
Im Jahr 2025 leben mehr als acht Milliarden Menschen auf der Erde, so viele wie noch nie zuvor. Dennoch wird in Politik und Medien um die Frage, ob die aktive Begrenzung der Zahl der Menschen, die vor allem Afrika bevölkern, die Armut auf dem Kontinent und Migration eindämmen könnte, ein großer Bogen gemacht. Selbstbestimmte Familienplanung und Müttergesundheit haben keine Priorität.
Anstatt Diskussionen und Kontroversen auszuweichen, sollten Entwicklungspolitiker diese geradezu suchen. Denn erst die Auseinandersetzung mit anderen, der Austausch von Argumenten und Gegenargumenten ermöglicht es dem mündigen Bürger, sich ein begründetes, differenziertes und eigenständiges Urteil zu bilden. Die deutsche Entwicklungshilfe weigert sich, ihre Gelder an Familienplanung zu koppeln. Ich fürchte, das wird sich auch nicht unter einem Kanzler Merz ändern.
Deshalb schreitet in Afrika die Reduzierung der Armut weltweit am langsamsten voran und macht teilweise Rückschritte. Trotzdem sind Familienplanung und Bevölkerungspolitik große Tabus in Afrika. Laut einer Prognose der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung wird die Zahl der Jugendlichen in Afrika bis 2050 von heute 451 Millionen auf rund 726 Millionen wachsen. Die Kontrolle des Bevölkerungswachstums bleibt ein heikles Thema, und nur wenige vernünftige Politiker in Afrika und Europa wagen es, sich deutlich dafür auszusprechen. Viele Afrikaner sehen in der Geburtenregelung ein rassistisches Komplott, das darauf abzielt, Afrika zu entvölkern. Viele Kinder zu haben, gilt bei vielen Afrikanern als Zeichen von Wohlstand und Prestige. Dennoch: Es stellt die schlimmste Bedrohung dar, der sich Afrika und Europa gegenübersehen.
Der hohe Bevölkerungsanstieg verursacht Konfliktpotenzial: durch mangelnde Ernährungssicherheit, Wasserknappheit, Druck auf Bildungssysteme, Arbeitslosigkeit. Außerdem steigt bei einer höheren Population und Verteilungskämpfen die Aggression. Das Gesundheitswesen hält dem Druck einer rasant anwachsenden Population in weiten Teilen Afrikas nicht stand. Die wenigen Ärzte versuchen, sich bessere Einkommensquellen zu erschließen als die in einem Distrikt-Krankenhaus. Sie verschwinden entweder in der Verwaltung oder ins Ausland. Im Vereinigten Königreich sind zum Beispiel mehr Ärzte aus Sierra Leone und mehr malawische Krankenschwestern im Einsatz als in ihren Heimatländern.
