Definition von „sicheren Herkunftsstaaten“: Warum das EuGH-Urteil fatal für Europas Migrationswende ist 

vor 10 Tagen

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Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Hürden für Abschiebungen in sichere Herkunftsstaaten deutlich erhöht. Was bedeutet das Urteil für die Asylpolitik der EU und die gemeinsamen Anstrengungen, illegale Migranten in ihre Heimat abzuschieben?

Anlass war das Vorhaben der italienischen Regierung unter Giorgia Meloni, Asylverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen. Migranten, die in Italien Asyl beantragen wollen, sollten in Asyllager ins Nicht-EU-Ausland, nach Albanien, gebracht werden. Dazu waren in den albanischen Hafenstädten Shëngjin und Gjadër Asyllager errichtet worden. In Schnellverfahren sollten italienische Behörden binnen 28 Tagen über die Asylanträge von Menschen entscheiden, die aus sicheren Herkunftsstaaten wie Ägypten oder Bangladesch stammen. Im Oktober 2024 hatte die Regierung in Rom per Gesetzesdekret festgelegt, dass es sich bei rund 19 Staaten, darunter Bangladesch, um sichere Herkunftsstaaten handele.

Schon italienische Gerichte erschwerten das Unterfangen, nachdem Betroffene geklagt hatten. Nun hat der EuGH nach Klage zweier Bangladeschis entschieden: Ein Staat darf nach derzeitiger europäischer Rechtslage nur dann als sicher eingestuft werden, wenn dort alle Menschen ausreichend geschützt sind. Wenn einzelne Personengruppen gefährdet sind, kann der Staat also nicht als sicher eingestuft werden.

Wohncontainer in einem für Asylbewerber vorgesehenen Lager in Gjadër, unweit der albanischen Hafenstadt Shëngjin.

Auch sollen EU-Mitgliedsstaaten zwar selbst entscheiden dürfen, welche Länder sie als sicher einordnen, müssen aber die Informationsquellen offenlegen, mit denen sie zu dieser Einstufung kommen. Informationsquellen, die zur Bestimmung eines Landes als „sicheres Herkunftsland“ dienen, müssen sowohl den Gerichten als auch betroffenen Antragstellern zugänglich sein.

Erst im April hatte die EU-Kommission einen Vorschlag zu einer gemeinsamen europäischen Liste vorgelegt. Bisher differieren die nationalen Einschätzungen erheblich. Während etwa Italien 19 Staaten als sicher klassifiziert, sind es in Deutschland nur zehn – neben den EU-Ländern Albanien, Bosnien-Herzegowina, Georgien, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Moldau, Senegal und Serbien. Die EU-Kommission hat eine Ergänzung um Bangladesch, Kolumbien, Ägypten, Indien, Marokko und Tunesien vorgeschlagen.

Allerdings: In der Reform des gemeinsamen EU-Asylsystems (GEAS) haben die EU-Staaten bestimmt, dass ab dem 12. Juni 2026 auch Staaten als „sichere Herkunftsstaaten“ eingestuft werden können, wenn bestimmte Gebiete und bestimmte Gruppen nicht sicher sind. Für einen ansonsten als sicher eingestuften Herkunftsstaat können dann gewisse Personengruppen ausgenommen werden, wie der EuGH selbst feststellt. Bis dahin erhalten die Bemühungen, illegale Migranten in ihre sichere Heimat abzuschieben, einen erheblichen Dämpfer.

Prof. Dr. Christian Hillgruber, Professor für Öffentliches Recht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, meint, dass die „Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten durch die Rechtsprechung des EuGH zunehmend eingeschränkt“ werden. „Rechtsstaatliche Standards in Asylverfahren sind wichtig, aber die Mitgliedstaaten müssen auch die Erwartungen ihrer Bürger nach einer geordneten Asylpolitik erfüllen können, ohne überfordert zu werden.“ Mit seiner Feststellung, dass die Staaten nicht den Migranten, den Gerichten und internationalistischen „NGOs“ etwas schulden, sondern zuerst den eigenen Bürgern, trifft er den Punkt des Problems:

Einige wenige, von niemandem gewählte Richter entscheiden über die Köpfe der von den Europäern gewählten Parlamente – die legitimierten Gesetzgeber – hinweg im Sinne von Nichteuropäern. Deren Sicherheitsbedürfnis zählt für die Richter in Luxemburg offenbar mehr als das Bedürfnis der EU-Bürger nach persönlicher Sicherheit, funktionierenden Sozialsystemen und gesellschaftlichem Frieden.

