Das Trump-Beben

vor etwa 2 Monaten

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Bildquelle: Apollo News

Donald Trump stellt die Weltpolitik auf den Kopf. Er zerstört gerade die amerikanisch-geführte Weltordnung, heißt es von seinen Kritikern. Schockiert reagieren Politiker in Europa: In Deutschland nimmt man all das jetzt zum Anlass, plötzlich im großen Stil mit der Schuldenbremse zu brechen und mehr als eine halbe Billion Euro an Schulden aufzunehmen (auch wenn die für Straßen und Brücken, nicht für Verteidigung benötigt werden).

Auf einmal erscheint es als alles andere als selbstverständlich, dass die USA im Kriegsfall die europäischen NATO-Staaten verteidigen. Daher spricht jetzt ganz Europa nur noch über eins: Aufrüstung – und für die Ukraine-Hilfe einzuspringen, die jetzt aus Washington wegzubrechen droht. Und überhaupt: In Brüssel geht die Angst um, Trump wolle im Rahmen von eigenmächtigen Friedensverhandlungen Putin die Ukraine auf dem Silbertablett liefern. Jedenfalls trat er zuletzt immer freundlicher gegenüber dem russischen Präsidenten und immer kritischer gegenüber dem ukrainischen auf.

Steckt dahinter eine Strategie? Wenn man den hysterischsten Stimmen glauben will, dann würden sich am liebsten Trump, Putin und Xi zu einer Art „Bund der Autokraten“ zusammenschließen – auch wenn die USA unter Trump natürlich alles andere als eine Autokratie sind, wie seine Gegner gerne unter Schnappatmung behaupten. Die Realität sieht aber anders aus: Auch wenn es unmöglich sein mag, hinter Trumps mitunter impulsiven Aktionen eine feinjustierte Strategie zu erkennen, ist trotzdem eine klare Grundrichtung zu sehen – auch nicht erst seit ein paar Wochen, sondern seit Jahren.

Nämlich eine Neuorientierung von Amerikas Blick auf die Welt. Ja – weg von Europa. Dass bald Schluss ist mit Amerikas Rolle als sicherheitspolitischer Babysitter Europas, der den Mammut-Anteil der NATO-Verteidigung stemmt, während sich die Europäer sorglos mit den eingesparten Verteidigungsausgaben lieber einen üppigen Sozialstaat leisten, sollte eigentlich keine neue Erkenntnis sein.

Seit Jahren pochen die Amerikaner darauf, dass ihre europäischen Verbündeten nicht nur mehr fürs Militär ausgeben, sondern vor allem genug, um die eigene Verteidigung selbst zu übernehmen. Unter Obama vorsichtig und im Vertraulichen, während Trumps erster Amtszeit dann sehr laut und öffentlich – man änderte trotzdem nichts. Trump sah man nur als nervigen Rüpel, eine Bedrohung durch Russland als nicht real. Die Warnungen des US-Präsidenten zur Abhängigkeit von russischem Gas verspottete man.

Das jahrelange Nichtstun, die ausgebliebene „Zeitenwende“ – all das rächt sich jetzt. Trump liefert keine nervigen Tweets mehr, er macht in seiner zweiten Amtszeit jetzt schlagartig ernst und wirft die Europäer ins kalte Wasser. Ganz nach dem Motto: Wenn sie merken, dass sie alleine dastehen, werden sie auch endlich reagieren und aufrüsten.

Das hat bei weitem nicht nur Fairness-Gründe. Es geht nicht nur darum, dass die USA 66 Prozent der Verteidigungsausgaben im NATO-Bündnis tragen, obwohl sie nur 34 Prozent der Bürger der NATO-Staaten beherbergen. Es geht darum, dass Amerika schlicht nicht mehr die Ressourcen hat, um Europa einfach „mitzuverteidigen“. Sie werden anderswo gebraucht.

Denn die Welt hat sich verändert. Die Zeiten, in denen die Amerikaner im Vergleich zu anderen schier unbegrenzte militärische Fähigkeiten hatten und Weltpolizei spielen konnten, haben sich geändert. Mit China hat es Washington jetzt mit einem geopolitischen Rivalen zu tun, der auf Augenhöhe unterwegs ist. – der seinen Militärapparat nicht darin binden muss, die halbe Welt zu verteidigen.

Als sowjetische Panzer in Berlin, im Herzen Europas, standen und Moskau den halben Kontinent kontrollierte, da war die Lage noch anders: Die UdSSR war der Hauptrivale Amerikas und Europa der Schauplatz Nr. 1 des Kalten Krieges. Auch Asien spielte eine Rolle, aber eine andere: Was heute glitzernde Wolkenkratzer-Metropolen sind, waren damals Fischerdörfer, die von Planwirtschaft kleingehalten wurden.

Jetzt aber sieht es ganz anders aus: Russland ist inzwischen (in Bevölkerungszahlen) halb so groß wie die Sowjetunion, der einstige Ostblock Geschichte. Wenn sie es wollten, hätten die europäischen NATO-Länder kein Problem, sich selbst vor Moskau zu schützen. Und überhaupt: Europa ist schlicht nicht mehr so wichtig, wie es einst war.

