
Wenn man ein Auto sieht und damit fährt, hat man erstmal einen Gedanken: Mensch, die Karre macht Spaß. Oder so ähnlich. Wenn der Arbeiter am Fließband dasselbe Auto fertigt, denkt er womöglich: Mensch, gut gelungen. Wenn das Unternehmen, das dieses Auto verkauft, die Umsatzzahlen sieht, denkt der Finanzchef: Mensch, der läuft ja prächtig.
Das alles hat es bei VW gegeben. Volkswagen war ein Stück Deutschland, das alle glücklich gemacht hat. Über Jahre, über Jahrzehnte. Auch wer den Käfer – das Paradestück von Volkswagen – nie selbst erlebt hat, weil er zu jung ist und der VW zu alt: Auf jedem Straßenfoto der Bundesrepublik Deutschland ist er zu sehen. Nicht einer, viele. Manch einer kann es heute noch sagen: Zeig mir eine Straßenszene und ich erkläre dir, von wann die ist. Das Geheimnis sind die Heckfenster beim Käfer. Sie waren zuerst winzig und zweigeteilt, sie wurden im Laufe des Wirtschaftswunders immer größer. Sie wechselten manchmal bei jedem neuen Modell. Kenner können sie unterscheiden und aufsagen, wie andere die deutsche Fußballmannschaft beim Wunder von Bern 1954.
Es ist der Volkswagen schlechthin: der Käfer
Wenn ein Auto läuft und läuft und läuft, wie der Käfer in der VW-Werbung braucht man nicht einzugreifen. Er läuft einfach weiter, und alle sind glücklich. Aber wehe, wenn man nicht merkt, dass ein Auto anfängt zu stottern. Und genau so ist es bei VW gewesen. Viele Menschen fragen sich heute: Wie konnte es nur so weit kommen?
Die Unternehmer-Legende Kurt Lauk – er saß in den Vorständen von Audi, Daimler und des Energiekonzerns Veba (heute EON) und war 15 Jahre Chef des CDU-Wirtschaftsrats – hat sich gerade in einem Gastkommentar bei NIUS mit genau diesen Fragen beschäftigt. Er analysiert: „Volkswagen zahlt jetzt einen hohen Preis für Jahrzehnte der strukturell verfehlten Unternehmensaufsicht. Das Management wurde bei seinen Reformbemühungen permanent blockiert vom Aufsichtsrat, der im Grunde Gewerkschaftspolitik betrieben hat. Punkt zwei ist der Haustarif von Volkswagen, der eine Folge dieser verfehlten Aufsichtsratsstrategie ist. Der Haustarif lag immer deutlich über den Tarifverträgen der IG Metall, sodass sich Volkswagen in eine Wohlstandsillusion begeben hat, die allenfalls in guten Zeiten aufrechtzuerhalten war. Das holt jetzt die Gewerkschaften wie auch die Belegschaft ein.“
Soweit die kluge Analyse von Kurt Lauk. Die Zeche für diese Fehlentwicklungen werden jetzt die Beschäftigten zahlen müssen. Nicht die Konzernspitze, nicht der Aufsichtsrat und schon gar nicht die Politik in Niedersachsen und Brüssel. Übrigens: VW hat seit Jahrzehnten in Deutschland kein Geld mehr verdient. Geld wurde verdient bei Skoda, bei Porsche, bei Audi.
Kurt Lauk war von 2000 bis 2015 Vorsitzender des Wirtschaftsrates der CDU und in dieser Funktion Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Über allem steht ein fundamentaler Fehler: Deutschland hat den Verbrenner-Motor aus grün-ideologischen Gründen aufgegeben, eine überaus erfolgreiche Technologie, die „Made in Germany“ groß und stark gemacht hat. „Etwas Besseres, als unser Verbrenner-Verbot kann China gar nicht passieren“, schreibt Kurt Lauk. „Wenn ich keinen Wettbewerb zulasse zwischen verschiedenen Technologien, bringe ich einen ganzen Entwicklungsstrang mutwillig um.“
Das Volkswagen-Drama ist noch nicht zu Ende, leider. Und die Schuldzuweisungen, die diesem Drama folgen, sind erst am Anfang, auch leider. Mein gesunder Menschenverstand fragt sich: Hat denn niemand gemerkt, dass dieses einst grundsolide Unternehmen längst Risse hatte? Es ist wie bei einer Brücke: Wenn die zu viele Risse hat, droht sie einzustürzen. Lassen Sie uns gemeinsam hoffen, dass die große Brücke Volkswagen zu reparieren ist.
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