleibt er eine der umstrittensten Persönlichkeiten des Landes. Verehrt von seinen Anhängern, kritisch betrachtet von Gegnern im In- und Ausland.

Als junger Freiwilliger kämpfte Perković im kroatischen Unabhängigkeitskrieg der 1990er-Jahre. Seinen Künstlernamen „Thompson“ wählte er in Anlehnung an die Waffe, eine Thompson-Maschinenpistole, mit der er in den Krieg zog. Unterstützer sehen darin keine Kriegsverherrlichung, sondern ein biografisches Detail. Kritik begleitet Perković seit Jahrzehnten. Insbesondere der Ruf „Za dom spremni“ („Für die Heimat, sei bereit“), der sein bekanntestes Lied Bojna Čavoglave eröffnet, wird im Ausland häufig als Relikt aus der Zeit des faschistischen Ustaša-Regimes gewertet. In Kroatien ist die rechtliche Bewertung des Ausdrucks uneinheitlich.

Während manche Gerichte seine öffentliche Verwendung als strafbar einstufen, sehen andere ihn im Kontext des Unabhängigkeitskriegs als legitim. Perković selbst hat sich wiederholt öffentlich von faschistischer Ideologie distanziert. Ob diese Abgrenzung glaubhaft oder taktisch ist, bleibt Gegenstand innerkroatischer Debatten. Das Lied „Bojna Čavoglave“ entstand 1991 während der ersten Monate des Krieges und verbreitete sich zunächst über Kassetten unter Frontsoldaten. Es wurde zum akustischen Symbol des Widerstands. Und das lange bevor Perković größere Bühnen bespielte.

Auch innerhalb Kroatiens bleibt der Künstler umstritten. Während große Teile der Bevölkerung ihn als Stimme nationaler Erfahrung begreifen, äußern sich liberale Intellektuelle und Journalisten regelmäßig kritisch. Sie sehen in seiner Symbolik eine unklare Trennlinie zwischen Erinnerung und Ideologie. Andere wiederum warnen davor, das Publikum pauschal zu verurteilen. Viele Besucher seien religiös geprägt, traditionsverbunden oder einfach Teil einer Gemeinschaft, die sich in einer anderen Sprache als der westlichen Moderne ausdrücke.

Ein ruhiger Moment des Abends war die Gedenksequenz für die Opfer von Bleiburg. Auf den Leinwänden erschien eine brennende Kerze, begleitet von einem Text des verstorbenen Bischofs Ante Ivas. Die wiederholte Zeile „Maranatha“, „Komm, Herr“, entstammt dem Neuen Testament. In Kroatien ist das Gedenken an Bleiburg  – ein Ort, der mit Massakern an geflüchteten Kroaten am Ende des Zweiten Weltkriegs in Verbindung steht – ein fest verankerter Bestandteil des historischen Gedächtnisses. International bleibt das Thema dagegen weitgehend unbeachtet oder wird ideologisch aufgeladen. Für viele Konzertbesucher war der Moment Ausdruck würdevoller Erinnerung.

Neben älteren Liedern stellte Perković sein neues Album Hodočasnik („Der Pilger“) vor. Titel wie „Ako ne znaš šta je bilo“ („Wenn du nicht weißt, was geschehen ist“) knüpfen stilistisch und thematisch an sein Gesamtwerk an. Für seine Anhänger ist die Musik nicht nur künstlerischer Ausdruck, sondern Träger kollektiver Erfahrung und Erinnerung.

Ein visuell prägender Moment war die Drohnenshow nach dem gemeinsamen Auftritt mit seinem langjährigen Gitarristen Petar Buljan. Über dem Konzertgelände formten hunderte Drohnen Symbole wie das Kreuz, die Muttergottes und die kroatische Flagge. Während viele Zuschauer dies als identitätsstiftende Inszenierung erlebten, wurde sie in internationalen Medien auch als Ausdruck nationalkonservativer Symbolpolitik gedeutet. Je nach Perspektive spirituell oder politisch aufgeladen.

Besonders scharf fiel die Reaktion des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić aus. Er bezeichnete das Konzert als „große Schande für Kroatien, aber auch für die Europäische Union“, da dort „Werte pro-nationalistischer bis pro-Nazi-Richtungen“ zum Vorschein gekommen seien. Die Wortwahl zeigt, wie tief die Spannungen im postjugoslawischen Erinnerungsraum bis heute existieren.

Zum Abschluss wandte sich Perković mit einem emotionalen Dank an das Publikum: „Danke für diesen wunderbaren Abend der Einheit. Dank sei Gott.“ An die junge Generation gerichtet fügte er hinzu: „Ihr seid stärker und standhafter als wir je waren. Wir Älteren können nun in Frieden sterben, denn wir haben Kroatien in sichere Hände gelegt.“

Das Konzert war nicht nur ein nationales Ereignis, sondern ein Symptom jener kulturellen Spannung, die Europa zunehmend durchzieht. Während in westeuropäischen Gesellschaften der Bezug auf Religion, Geschichte und kollektive Identität oft als rückwärtsgewandt gilt, sind diese Elemente in Staaten wie Kroatien öffentlich präsent und gesellschaftlich akzeptiert. Das Ereignis markiert damit eine kulturelle Bruchlinie zwischen postnationaler Selbstdefinition und historisch gewachsener Selbstbehauptung.

Unabhängig von der politischen Bewertung einzelner Elemente bleibt festzuhalten: Das Thompson-Konzert in Zagreb war eines der bedeutendsten öffentlichen Ereignisse in Kroatien seit der Unabhängigkeit. Es machte deutlich, wie bedeutend Begriffe wie Heimat, Glaube und Geschichte für viele Menschen sind. Die internationale Reaktion darauf offenbart zugleich, wie unterschiedlich kulturelle Ausdrucksformen in Europa bewertet werden. Ein differenzierter Blick auf diese nationalen Kontexte wäre, gerade in einer Zeit, in der das kulturelle Selbstverständnis nicht mehr selbstverständlich ist, angeraten.

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