
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mich lässt ein Satz nicht mehr los: „Das grüne Wirtschaftswunder geht erst los“, sagen die grünen Fraktionsvorsitzenden. Das ist eine Drohung, eine wirklich harte Drohung. Dieser Satz würde mich wahrscheinlich in meinen Träumen verfolgen, wenn die nicht schon voll wären von Ukulele spielenden Pinguinen, die mit meinen Klassenkameraden am Lagerfeuer „Never Gonna Give You Up“ singen, bis der Schulbuselefant kommt.
Am meisten Angst macht mir an diesem Satz die böse Vorahnung, was noch kommt. Welche Auswirkungen der Schulden-Deal auf unsere Wirtschaft, auf unseren Wohlstand und auf unsere Zukunft haben wird, wurde in den vergangenen Wochen vielfach analysiert – und es sieht ganz und gar nicht gut aus. Tatsächlich schlimmer, als man es sich vorstellen konnte. Aber die neue Legislaturperiode geht gerade erst los.
Mir fehlt nicht die Fantasie für Ukulele spielende Pinguine. Aber was sich in den Köpfen der Menschen abspielt, die den Schulden-Deal für eine gute Idee und einen guten Anfang halten… Welche guten Ideen da noch zustande kommen können – und überhaupt um wie viel Geld mit wie vielen Nullen es geht, dafür fehlt mir langsam die Fantasie. Wir müssen uns wohl überraschen lassen, welche tollen Maßnahmen und Ausnahmezustände dieses grüne Wirtschaftswunder noch mit sich bringen wird.
Allerdings – da setzt jetzt meine Fantasie wieder ein – kann ich mir diesen Satz einfach zu gut als Überschrift in einem Geschichtsbuch vorstellen, über einem Kapitel der zweiten großen Wirtschaftskrise des 21. Jahrhunderts. Da wäre genau diese tragische Ironie aus der Retrospektive, auf die Geschichtsbuchautoren abfahren. „Großer Sprung nach vorne“ von Friedrich Merz würde sich da auch gut machen, aber der Satz ist schon für eine Hungersnot in einem etwas früheren Kapitel besetzt.
Wo ist dieses grüne Wirtschaftswunder, das ja offenbar gerade begonnen hat, also positiv spürbar sein müsste? Auf meinen Kassenbons findet da schon mal kein positiver Trend statt. Ich kann nichts zu den Zahlen und Statistiken in der Wirtschaft oder Kursen an der Börse sagen, aber wenn ich in meinen Kleiderschrank schaue, kann ich auch sagen, dass wir gerade absolut kein Wirtschaftswunder erleben.
Seit Anfang des letzten Jahres macht sich in der Mode ein Trend breit. Und anders als die meisten Modetrends bricht er bis heute nicht ab. Er nennt sich „office siren aesthetic“ oder „office core“ – einfach gesagt: Bürokleidung, aber in chic. Taillierte Blazer, taillierte Hemden, Strumpfhosen, halbwegs vertretbare Röcke. Ich hätte eigentlich gleich misstrauisch werden sollen.
Eine Zunahme an Bürokleidung ist in der Modewelt ein Rezessionsindikator. Die Theorie dahinter ist, dass die Modemarken feststellen, dass die Kaufkraft ihrer Kunden nachlässt und sie sich nicht mehr leisten können, separate Kleidung für die Arbeit und für die Freizeit zu kaufen. Also macht man Büromode zum Trend, sodass sie für beides getragen werden kann. Es gibt viele solcher Rezessionsindikatoren in der Mode.
Da wäre noch der Hemline Index, auch bekannt als Rocksaumtheorie. Der besagt, dass Frauen in wirtschaftlichen Krisenzeiten längere Röcke tragen. In der Theorie kann man an der Länge der Röcke ablesen, wie es um die Wirtschaft steht. Wenn die Menschen wohlhabender sind, spielen sie mehr mit ihrer Mode, wollen gesehen werden. In unsicheren Zeiten wird dagegen auch die Kleidung konservativer. Diese Beobachtung hatte der US-Ökonom George Taylor in der Nachkriegszeit gemacht.
Also nicht nur Tschüss Wohlstand, sondern auch noch bye bye Minirock? Uns stehen wirklich keine schönen Jahre bevor. Ich glaube, ich nehme alles zurück, was ich vor zwei Wochen über das Realisieren der politischen Lage gesagt habe. Ich nehme meinen Realisierungsprozess zurück und übe mich wieder in naiver Ahnungslosigkeit. Wenn ich die letzten paar Jahre Minirock und meine schicke neue Bürokleidung ohne Bedenken genießen will, dann muss die Politik aus meinem Alltag raus.
Aber wie soll man die Politik aus dem Alltag verdrängen, wenn alles politisch ist? Ein Spaziergang sollte doch eigentlich unpolitisch sein, jedenfalls in der Post-Corona-Zeit. Aber selbst draußen ist man wieder bei den Grünen. Die österreichische Grünen-Politikerin Judith Pühringer hat kürzlich für eine ähnlich große Welle gesorgt, wie ihre deutschen Kolleginnen mit ihrem grünen Wirtschaftswunder, als sie Bäume als „BäumInnen“ gegendert hat.
Politik verdrängen gescheitert, aber wenigstens ein grünes politisches Vorhaben, das ich unterstütze. Baumsexismus ist ein Thema, das mich nun seit vier Jahren plagt und seither warte ich auf eine Gelegenheit, mich gegen die Diskriminierung von weiblich gelesenen Bäumen zu wehren. Wussten Sie, dass in den Städten meistens männliche Bäume gepflanzt werden, weil weibliche Bäume mit ihren Früchten einen zu großen Reinigungsaufwand bedeuten?
Dieser Überschuss an toxisch männlichen Sporen wird als ein Grund für die Zunahme von Heuschnupfen in den Städten angesehen. Als jemand, der heuschnupfenfrei aufgewachsen ist und seltsamerweise seit der Maskenpflicht-Zeit plötzlich jeden Frühling elendig und theatralisch leidet, ist dieser Sexismus ein ernstes Anliegen. Dass Judith Pühringer in ihrem Baumpflanzprojekt, welches 100.000 neu gepflanzte Bäume in Wien vorsieht, also offensichtlich so bewusst auf eine Geschlechterparität achtet, kann ich nur unterstützen.
Arme Menschen, aber dafür auch sporenärmere Luft? Nein, meine Depolitisierung ist noch nicht fortgeschritten genug, um das selbst im Scherz als einen guten Deal zu bezeichnen. Mit Hoffnung kann ich also nicht dienen, es bleibt auch von meiner Seite nur bei schwarzem Humor. Und schwarzem Kaffee. Im Martiniglas. Ob das wohl auch wieder ein Miniluxus und damit Rezessionsindikator ist?