
Und der Gewinner ist: Thüringen! Auf der unten offenen Schwurbel-Skala belegt das Erfurter Papier der neuen Wunsch-Koalitionäre CDU, BSW und SPD klar den ersten Platz. Noch nie ist in einem politischen Text so irrwitzige Nebel-Lyrik verbreitet worden. „Thüringen ist ein Land mit Wurzeln tief in der wechselvollen Geschichte Deutschlands, aber dessen Blick stets fest auf die Zukunft gerichtet war und ist. Inmitten Europas, im grünen Herzen Deutschlands, fand Thüringen immer wieder die Kraft zur Erneuerung.“
Bei aller Liebe zum pflichtgemäßen Lokalpatriotismus weiß man an vielen Stellen des zweiseitigen Ergusses nicht, ob man die Zeilen singen oder besser gleich tanzen soll. Das Lachen über politische Nonsens-Girlanden vergeht einem dagegen schnell. „Wir kooperieren als drei Parteien, als CDU, BSW und SPD gemeinsam, um Thüringen nach vorne zu bringen.“ Klar. Alles andere wäre auch eine blöde Botschaft. Wenn man allerdings zu dick aufträgt, merkt auch der Letzte die penetranten Pfiffe im politischen Unterholz. „Unterschiedliche Traditionen und Sichtweisen sind nicht etwa Hindernisse, sondern Treiber für neue politische Kreativität.“ Nicht, dass noch irgendwer auf die abwegige Idee käme, dass unterschiedliche Sichtweisen „Hindernisse“ sein könnten, wie täglich bei der Bundes-Ampel zu beobachten ist. Fehlt nur noch, dass Probleme „dornige Chancen“ sind.
Von links nach rechts: Der Co-Landesvorsitzende des BSW, Steffen Schütz, Katja Wolf, BSW-Fraktionschefin, CDU-Fraktionschef Mario Voigt und Georg Maier, Thüringer SPD-Parteichef und geschäftsführender Innenminister von Thüringen.
Man fragt sich, was das Chef-Rhetoriker-Trio konsumiert hat bei Sätzen wie: „Wir werden das Land aus der Mitte heraus zusammenzuführen, Sorgen wahrnehmen und Ängste abbauen.“ Andere führen in der Mitte zusammen, die tolldreisten Thüringer aus der Mitte heraus. Von Alt-Bundespräsident Roman Herzog entlehnen sie den Ruck, der nun also auch durch den Rennsteig gehen muss. „Wir hören zu, tauschen uns aus und bringen unterschiedliche Sichtweisen zusammen, um die besten Lösungen zu finden.“ All das ist so wohlfeil, platt und sinnfrei, dass es im Grunde eine Beleidigung der Thüringer ist.
Bemerkenswert ist einzig der Eiertanz, den die neuen Koalitionäre um das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) aufführen. „Wir nehmen die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ernst, dass sich der Krieg ausweitet und damit das Risiko besteht, dass auch Deutschland in eine sich immer schneller drehende Kriegsspirale hineingezogen wird“, heißt es im Brandenburger Sondierungspapier von SPD und BSW. Und wie ein Wunder findet sich der Satz fast wortgleich auch in Erfurt wieder: „Wir nehmen die Sorgen und Ängste unserer Bürgerinnen und Bürger ernst, dass Krieg in Europa ist und Deutschland mit hineingezogen werden könnte.“
BSW-Chefin Sahra Wagenknecht wacht über allen zurzeit laufenden Gesprächen und Sondierungen
Der härteste und vermutlich ehrlichste Abschnitt befindet sich bei den Thüringer ganz oben auf Seite zwei: „CDU und SPD sehen sich in der Tradition von Westbindung und Ostpolitik. Das BSW steht für einen kompromisslosen Friedenskurs.“ Mit anderen Worten: Das BSW steht nicht in der Tradition von Ostpolitik (Wandel durch Annäherung). CDU und SPD lassen sich dagegen ins Stammbuch schreiben, offenbar keinen „kompromisslosen Friedenskurs“ zu verfolgen. Stattdessen gibt es einen raffinierten juristischen Bastel-Satz: „Wenngleich wir hinsichtlich der Notwendigkeit von Waffenlieferungen an die Ukraine zur Verteidigung ihrer territorialen Integrität und Souveränität unterschiedlicher Auffassungen sind, eint uns das Ziel, eine diplomatische Lösung des Krieges gegen die Ukraine und den Abbau der damit verbundenen Spannungen innerhalb Europas mit dem Ziel eines Waffenstillstandes und gerechten, dauerhaften Friedens im Sinne der Charta der Vereinten Nationen und des Budapester Memorandums voranzutreiben.“ Wohl dem, der die UN-Charta und das Budapester Memorandum von 1994 zur Hand hat, um die Thüringer Eiertänze in ihren rechtlichen Rahmen zu stellen.
In beiden Papieren, dem aus Brandenburg wie dem aus Thüringen, nimmt der Weltfrieden, der nicht in der Macht der deutschen Bundesländer liegt, den ungleich größten Teil ein und machen die künftigen Partner des BSW nicht nur zwischen den Zeilen zu beflissenen Dienstboten. Der Grund ist einfach: Union und SPD haben den Willen zum Regieren, das BSW den Willen zur Macht.
Jenseits der friedensbewegten Spiralnebel versinkt der Thüringen-Text dann rasch wieder in den sanften Sphären der politischen Klangschale: „Unsere Vision ist es, ein Thüringen zu schaffen, das den Menschen Zuversicht gibt und auf das alle stolz sein können. Wir arbeiten daran, Hürden abzubauen, Chancen zu schaffen und die Zukunft des Landes mit Mut und Verantwortung in die Hand zu nehmen. Denn nur so können wir Thüringen zu dem machen, was es verdient zu sein: ein Land der Hoffnung und des Zusammenhalts.“
Den Einwohnern wären funktionierende Ämter, erreichbare Krankenhäuser und vernünftige Straßen womöglich lieber als die Visionen der dreisten Drei von der Friedenswacht, für die sie sich nichts kaufen können.