
Nach einem Bundesligaspiel in Hamburg gerät ein BVB-Fan mit einer Gruppe Menschen aneinander und erleidet nach einem Stoß einen tödlichen Sturz. Nur eine Rangelei mit tragischem Ausgang oder ist etwas passiert, was schnell abgehakt werden soll? Heikle Fragen wurden noch nicht beantwortet.
Michael „Steini“ Steinmetzer, ein Dortmunder Fußballfan, fährt nach Hamburg, um seinen Verein bei einem Auswärtsmatch anzufeuern – und überlebt den Abend nicht. Für die Medien bleibt das eine Randnotiz, es soll sich um ein tragisches Unglück gehandelt haben, heißt es bald. Aber es bleiben allerlei offene Fragen. Was genau ist geschehen?
Am späten Abend des 23. August kommt es auf dem Heiligengeistfeld in St. Pauli zu einem tödlichen Vorfall auf dem Harald-Stender-Platz, einem Vorplatz des Millerntor-Stadions: Drei Stunden nach Spielende, gegen 23:20 Uhr, es herrscht immer noch Trubel wegen des Hamburger Sommer-Doms (einer Kirmes), geraten ein, wie es heißt, mutmaßlich „alkoholisierter“ Fan der Dortmunder Borussia und eine Gruppe aneinander.
Wie es die Polizei Hamburg später schildert, geht der 39-jährige Michael „Steini“ Steinmetzer „mehrfach belästigend auf eine Personengruppe zu“. Gemeint ist: Er versucht, die Menschen zu umarmen, was diese wohl ablehnen. Schließlich stößt ihn einer aus der Gruppe weg, „Steini“ stürzt, schlägt mit dem Kopf auf den Boden auf und verliert das Bewusstsein.
Auf einem Stadionvorplatz nahe des Doms kam es zu dem tödlichen Vorfall.
Umstehende Unbeteiligte, so die Polizei, übernehmen die Erstversorgung des Dortmunders und alarmieren die Rettungskräfte. Eine Rettungswagenbesatzung übernimmt die Reanimierungsmaßnahmen und bringt ihn in Begleitung eines Notarztes in die Klinik. Dort erliegt der Dortmunder am Nachmittag des folgenden Tages seinen Verletzungen.
Zunächst kann Polizeisprecher Sören Zimbal auf Nachfrage nicht sagen, ob es sich bei dem jungen Mann, der dem BVB-Fan den letztlich tödlichen Stoß zufügte, um einen anderen Fußballfan, vielleicht um einen Anhänger des FC St. Pauli handelt. Gerüchte machen die Runde, angeblich werden Fans des Kiezklubs auf Social Media als „Mörder“ beschimpft und der Verein erhält Drohungen. Am Mittwoch schreibt der Verein auf der Plattform Bluesky (Twitter hat er natürlich wegen Elon Musk verlassen): „Wir sind entsetzt und traurig über den tragischen Vorfall. Wir trauern mit den Angehörigen.“ St. Pauli habe aber mit dem Vorfall nichts zu tun.
Handelt es sich um einen Streit zwischen Fußballfans? Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft verkünden schließlich: Es waren Besucher des Hamburger Sommerdoms (einer großen Kirmes auf dem Heiligengeistfeld unmittelbar neben dem Millerntor-Stadion), mit denen der Dortmunder aneinandergeriet. So berichteten es der NDR, die Hamburger Morgenpost und das Hamburger Abendblatt.
Das Magazin 11 Freunde atmet auf: „Es war kein Fan-Streit“ lautet die Überschrift zum Artikel. Die politisch eher „progressiv“ tickende Redaktion würde wohl sehr ungern über einen Vorfall berichten, in dem der sich demonstrativ links gebende Kiezklub eine negative Rolle spielt. Dabei sind die Ultras des Braunhemden-Vereins auch keine Kinder von Traurigkeit. So warfen sie im Februar 2023 Böller auf Anhänger des ihnen verhassten Vereins Hansa Rostock (der sie allerdings ebenso hasst).
Und so bleibt die Nachricht vom Tod „Steinis“ eine Randnotiz. „Der FC St. Pauli ist entsetzt und traurig über den tragischen Vorfall. Wir möchten den Angehörigen des Betroffenen sowie Borussia Dortmund unser tief empfundenes Beileid aussprechen“, schreibt der Verein am Montag auf seiner Webseite und dankt den Rettungskräften und den Personen, die vor Ort Erste Hilfe geleistet haben. Präsident Oke Göttlich sagt der Zeit: „Für uns zählt jetzt das Beileid und nicht die Kommentierung von Vorverurteilungen unseres Vereins. Wir sind tief bestürzt über den Tod des Fans.“
Oke Göttlich, Präsident des FC St. Pauli, wies Gerüchte zurück.
