
Rom, Kiew, Brüssel, Warschau… Gottfried Curio (AfD) erinnert den frisch gewählten Kanzler an die Reisefreude, die der in den ersten zwei Wochen seiner Amtszeit gezeigt hat. Dabei waren es die innenpolitischen Themen, mit denen Friedrich Merz für die CDU in den Wahlkampf gezogen war: solide Staatsfinanzen, weniger Fesseln für die Wirtschaft durch Abbau von Bürokratiebau oder die Einwanderungswende. Noch am ersten Tag seiner Kanzlerschaft, so Merz vollmundiges Versprechen im Wahlkampf, solle die illegale Einwanderung an den Grenzen gestoppt werden.
Direkt nach seiner holprigen Wahl hat Merz seine Reisetätigkeit begonnen und damit seinen Ruf als Bundesaußenkanzler begründet. Die einstigen Schwerpunktthemen im Inneren überließ er seinen Ministern. Die Einwanderung etwa dem Innenminister Alexander Dobrindt (CSU). Der hat Grenzkontrollen eingeführt. Die können aber nur vorübergehend sein, weil die Bundespolizei laut eigenen Angaben dafür alle Kräfte mobilisieren muss – etwa durch das Aussprechen von Urlaubssperren. Auch bezweifeln Experten den Effekt. Die Journalistin Karina Mößbauer sprach in der Lanz-Show von 32 zusätzlichen Zurückweisungen durch Dobrindts Maßnahmen.
Merz hat die Einwanderungswende versprochen. Nun reist er durch die Welt. Für die Opposition ist das die Einladung, zuhause das Versprechen des neuen Kanzlers im Bundestag auf den Prüfstand zu stellen. Genau das hat die AfD mit einem Antrag zur Einbürgerung gemacht. Die will die Alternative für Deutschland erschweren: Ausländer sollen nicht mehr automatisch ein Recht auf Einbürgerung erhalten, wenn sie lange genug hier sind. Die Einbürgerung soll frühestens nach zehn Jahren Aufenthalt möglich sein. Eine doppelte Staatsbürgerschaft soll künftig nicht mehr möglich sein.
Zum Knackpunkt macht die AfD die Frage, wie es mit den Syrern in Deutschland weitergeht, nachdem in ihrer Heimat die Assad-Diktatur gestürzt wurde. Für AfD-Redner Gottfried Curio ist damit der Grund für ihren Aufenthalt hierzulande weggefallen. Im Koalitionsvertrag stehe kein Wort, wie Schwarz-Rot mit diesen Syrern umgehen wolle. Die SPD habe Merz und die CDU in den Koalitionsverhandlungen in einer Sekunde zu Boden gerungen. Immerhin sind laut Statistischem Bundesamt rund eine Million Syrer in Deutschland.
Rund 200.000 Menschen hat Deutschland 2023 laut Statistischem Bundesamt eingebürgert. 75.500 davon waren Syrer. Zwei Jahre zuvor waren es nur 6700 eingebürgerte Syrer. Es lässt sich also durchaus begründen, dass die AfD in ihrer Argumentation die Syrer in den Mittelpunkt stellt. Zumal Deutschland wie andere westlichen Nationen gerade die Sanktionen gegen deren Heimatland aufhebt, weil es dort wieder regulär zugehe.
Dass ein AfD-Antrag im Bundestag keine Mehrheit erhält, ist nicht die Geschichte. Spannender ist der Umgang der Union mit diesem Thema. Die Aussprache zeigte: CDU und CSU sind in dieser Frage uneins. In der ersten Runde spricht Detlef Seif (CDU). Er vertritt die Merz-Position. Schon im Vorfeld war er dadurch aufgefallen, sich auf die Seite des starken Mannes zu stellen und etwa dessen Bekenntnis zur “Brandmauer” gegen die AfD zu loben.
Nun war es schon immer eine gute Karrierestrategie, den Chef bedingungslos toll zu finden. Für nicht wenige fachlich Überforderte ist das die einzige Qualität, die sie in ihren Jobs hält. Seif darf in der ersten Runde sprechen. Es läuft für ihn. Er attackiert die AfD. Der Verfassungsschutz habe recht mit seiner Argumentation, wenn der Inlandgeheimdienst die Partei als rechtsextremistisch einstufe, weil sie ein “ethnisch abhängiges Volksverständnis” habe. Also das Deutschsein von der deutschen Herkunft herleite. Wovon genau er das Deutschsein herleitet, sagt Seif nicht.
Aus Seifs Rede wird offensichtlich, dass er dem Volksverständnis seiner ehemaligen Kanzlerin anhängt, Parteifreundin Angela Merkel. Deutsch war demnach jeder, der schon länger hier lebt – oder erst seit kurzem. Curio verbreite falsche Informationen, wenn er sage, Deutschland könne Syrer in großen Massen zurück in ihre Heimat schicken. Denn Curio ignoriere, wie viele Syrer hierzulande eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis hätten, sagt Seif.
Sieben Prozent seien es, sagt der Christdemokrat selbst. In Ziffern: 7. Wie das Land mit den anderen 93 Prozent umgehen soll, sagt Seif nicht. Er ist für Merz und gegen die AfD. Für eine Karriere in der Union reicht das dieser Tage. Seifs Rede ist von denen der Linken, der Grünen oder der SPD kaum zu unterscheiden. Ihre “Brandmauer” gegen Linke wie Ferat Kocak stellt die Union dieser Tage in Frage, hat sie faktisch schon niedergerissen. Der Linke Kocak fordert im Bundestag “Wahlrecht für alle”.
Doch die CDU ist nicht so eins, wie es ihr Redner Nummer eins wirken lassen will. Nicht nur unter den Wählern gibt es Menschen, die sich an Merz’ Versprechen einer Einwanderungswende erinnern. Auch in der Fraktion ist der Wunsch danach noch wach. Heiko Hain (CSU) ist zwar bereit, schon die Grenzkontrollen seines ehemaligen Landesgruppenchefs Dobrindt als “Migrationswende” zu feiern. Doch immerhin verweist Hain auf den Koalitionsvertrag mit der SPD: “Weitere Maßnahmen werden folgen.” So wolle die neue Regierung die “Turbo-Einbürgerung” zurücknehmen.
Noch weiter als Hain geht Cornell-Anette Babendererde (CDU). Sie darf erst als dritte Rednerin der Union ran und kritisiert die jüngst abgewählte Einwanderungspolitik des Koalitionspartners als “eine politische Geisterfahrt sondergleichen”. Deutschland dürfe seine Staatsbürgerschaft „nicht wie auf dem Wochenmarkt feilbieten”. Deswegen werde die neue Regierung im Laufe dieser Wahlperiode “entsprechende Korrekturen” vornehmen. Etwa, wie von der AfD gefordert, dürften “vorübergehende humanitäre Aufenthalte” nicht mehr automatisch zur deutschen Staatsbürgerschaft führen. Solche Stimmen gibt es in der Union also auch noch.
Merz flüchtet sich vor seinen innenpolitischen Baustellen ins Ausland. Doch wenn er mal zum Tanken nach Hause kommt, sind sie noch da. Ebenso wie seine Wahlversprechen weiter im Raum stehen. Egal, wie unaufrichtig er als Kandidat war. Völlig egal, wie wenig alte Versprechen ihm als gewählter Kanzler selbst bedeuten. Der Antrag der AfD zur Einbürgerung geht nun in den Fachausschuss. Es wird nicht der einzige bleiben, mit dem die größte Oppositionspartei Merz quälen und seine Versprechen testen wird.