Das nicht enden wollende Hin-und-Her um Merz‘ Migrationswende und eine Phantasiedebatte

vor etwa 9 Stunden

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Die „Migrationswende“ war das zentrale Wahlkampfversprechen des frisch gewählten Bundeskanzlers Friedrich Merz. Der neue Bundesinnenminister Alexander Dobrindt kündigte in diesem Zusammenhang am ersten Tag seiner Amtsübernahme die Zurückweisung von Migranten an der Grenze an. Mit einer Weisung an die Bundespolizei ermächtigte er diese, Asylbewerber an den Bundesgrenzen zurückweisen zu können.

Bereits hier ist jedoch unklar, wie durchgreifend die Weisung ist. In dem Schreiben an die Behörde hieß es lediglich, dass die Bundespolizei Migranten zurückweisen „kann“. Gestern sorgte die Bundesregierung dafür, die Verwirrung noch größer werden zu lassen. Auslöser dessen war ein Bericht des Welt-Vizechefredakteurs Robin Alexander, wonach Deutschland eine „nationale Notlage“ nach Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ausgerufen habe. Auch die europäischen Mitgliedstaaten hätte man hierüber informiert.

Regierungssprecher Stefan Kornelius widersprach den Berichten und erklärte gegenüber der Bild-Zeitung, der Bundeskanzler werde „keinen nationalen Notstand in Kraft setzen.“ Am Freitag äußerte sich auch Merz selbst in Brüssel und erklärte: „Es gibt keinen deutschen Alleingang.“ Auf der Plattform X betonte er zudem, Deutschland handele „im Einklang mit dem europäischen Recht“. Merz vermied es dabei, den Begriff „Notlage“ zu verwenden. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt tat es dem Bundeskanzler am Abend bei Maybritt Illner gleich und vermied den Begriff.

Auf Nachfrage führte Dobrindt jedoch aus, dass man sehr wohl das Europa-Recht umgehen wolle. Dies sagte er zwar nicht ausdrücklich, ergibt sich aber aus dem Sachzusammenhang. Konkret erklärte der Bundesinnenminister, um die neue Migrationspolitik durchzusetzen, sei „Paragraph 18, der einschlägige im Asylgesetz, den wir nutzen im Zusammenhang mit bilateralen Verträgen und auch in Verbindung mit Artikel 72.“

Artikel 72 der Arbeitsweise über die Europäische Union gestattet den Mitgliedstaaten, in Ausnahmefällen zum Schutz der öffentlichen Ordnung und inneren Sicherheit vom EU-Recht abzuweichen. Genau das ist es, was Dobrindt und Merz offenbar planen. Grundsätzlich gilt für Asylverfahren die Dublin-III-Verordnung. Das deutsche Asylgesetz wird durch diese Regelung weitgehend überlagert. Dass Dobrindt nun jedoch erklärt, man wolle Paragraph 18 des Asylgesetzes anwenden, macht klar, dass das Recht der Europäischen Union umgangen werden soll.

Nun kreist die Debatte jedoch um den Begriff des Notstandes. Wie Table Media berichtet, entstand das Kommunikationsdesaster wohl insbesondere auf Hinwirken von Vizekanzler Lars Klingbeil. Klingbeil wies Merz demzufolge nach dem Bericht der Welt telefonisch darauf hin, dass das Ausrufen einer Notlage nicht mit der SPD abgestimmt war. Tatsächlich ist in dem Koalitionsvertrag nicht ausdrücklich von einer Ausrufung des Notstandes die Rede, sondern lediglich davon, dass man „in Abstimmung“ mit den europäischen Mitgliedstaaten Zurückweisungen vornehmen werde.

Letztlich ist die Debatte um die Ausrufung der „nationalen Notlage“ jedoch bloße Semantik. Voraussetzung für die Anwendung des Artikels 72 AEUV ist, dass man die „öffentliche Ordnung“ oder die „innere Sicherheit“ gefährdet sieht. Dobrindt und Merz zufolge ist dies gegeben – andernfalls würde der Innenminister nicht erklären, auf Basis dieses Artikels handeln zu wollen. Ob man hierbei nun von einer „nationalen Notlage“ spricht oder nicht, ist rechtlich vollkommen unerheblich.

Sollte das Innenministerium gemeinsam mit der Bundespolizei ernst machen und tatsächlich Asylbewerber zurückweisen, wird es wohl zwangsläufig zum Konflikt mit den europäischen Nachbarstaaten kommen. Österreich und Polen haben bereits erklärt, keine von Deutschland zurückgewiesenen Asylbewerber aufzunehmen. Österreichs Innenministerium teilte mit, dass solche Rückweisungen unionsrechtswidrig seien und daher nicht akzeptiert werden würden.

Im Zweifel wird der Sachverhalt also vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg kommen. Ob Deutschland hier dann Erfolg haben wird, ist aber fraglich. Die Hürden für die Anwendung des Artikels 72 der Arbeitsweise über die Europäische Union hat der EuGH überaus hoch angesetzt. Demnach sei die Anwendung des Artikels nur in „ganz bestimmten außergewöhnlichen Fällen“ zulässig. Staaten, die sich auf Artikel 72 beriefen, scheiterten regelmäßig vor dem EuGH.

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