Obwohl „Weltpokalsiegerbesieger“ – 2002 hatten die Kiez-Kicker sensationell gegen Bayern München gewonnen –, genießt der FC St. Pauli als Underdog deutschlandweit Sympathien, protzt gern mit seiner Gesinnung, obwohl Präsident Oke Göttlich sich in der Corona-Zeit sehr ausgrenzend äußerte, nicht einmal getestete Fans ins Stadion lassen wollte und auch sonst dezidiert linksgerichtet auftritt.
Allgemeine Erleichterung also, als die Nachricht herumgeht, dass es sich nicht um einen Fan-Streit handelt. Und dennoch gibt es da einige heikle Punkte. So hat sich die beteiligte Personengruppe, einschließlich des Tatverdächtigen, bereits vor dem Eintreffen der später hinzugezogenen Polizei vom Ort des Geschehens entfernt. Michael Steinmetzer hat nach dem Sturz das Bewusstsein verloren, er wird spontan von Umstehenden erstversorgt. Weder der junge Mann, der ihn zu Boden gestoßen hat, noch dessen Begleiter haben ihm geholfen. Und warum sind sie gegangen, wenn der „Schubs“ harmlos gewesen sein soll?
Die Polizei kann den Tatverdächtigen, es soll sich um einen „22-jährigen, deutschen Staatsangehörigen“ handeln, später in seiner Wohnung im Stadtteil Eimsbüttel vorläufig festnehmen. In Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft setzt die Polizei den jungen Mann jedoch wieder auf freien Fuß – es lägen „keine Haftgründe“ vor. Dennoch wird wegen des Verdachts der Körperverletzung mit Todesfolge gegen ihn ermittelt, die Polizei startet einen Zeugenaufruf. Wer den Hergang beobachtet hat, solle sich unter der Telefonnummer 040-428656789 oder bei einer Polizeidienststelle melden. Gab es Zeugen und wenn ja: Was haben sie ausgesagt? Die Staatsanwaltschaft, die in dem Fall kommuniziert, wollte sich auf Anfrage von NIUS nicht zum Stand der Dinge äußern, unter Hinweis auf die laufenden Ermittlungen.
Handelte es sich wirklich nur um ein zufälliges Zusammentreffen mit tragischem Ausgang? Der Dom ist im Sommer samstags bis 0:30 Uhr geöffnet, auch die Fußballfans von nebenan feiern nach dem Spiel noch stundenlang Partys, es geht auch spät noch turbulent zu auf dem Kiez. Das offizielle Wording ist jedoch irritierend. Was heißt es genau, wenn gesagt wird, Steinmetzer habe die Gruppe „angesprochen“ und sei „belästigend auf die Gruppe zugegangen“? Angeblich hat er versucht, die Betroffenen zu „umarmen“. Ob er sie überhaupt angefasst hat – unklar.
Spendenaufruf für die Familie des Getöteten
Natürlich ist es möglich, dass „Steini“ einfach Pech gehabt hat, infolge des Stoßes unglücklich gestürzt ist und tödliche Verletzungen davongetragen hat – Genaueres wird man erst nach Veröffentlichung des Obduktionsergebnisses sagen können. Allerdings sind auch andere Vorgänge denkbar, die zu der „Auseinandersetzung“ (NDR) geführt haben könnten. Auch Besucher des Doms können alkoholisiert sein, auch kann ein Stoß durchaus vorsätzlich ausgeführt werden – wie gerade erst in Friedland erlebt.
Wer ist der Täter mit (auch?) deutscher Staatsbürgerschaft? Wie genau ist das Aufeinandertreffen eskaliert? Warum entfernte sich die nicht näher beschriebene „Gruppe“ der Beteiligten vom Tatort und half dem BVB-Fan nicht? Gibt es Zeugen und was haben sie gesehen? Fragen, die nicht gestellt werden, doch – die Behauptung scheint nicht zu gewagt – gewiss gestellt worden wären, wenn Hansa-Rostock-Fan Ronny einem Ausländer einen tödlichen Stoß versetzt hätte.
Michael Steinmetzer ist eines vermeidbaren Todes gestorben, dessen Umstände noch aufgeklärt werden müssen. Bei GoFundMe wird für seine Angehörigen gesammelt. Im Dortmunder Signal Iduna Park haben sie „You’ll Never Walk Alone“ für ihn gesungen und ein Banner mit seinem Konterfei entrollt. Die Empathie sollte nicht aufs Stadion beschränkt bleiben. Und die offenen Fragen gehören geklärt.
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