
Wer sich fragt, wie und warum die AfD ohne eigene Politik-Projekte und Initiativen stabil bei rund 25 Prozent in den Umfragen steht, der muss sich einfach nur den Umgang der etablierten Parteien mit der unliebsamen Konkurrenz ansehen.
Es beginnt beim Sitzungssaal für die Fraktion. Während sich die AfD bei der zurückliegenden Bundestagswahl regelrecht verdoppelt hat (von 10,4 Prozent auf 20,8 Prozent) und die SPD von 25,7 Prozent auf 16,4 Prozent zurückfiel, soll die AfD nun den freigewordenen Saal der FDP (251 Quadratmeter) beziehen und die SPD ihren „Otto-Wels-Saal“ (462 Quadratmeter) behalten. Für die Sozialdemokraten ist nicht nur das Abschneiden bei der Wahl schmerzhaft, sondern auch der Abschied vom Namensgeber Otto Wels, der als mutiger SPD-Abgeordneter 1933 die letzte Rede im Reichstag hielt („Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“). Den Namen hat die SPD allerdings selbst vergeben. Eine offizielle Bezeichnung für den Saal ist es nicht.
Der SPD-Vorsitzende und Reichstagsabgeordnete Otto Wels 1930 bei einer Kundgebung in Berlin.
Die SPD Fraktion hat vor in dem von ihr genutzten Saal ein Foto von Otto Wels aufgehängt.
Blick in den Fraktionssaal der SPD.
AfD-Fraktionsgeschäftsführer Bernd Baumann rechnet vor, dass jedem der 152 AfD-Abgeordneten bei dieser Raumbelegung 1,7 Quadratmeter zukommen, den 120 Sozialdemokraten jeweils 3,9 Quadratmeter. Begründet wird der zusätzliche Raumbedarf der SPD damit, dass sie Regierungsfraktion sei und Beamte der jeweiligen Ministerien an den Fraktionssitzungen teilnehmen müssten. Sieht man sich die Raumbelegung näher an, dann ist es für die AfD in der Tat sehr eng, sodass Abgeordnete auch neben dem Tagungspräsidium sitzen müssen, während die SPD großzügigen Freiraum hat. Die Entscheidung fällt am Donnerstag im Ältestenrat. Niemand rechnet damit, dass es noch zu einer Änderung kommt.
Die AfD muss im Moment den ehemaligen Sitzungssaal der FDP nutzen. Auf dem Plan ist deutlich erkennbar, dass der Saal für die Größe der Fraktion zu klein ist.
Zöge die SPD Fraktion in den ehemaligen Saal der FDP, hätte sie auch in dem kleineren Raum ausreichend Platz.
Für die deutlich geschrumpfte SPD Fraktion ist der Otto-Wels-Saal viel zu groß.
Ähnlich unwürdig verhält es sich mit der Vergabe der Posten für die Ausschussvorsitzenden. Weil die AfD als zweitstärkste Kraft aus der Bundestagswahl hervorgegangen ist, stehen ihr sechs der 24 Ausschussposten zu, die nach einem speziellen Zählverfahren (Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren) von den Fraktionen „gezogen“ werden. Die AfD hat bei so wichtigen Ressorts wie Innen, Haushalt, Finanzen oder Arbeit und Soziales zugegriffen, soll aber nach einer Übereinkunft der anderen Parteien nirgends den Vorsitz erhalten. Er werde seinen Abgeordneten nicht empfehlen, die AfD-Leute zu wählen, hat Kanzler Friedrich Merz kurz vor seiner Wahl zum Kanzler in der SPD-Fraktion erklärt. Es wird damit gerechnet, dass die AfD-Kandidaten allesamt durchfallen, ganz gleich, ob sie als Zwischenrufer und Pöbler oder fleißige Sacharbeiter gelten. Die Alternative, Vorsitzende abzuwählen, wenn sie sich daneben benehmen, wird nicht erst in Betracht gezogen.
Die AfD Fraktion wird voraussichtlich keinen Ausschutzvorsitzenden stellen.
Fällt der designierte AfD-Abgeordnete durch, so übernimmt der stellvertretende Ausschussvorsitzende die Leitung des Gremiums. Die Vize-Chefs werden allerdings ebenfalls nach dem besagten Verfahren „gezogen“. Das soll am heutigen Mittwoch geschehen. Fraktionen, die den Vorsitz gezogen haben, können sich allerdings nicht auch noch um den Vize-Posten bewerben. Mit anderen Worten: Die AfD könnte also erst dann versuchen, ersatzweise einen Stellvertreterposten zu bekommen, wenn sie weiß, ob sie bei der Vorsitzwahl durchgefallen ist. Kommen weder Vorsitz noch Vize zum Zug, übernimmt das jeweils dienstälteste Ausschussmitglied den Chefposten.
Damit tun sich allerdings in der Geschäftsordnung neue Probleme auf, denn die Ersatz-Chefs bekommen keine „Funktionszulage“ (25 Prozent einer Abgeordnetendiät, also rund 2.500 Euro) als Bonus obendrauf und können eigentlich auch nicht als Vorgesetzte auf die jeweiligen Ausschuss-Sekretariate zugreifen. Deshalb machen erste Überlegungen die Runde, die Geschäftsordnung zu ändern und den Wünschen der AfD-Konkurrenz anzupassen. Ein peinliches Ränkespiel um Posten und Räume, das außerhalb des Regierungsviertels kein Mensch mehr versteht.
Etwas anderes funktioniert bei der Postenvergabe in den Ausschüssen allerdings geräuschlos ganz von selbst: Im prestigeträchtigen Auswärtigen Ausschuss (Vorsitz: Ex-Kanzlerkandidat Armin Laschet) drängelt sich die Prominenz der Parteien. Die Ex-Minister Hubertus Heil, Nancy Faeser (beide SPD) und Robert Habeck (Grüne) entdecken hier plötzlich ihre Vorliebe für die Außenpolitik genauso wie Ex-Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) und der frühere Grünen-Chef Omid Nouripour oder Linken-Chef Jan van Aken. Das Image als „Reiseausschuss“ sei falsch, sagt einer aus dem Ausschuss, obwohl das Thema natürlich viele Reisen mit sich bringe.
Von der Regierungsbank in den Auswärtigen Ausschuss: Robert Habeck, Claudia Roth und Omid Nouripour.
Die Wahrheit ist: Der Auswärtige Ausschuss ist traditionell eine Art „Abklingbecken“ für politische Promis, für die es im Wahlkreis nicht mehr drauf ankommt, ihren Einsatz für die Bürger nachzuweisen. Mit „wichtigen Gesprächen“ in Buenos Aires oder Peking kann man bei vielen Wählern nicht besonders gut punkten. Wer den Zenit seiner politischen Karriere allerdings hinter sich hat, für den kommt es ja auch nicht mehr drauf an ...
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