Noch vor 15-20 Jahren war die Wirtschaftsleistung der USA und der EU fast gleichauf, mal etwas höher, mal etwas niedriger. Heute hinken die Europäer mit 18,5 Billionen weit hinter der US-Wirtschaft mit 27 Billionen BIP in US-Dollar her.

In Asien hingegen spielt die Musik, mit China in allererster Reihe. Das Reich der Mitte hat selbst schon eine enorme politische und wirtschaftliche Macht entwickelt. Wirklich gefährlich für die US-Stellung in der Welt wäre aber, wenn es Peking nun auch gelingen würde, andere asiatische Mitbewerber wie Vietnam, Südkorea, Japan, etc. seiner Einflusssphäre einzuverleiben und zu Vasallen zu machen.

Genau deshalb sehen schon lange US-Strategen Asien als den Schauplatz Nummer eins. Schon unter Obama verkündete man einen „Pivot to Asia“ („Neuausrichtung auf Asien“), hatte am Ende aber mit dem Trümmerhaufen der eigenen Nahost-Politik zu kämpfen. Es sollte dann Trump – einer der wohl China-kritischsten Präsidenten – sein, unter dem der Asien-Fokus so langsam Fahrt aufnahm, etwa mit dem Wiederbeleben des Quad-Zusammenschlusses aus USA, Indien, Japan und Australien.

Sein Nachfolger Joe Biden steckte dann all sein politisches Kapital in den Kampf gegen die russische Invasion der Ukraine, zuvor lieferte er ein desaströses Bild Amerikas beim Afghanistan-Abzug. Der Krieg läuft immer noch, mit immensen Mengen amerikanischer Rüstungsgüter, die in die Ukraine strömten – und so schnell oft gar nicht nachproduziert werden.

Wieder und wieder wurde Washington zurück in die alte Welt oder den Nahen Osten gezogen, statt den „Pivot to Asia“ über den man sich eigentlich schon lange einig war, zu verwirklichen. In Trumps zweiter Amtszeit zieht der Präsident jetzt ruckartig durch, was sich zuvor lange angedeutet hat: Amerikas Kompass hört auf, gen Europa zu zeigen. Das ist es, was viele Politiker in den europäischen Hauptstädten jetzt spüren. Es sind ohne Frage tektonische Veränderungen in der US-Geopolitik. Aber sie brodelten schon lange unter der Oberfläche und sind jetzt nur mit einem Schlag nach oben ausgebrochen.

Amerika gibt damit nicht seine Weltmachtstellung auf, wie manche Europäer jetzt mit Schnappatmung erklären – es geht Washington im Gegenteil darum, sie zu retten, indem man sich neu aufstellt, ohne den Klotz Europa am Bein. Dass die USA ihren außenpolitischen Fokus auf den Pazifik legen und sich aus Europa zunehmend heraushalten, ist dabei kein historisches Novum. Schon im 19. und 20. Jahrhundert gab es entsprechende Trends.

Damals war der US-Rivale Nummer eins das japanische Kaiserreich, das mit seinem Kolonialimperium halb Asien unter seine Kontrolle brachte. Wegen der Bedrohung durch Tokio begann man mit der Flottenaufrüstung gegen Japan bereits lange vor Pearl Harbor. Und lag so am Ende damit richtig, dass vom 100 Millionen starken „Reich der aufgehenden Sonne“ die größte Bedrohung für die US-Stellung in der Welt ausging.

Heute heißt dieser Rivale China. Trump selbst mag keine „Grand Strategy“ im Oval Office skizzieren, aber sein Grundimpuls ist klar: Raus aus Europa, China im Visier. Sein Team arbeitet jedenfalls danach. Einer der prominentesten konservativen Militärstrategen, Elbridge Colby, soll in Trumps Pentagon die Nummer zwei (oder drei, je nachdem, wie mächtig man die Rolle sieht) werden, nominiert für „Under Secretary of Defense for Policy“, der Top-Strategie-Job in der US-Regierung abseits des Nationalen Sicherheitsberaters.

Colby fordert seit langem eine „Strategy of Denial“, die China von einer Hegemonie über Asien abhält und einen Abzug der US-Ressourcen aus Europa vorsieht (Apollo News berichtete). Er sagt: „China ist der größte Rivale, dem wir je gegenüberstanden. Viel größer als die Nazis oder das kaiserliche Deutschland oder die Sowjetunion im Vergleich zu den Vereinigten Staaten.“

„Wenn also ein Krieg in Asien ausbricht, müssen sich die USA darauf konzentrieren“, meint Colby. Und vor allem: „Wenn ein Krieg zuerst auf dem europäischen Kontinent ausbricht, gilt das erst recht: Bei einem Krieg um Europa, auch um die NATO, müssten die USA ihre Ressourcen zurückhalten.“ Trumps aktueller Kurs geht genau in so eine Richtung – und sogar noch einen Schritt weiter.