Stattdessen empfiehlt die Welthungerhilfe das Buch von Dana Schmalz „Das Bevölkerungsargument – Wie die Sorge vor zu vielen Menschen die Politik beeinflusst“. Frau Schmalz will beruhigen: „Das Wachstum ist rückläufig. Inzwischen weiß man, dass noch im Laufe des Jahrhunderts die Spitze von etwa 10 Milliarden erreicht sein wird, bevor die Weltbevölkerung zu schrumpfen beginnt.“ Danach würde prognostiziert, dass die sinkende Geburtenzahl von der wachsenden Zahl der Sterbefälle überholt würde. Die Weltbevölkerung würde dann nicht nur altern, sondern auch schrumpfen. Das soll beruhigend klingen, aber nach wie vor steigen die Geburtenzahlen in Afrika. Ich empfehle stattdessen, mal afrikanische Literatur zu lesen und afrikanischen Politikern zuzuhören:
Die nigerianische Schriftstellerin Sefi Atta schreibt in ihrem Roman „It’s my turn“: „Du weißt, dass eine Frau es nicht verheimlichen kann, wenn sie unfruchtbar ist. Wenn ein Mann zeugungsunfähig ist, muss niemand davon erfahren. Verstehst du? Die Frau sucht jemand anderes, um ein Kind zu zeugen, und hält das Ganze geheim [… ] traditionelle afrikanische Samenspende […] Wie viele mutterlose Kinder haben wir hier? Und trotzdem gilt bei uns das Gebären immer noch als das Höchste. Du musst Kinder kriegen, du musst Kinder kriegen, um jeden Preis.“
Der ehemalige Präsident von Tansania, John Magufuli (Spitzname „Bulldozer“), forcierte das Bevölkerungswachstum und die Armut noch, indem er seine Landsleute aufforderte, nicht mehr zu verhüten. Sie sollten nicht auf Meinungen von außen hören. „Wir Tansanier sollten uns weiter vermehren. Ihr könnt die Verhütungsmittel nun absetzen. Tansania ist reich genug, um alle zu ernähren.“
In Tansania lebten 1961 bei der Unabhängigkeit 10 Millionen. Heute sind es 55 Millionen. Die Hälfte der Bevölkerung muss von höchstens zwei Euro pro Tag leben. Die Arbeitslosigkeit ist hoch.
„Die Geberländer müssen ihre Entwicklungspolitik auf die Frauen und auf die Familienplanung konzentrieren und die Empfängerländer müssen sich gleichfalls auf die kategorische Anhebung der Rolle der Frauen und Familienplanung und auf Contraceptives konzentrieren“, sagte Helmut Schmidt am 16. März 1995 im Überseeclub Hamburg auf einer Veranstaltung der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung. Auch Willy Brandt schreibt in seinem Buch „Erinnerungen“: „Familienplanung gehört zu den ordnenden und unausweichlichen Elementen im Überlebenskampf der Menschheit.“
Dennoch ist Familienplanung ein heikles Thema, bei dem man sich schnell den Vorwurf des Rassismus einhandelt. Aber wer möchte, dass Afrika seine Menschen irgendwann selbst ernähren und in Lohn und Arbeit bringen kann, der sollte auch helfen, die dortigen Geburtenraten zu senken. Es wächst nämlich eine Generation heran, die wenig Aussicht darauf hat, dass das Land, auf dem sie geboren wurden, sie einmal wird ernähren können. Politik und Medien in den meisten afrikanischen Ländern wie in Deutschland unterschätzen das Problem hochgradig. Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung sind durch die fehlende Familienplanung Afrikas größtes Problem.
Auch wenn Afrika gern als Chancenkontinent bezeichnet wird, suchen immer mehr junge Leute ihre Chance lieber in Europa. Es wurden weiterhin wenige neue Arbeitsplätze geschaffen, wodurch eine enorme Beschäftigungslücke entstanden ist. Europa wirkt deshalb als Magnet für die Millionen von potenziellen Immigranten vom afrikanischen Kontinent, die Beschäftigung suchen. Internet und Social Media bieten Schleusern eine Plattform, um junge Menschen mit dem Versprechen anzuwerben, dass es anderswo Jobs und Wohlstand für sie gebe. Aber ohne die richtigen Fertigkeiten ist es auch in Europa oder den USA nur sehr schwer, Arbeit zu finden.
Auf countrymeters.info findet man eine Echtzeit-Statistik für die aktuelle Bevölkerung eines jeden Landes. Zur aktuellen Bevölkerung des afrikanischen Kontinents von über 1,5 Milliarden Menschen kommen täglich über 110.000 hinzu. (Zum Vergleich: Europas Bevölkerungsuhr zeigt aktuell 752 Millionen Menschen und täglich etwa 17.000 Geburten) Noch ein Vergleich zu Europa: Die aktuelle Bevölkerung Nigerias beträgt 233 Millionen und zusätzlich kommen täglich durchschnittlich 26.644 Lebendgeburten hinzu (1.068,48 pro Stunde).
