
Diese Regierung braucht keine Opposition. Deren Geschäft erledigen SPD, Grüne und FDP gleich mit. Kein Tag, fast keine Stunde vergeht, ohne dass die Ampel-Parteien öffentlich dokumentieren, wie wenig sie sich schätzen. Der Dauerstreit geht über das gewohnte Maß an Meinungsverschiedenheiten in Koalitionsbündnissen weit hinaus.
Im Herbst des Jahres 2024 geschieht in Deutschland Einzigartiges: Fast sämtliche Energie, die das Kabinett noch hat, wird zur Bewirtschaftung der vielen wechselseitigen Abneigungen verwendet. Für das Regieren bleibt kaum noch Kraft – und der Bürger wendet sich ab. Er schämt sich.
Düstere Mienen: Christian Lindner, Robert Habeck und Olaf Scholz auf der Regierungsbank.
Die Situation ähnelt einer unangenehmen Begegnung im Restaurant. Ein Gast, hungrig und durstig zugleich, betritt das Lokal und wird Zeuge einer lautstarken Auseinandersetzung. Der Koch schimpft mit dem Kellner, der keilt zurück, der Wirt mischt sich ein und will beide übertönen. Die drei zankenden Gestalten sind derart mit ihrem Hass beschäftigt, dass sie kein Auge und kein Ohr haben für den Gast. Der wiederum will das schlimme Schauspiel gar nicht sehen. Er wird hineingezogen in einen fremden Zwist, der ihn bedrängt, bedrückt und maximal verdrießlich stimmt. Er nimmt Reißaus, mit knurrendem Magen.
Dem steuerzahlenden Bürger fällt solche Flucht aus Selbstschutz schwer. Auswandern kann nicht jeder. Der Bürger muss konstatieren: Die Bundesregierung hat wenig Interesse am guten Regieren. Die drei Parteien wollen sich nur noch auf Kosten ihrer Koalitionspartner profilieren. Sie sehen ihre letzte Bestimmung darin, vor den Konzepten der jeweils anderen zu warnen.
Am kommenden Dienstag wird die Kakophonie auf die Spitze getrieben. Erst lädt Bundesfinanzminister Christian Lindner zu einem Wirtschaftsgipfel, einer Konkurrenzveranstaltung zum „Pakt für Industriearbeitsplätze“, den Olaf Scholz am Nachmittag im Kanzleramt schließen will. Beide Gesprächsrunden waren innerhalb der Koalition nicht abgestimmt. Der Kanzler düpierte FDP und Grüne, als er sein Spitzentreffen in einer Regierungserklärung ankündigte. Lindner wiederum zog nach, ohne SPD und Grüne ins Benehmen zu setzen. Die konkurrierenden Treffen zeigen: In dieser Regierung macht jeder nur noch seins.
Christian Lindner düpiert den Kanzler mit einem eigenen Wirtschaftsgipfel nur wenige Stunden vor dem Industriegipfel von Olaf Scholz.
Unabgestimmt war auch die „Modernisierungsagenda“ des Klimaschutz- und Wirtschaftsministers Habeck mit ihrem schuldenfinanzierten „Deutschlandfonds“. Habeck sagte bei der Vorstellung offenherzig, es handele sich um „Überlegungen von mir“. Doch „dieses Impulspapier, das ich geschrieben habe“, wird rasch wieder in den Schubladen verschwinden. Habeck verfasste es, um sich als Macher grüner Industriepolitik dazustellen, dessen zahlreiche Ideen nur am beinharten Einsatz Lindners für die Schuldenbremse scheiterten. Das Papier war ein Tritt ans Schienbein des FDP-Politikers, der sich ebenso ungalant revanchierte: Habecks teure Wunschliste sei „ein Hammer“ und unrealistisch, erwiderte Lindner prompt. Schon zuvor hatte Habeck Lindner einen verbalen Faustschlag versetzt: „Sollte ich jemals Bundeskanzler werden, wird Christian Lindner nicht Finanzminister werden.“
Weder über Habecks noch über Lindners Raufbereitschaft erfreut ist der Kanzler – doch Scholzens Machtlosigkeit ist notorisch. Immer wieder und stets ohne Folgen fordert er, soeben im fernen Indien: Nun müsse Schluss sein mit dem Durcheinander, gefragt seien „ein großes Miteinander“ und ein „gemeinsamer Konsens“. Scholz beschwört, was es nicht gibt, und lenkt so erst recht den Blick auf die Koalition der Verfeindeten.
Olaf Scholz bei einem Pressestatement im Rahmen der siebten deutsch-indischen Regierungskonsultationen.
Habeck ist es egal, wenn Scholz fordert: „Wir müssen wegkommen von den Theaterbühnen, dass irgendwas präsentiert und vorgeschlagen wird, was dann gar nicht von allen akzeptiert und angenommen wird.“ Die gesamte Ampel ist eine Theaterbühne, gespielt wird das Stück von Neid, Missgunst und Inkompetenz. Daran wird sich bis zum bitteren Ende nichts ändern. Jeder trägt den Dolch im Gewand.
Auch bei der Aufstellung zum „Familienfoto“ nach der Regierungsklausur auf Schloss Meseberg weiß nicht jeder, wo sein Platz ist.
Selbst der Kanzler will seiner Regierung keine Restlaufzeit bis zu den nächsten Bundestagswahlen garantieren. Gefragt, ob seine Koalition gemeinsam Weihnachten feiern werde, erwiderte Scholz knapp: „Weihnachten wird immer gefeiert.“ Damit ist er nicht weit entfernt vom FDP-Quälgeist Wolfgang Kubicki, der das Ende der Koalition so regelmäßig kommen sieht wie der Wetterhahn den Sonnenaufgang.
Womöglich ahnt Scholz, dass mit der Installierung des neuen Wahlkampfleiters der Grünen auch bei diesen der innere Abschied von der Ampel vollzogen wurde. Andreas Audretsch, stramm links verortet, wettert in einem Atemzug gegen die Oppositionspolitiker Friedrich Merz und Markus Söder und den regierenden Finanzminister. Lindner sei wie die Herren von der Union ein Blockierer. Der „riesige Investitionsbedarf in Deutschland“ lasse sich nicht auflösen, solange Lindner an der Schuldenbremse festhalte.
Wäre es nicht so traurig, man könnte darüber lachen. Drei Partner, die sich nichts zu sagen haben, öffnen nur noch den Mund, um sich das Maul zu zerreißen über abwesende Koalitionäre. Wer auf die „Ampel“ am Tiefpunkt ihres Ansehens schaut, der muss frei nach Franz Kafka sagen: Es ist, als sollte die Scham sie überleben.
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