In dem Lager, das einen Fokus auf China als Hauptfeind der USA verlangt, gab es nämlich lange zwei Sichtweisen auf Russland, das als Chinas Junior-Partner gilt: Einerseits jene, die das Land ebenso sanktionieren will wie das Reich der Mitte, und andererseits die Sicht, dass man es aus dem Bündnis mit Peking herausbrechen und China damit einen wichtigen Verbündeten nehmen könnte – also einen „Reverse Nixon“ („umgekehrten Nixon“) zu machen, in Anspielung auf Richard Nixons und Henry Kissingers Annäherung an Maos China, das sich folglich während des Kalten Krieges zum US-Partner und Moskaus Widersacher im sozialistischen Lager entwickelte, bevor die Beziehungen zu Ende des 20. Jahrhunderts abkühlten.

Es sieht ganz danach aus, als verfolgten einige in Trumps Orbit nun letztere Strategie. Sie erfordert auch bei weitem nicht, dass die USA „Best Buddies“ mit Putins Russland werden und sich mit ihm verbünden, wie es manch einer in Europa fiebertraumartig befürchtet. Vielmehr würde es wohl auf eine Normalisierung der Beziehungen, vielleicht verhalten freundschaftlich, hinauslaufen – in der Hoffnung, so Putin nicht klar in Pekings Lager zu haben und Russland nicht etwa durch US-Sanktionen noch mehr von China abhängig zu machen.

Ein ambivalentes Verhältnis Russlands zu China, vielleicht mit kritischem Blick auf Pekings Ambitionen in Asien, bei freundlichen und normalen Beziehungen zu den USA, das würde nach dieser Strategie ausreichen. Ob sie aber aufgeht und Putin wirklich so einfach seine enge Beziehung zu China aufgibt, das steht auf einem anderen Stern.

Aber in so ein Schema passen die aktuellen Bemühungen der Trump-Regierung, Putin vor der Weltöffentlichkeit und etwa der UN sein Gesicht wahren zu lassen, während man eine schnelle Lösung des Ukraine-Krieges sucht. Der ist schließlich, wie auch US-Außenminister Marco Rubio kürzlich festhielt, ein kaum verhohlener Stellvertreterkrieg zwischen beiden Ländern – zwar klar losgetreten von Russland, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass dort russische Truppen auf westlich, und das heißt meist amerikanisch, ausgebildete und ausgerüstete Ukrainer treffen.

So wie die Verteidigung eines sich lange militärisch zurückhaltenden Europas ein Klotz am Bein der USA ist, wenn es darum geht, die militärischen Ressourcen in den Indo-Pazifik zu verlagern, so ist der Ukraine-Krieg das Hindernis schlechthin für eine Normalisierung der Beziehungen zwischen den USA und Russland – genau diese Denkweise dürfte viele der aktuellen Entscheidungen Washingtons beeinflussen.

Die Reaktionen seiner Rivalen lassen jedenfalls darauf deuten: Während aus dem Kreml Lob für Trump kommt, reagiert Peking mit Säbelrasseln – zum Zollstreit erklärte Chinas Außenministerium etwa kürzlich: „Wenn die USA einen Krieg wollen, sei es ein Zollkrieg, ein Handelskrieg oder irgendeine andere Art von Krieg, sind wir bereit, bis zum Ende zu kämpfen.“

All das heißt nicht, dass man sich in Washington jetzt einen Sieg Russlands im Ukraine-Krieg wünscht. Aber es heißt eben Druck auszuüben, auch auf die ukrainischen Verbündeten, lieber früher als später bei Friedensverhandlungen mitzumachen – und womöglich schmerzliche Konzessionen dabei zu akzeptieren.

Ob Russland aber bei Friedensverhandlungen mitspielt oder auf unrealistische Maximalforderungen besteht, das wird dann zur großen Frage. Auch deshalb wäre ein „Reverse Nixon“-Plan deutlich riskanter als „nur“ die Colby-Strategie der Kräfteverschiebung nach Asien. Klar war aber immer auch: Wenn Trump derjenige ist, der den „Pivot to Asia“ wirklich durchzieht, mit all seinen Konsequenzen, dann wird es ein historischer Wendepunkt.

Europa wird es dann mit einem Amerika zu tun haben, das sich mehr als pazifische statt als eine erweitert-europäische Macht sieht. Und auch bei freundlichen Beziehungen zum alten Kontinent und selbst bei einem kritischen Blick auf Russland hätten die USA nicht die Munition, die Truppen oder die Ausrüstung, um parallel Hauptgegner China in Asien und für die Europäer Russland in Schach zu halten.

Für Europa ist klar: So oder so muss man jetzt endlich seine eigene Sicherheit in die Hand nehmen. Die Beziehungen zu den USA, das dennoch auch wenn nicht in gleichem Rahmen wie zuvor eine Hilfe sein kann, muss man daher aber nicht in blinden Trump-Hass opfern. Denn eine europäische Aufrüstung ist ja gerade das, was auch Trump will. Immer wieder haben die Amerikaner klargemacht: Sie respektieren und helfen den Ländern, die ihre eigene Verteidigung ernst nehmen. Das sollte auch den Politikern hierzulande zu denken geben.

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