Schon heute schaffen es einige Länder kaum, alle Einwohner satt zu bekommen. Afrika ist die letzte Region der Welt mit einem enorm starken Bevölkerungsanstieg (2,52 Prozent pro Jahr, Asien und Lateinamerika folgen mit rund 1 Prozent deutlich dahinter). Jede Frau hat im Schnitt 4,8 Kinder. Im Kongo liegt die Fruchtbarkeitsrate immer noch bei 5,9 Geburten je Frau, in Nigeria bei 5,6. Zugleich sterben deutlich weniger Kleinkinder dank medizinischer Fortschritte. Besonders hohe Werte haben auch Sahel-Länder wie Niger, Mali und Tschad. Wer arm ist, will mehr Kinder, weil er sie als Reichtum für die Familie betrachtet.
Die Leute haben viele Kinder und sehen sie als Vorsorge für das Alter. Aber ungebremste Geburtenzahlen führen in Afrika zu noch mehr Verelendung. Denn die wachsende Bevölkerung braucht nicht nur Nahrung und Wasser für das nackte Überleben, sondern auch die Chance auf Arbeit und Einkommen. Auch das Bildungs- und Gesundheitssystem kann mit dem rasanten Wachstum der Bevölkerung nicht fertig werden. Der Zusammenhang zwischen der Bildung von Frauen und dem für Afrika so wichtigen Rückgang der hohen Geburtenraten ist hinreichend belegt.
Auch die Grüne Uschi Eid (1998 – 2005 parlamentarische Staatssekretärin im Bundesentwicklungsministerium und Afrikabeauftragte von Bundeskanzler Schröder) sagte im September 2018 auf der Sommeruniversität der Berliner Akademie für weiterbildende Studien mit der FU Berlin, dass das massive Bevölkerungswachstum in Afrika in Deutschland und der EU verdrängt werde. Doch jeder Cent an Hilfsgeldern werde durch das ungeheure Bevölkerungswachstum neutralisiert.
In Bangladesch bekommen die Frauen im Durchschnitt nur noch 2,14 Kinder, vor dreißig Jahren waren es noch knapp fünf. Auch in Indien wächst die Bevölkerung nur noch um 1,2 Prozent (2,5 Geburten je Frau), in den 70er Jahren waren es fast zweieinhalb Prozent. Sinkende Geburtenraten ebnen den Weg zu einer stabilen Gesellschaftsordnung. Südkorea hatte nach dem Zweiten Weltkrieg ähnlich hohe Fertilitätsraten wie die meisten afrikanischen Staaten. Eine gezielte Familienplanung, Investitionen in Bildung für Männer wie Frauen und eine bessere Gesundheitsversorgung brachten dem Land Wohlstand. Die Bevölkerungszahl ist rasch zurückgegangen und das schnelle Wirtschaftswachstum sorgte dafür, dass Südkorea heute ein reiches OECD-Land ist.
Nur wenige afrikanische Regierungen haben bisher effektive Maßnahmen ergriffen, um die Geburtenrate, zum Beispiel durch Dezentralisierung, einzudämmen. Ruanda hat die Ausgaben für Verhütungsmittel um 60 Prozent gesteigert und zählt ebenso wie Botswana zu den Erfolgsbeispielen bei der Familienplanung. Auch Äthiopien könnte zum Vorbild für andere afrikanische Staaten werden. Mit Investitionen in die Kernbereiche Wirtschaft, Gesundheit inklusive Familienplanung und Bildung sind die Geburtenziffern deutlicher gesunken als sonst irgendwo in Afrika. Bessere Perspektiven für die Menschen bedeuten laut dem Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung automatisch kleinere Familien. Das haben die asiatischen Tigerstaaten vorgemacht.
Nur wenn die afrikanischen Gesellschaften Eigenverantwortung übernehmen, können sie verhindern, dass Wohlstandsgewinne einer wachsenden Wirtschaft vom Bevölkerungsanstieg aufgefressen werden. Ein tatsächlicher Fortschritt ist heute wegen der hohen Geburtenrate nur in geringem Maße möglich, weil vom Wirtschaftswachstum pro Kopf der Bevölkerung wenig oder gar nichts übrig bleibt.
All das ist im Bundesentwicklungsministerium bekannt. Aber klassische Familienplanung, also die Bereitstellung von Verhütungsmitteln zum Beispiel, spielt in aktuellen Entwicklungskonzepten weiterhin nur eine untergeordnete Rolle. Dass dies die richtige Strategie sei, bezweifelt zum Beispiel die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW). Vor allem in Afrika werden Frauen oft ungewollt schwanger. Dadurch steigen Armut und Not. Freiwillige Familienplanung könnte die Entwicklungschancen armer Länder deutlich verbessern. Wenn Frauen den Abstand zwischen den Geburten kontrollieren können, werden sie besser am Erwerbsleben teilnehmen und ihr Einkommen steigern. Das hat sich in dem mehrheitlich muslimischen Bangladesch gezeigt.
Der französische Präsident Emmanuel Macron setzt sich immer wieder heftiger Kritik aus kirchlichen Kreisen aus, wenn er sagt, dass die Frauen in Afrika zu viele Kinder bekämen und dass dies ein zivilisatorisches Problem des Kontinents sei. Er erklärte Ende September 2018 bei einer Veranstaltung in New York, dass gebildete Frauen sich nicht dafür entscheiden, große Familien zu haben. „Ich sage immer: Zeigt mir die perfekt ausgebildete Frau, die sich dafür entscheidet, sieben, acht oder neun Kinder zu bekommen. Bitte stellt mir das Mädchen vor, das sich entscheidet, mit 10 die Schule zu verlassen, um mit 12 zu heiraten.“
Das Bevölkerungswachstum ist mit Sicherheit eine der wichtigsten Ursachen für Migration. Immer noch setzt die deutsche Hilfe andere Schwerpunkte als Familienplanung. Es gibt nur ganz wenige Chancen (die wir aber nicht konsequent nutzen), positiver europäischer Einflussnahmen, wie die Finanzierung von Schulen, an denen Geburtenkontrolle ausdrücklich gelehrt wird. Wer informiert und gebildet ist, verhütet eher.
Eine kostenlose Abgabe von Pille oder Spirale wäre hilfreich, aber auch die Bindung von Hilfsprogrammen an Maßnahmen erfolgversprechender Geburtenkontrolle. Nur noch Meinungsführer in Afrika, die die „ideologische Temperatur dieser Debatte senken“ (Jay Winter von der Universität Yale) und die an einer anderen Zukunft ihres Kontinents ein Interesse haben, sollten wir unterstützen.
Der französische Ökonom und Afrika-Experte Serge Michailof sagt: „Es ist schwer zu glauben, dass dieses wahnsinnige Bevölkerungswachstum in einer Weltregion, die ohnehin unter derart vielen Handicaps und Drohszenarien zu leiden hat, nicht in diversen Tragödien münden wird.“
Entwicklungshilfe muss Familienplanung – Beratung und Unterstützung der Frauen, ihrer Rechte in der Familie, ihrem Zugang zu Verhütungsmitteln – mit einschließen und darf nicht wie so oft als Bevormundung oder gar als Rassismus abgetan werden. Ansonsten wird der Wanderungsdruck ins nahe Europa weiter steigen.
Immer wieder gibt es Ausreden, warum korrupte Regime in Afrika unterstützt werden müssen. So werden immer mehr Afrikaner nach Deutschland kommen wollen. Der kamerunische Herrscher Paul Biya (seit 1982 an der Macht) hat in meinem Beisein öfter gesagt, dass er offene Grenzen in Europa möchte. Er will, dass die unruhige Jugend weggeht und sein autoritäres Regime nicht in Frage stellt.
Volker Seitz, Botschafter a.D. und Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“