Wir haben es hier mit einem Fall von „strategischer Prozessführung“ zu tun, bei dem, wie bei den heiklen Klima-Fällen, sogenannte NGOs eine Handvoll Betroffene klagen lassen, um politische Entscheidungen per Gerichtsbeschluss ausbremsen zu lassen. Wenn das Prinzip der sicheren Herkunftsstaaten gekippt ist, weil kaum zu beweisen ist, dass in einem Land alle Menschen sicher sind, wird man keinen illegalen Einwanderer mehr los.

Jeder kann behaupten, dass sein Leben oder ihre Freiheit wegen seiner Ethnie, Religion, Staatsangehörigkeit, sexuellen Ausrichtung, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aufgrund seiner politischen Ansichten gefährdet ist. Selbst Deutschland wäre nach Definition der EuGH-Richter nicht vollkommen sicher, wie etwa die signifikante Bedrohung jüdischen Lebens durch muslimische Migranten (ausgerechnet!) zeigt. Islamkritiker wie Seyran Ateş und Ahmad Mansour brauchen rund um die Uhr Polizeischutz. Und wie steht es um die juristische Verfolgung von Regierungskritikern? Der Coronamaßnahmen-Kritiker Michael Ballweg kann nicht neun Monate im Gefängnis gesessen haben, wenn es um eine Steuerhinterziehung in Höhe von knapp 20 Euro gegangen wäre.

Wie sicher ist Deutschland noch für Menschen, die als Juden zu erkennen sind?

Zweifellos könnte man in kein einziges Land der islamischen Welt mehr abschieben, denn Homosexuelle werden dort überall verfolgt, und Juden und Christen in sehr vielen. Es empfiehlt sich dort auch nicht, einer ethnischen Minderheit anzugehören, wie das Schicksal der Drusen aktuell in Syrien zeigt. Und jetzt? Ein Migrant muss nur behaupten, queer zu sein und deshalb in seiner Heimat diskriminiert zu werden. Vielleicht reicht es sogar, dass Homosexuelle dort bedrängt werden, um selbst nicht mehr abgeschoben werden zu können, weil das Land insgesamt nicht mehr „für alle sicher“ ist.

Das fatale EuGH-Urteil beunruhigt auch Heiko Teggatz, Stellvertretender Vorsitzender der Polizeigewerkschaft (DPolG). Er sagte NIUS, es werde dazu führen, dass GEAS „schlicht nicht funktionieren wird“, wie schon Dublin nicht funktionierte (also die Regelung, dass für einen Asylbewerber grundsätzlich das Land zuständig ist, in dem er zuerst europäischen Boden betreten hat – um zu verhindern, dass er in mehreren EU-Ländern Asylanträge stellt). Teggatz meint, nun müsse die Bundesregierung nationales Recht (Aufenthaltsgesetz und Asylgesetz) weiter stärken, „um wenigstens die Reißleine ziehen zu können, wenn GEAS komplett über die Wupper geht“.

Insbesondere die Osteuropäer schützen sich bisher selbst durch nationales Recht. Doch grundsätzlich sind sich die 27 europäischen Regierungen einig, dass die EU eine Migrationswende braucht. Die vielfältigen Probleme, die die illegale Massenzuwanderung gebracht hat, sind unübersehbar, da ist es den EU-Bürgern, also dem eigentlichen Souverän, kaum zu vermitteln, dass ihr Interesse an Stabilität, wie es sie einmal gab, weniger zählen soll als die Bedürfnisse der Einwanderer, die schon aufgrund ihrer großen Zahl destabilisierend wirken. Das Vertrauen in die staatlichen Institutionen dürfte so weiter abnehmen.

Das EuGH-Urteil ist ein Musterbeispiel für eine moralisierte Justiz, die sie noch stärker von der Wirklichkeit entkoppelt erscheinen lässt als die ohnehin schon realitätsferne Brüsseler Bürokratie. Was Richter mit ideologischer Agenda außer Acht lassen, treibt andere gewöhnlich um: Warum etwa sollen Länder wie Tunesien, Marokko und Ägypten „unsicher“ sein, wenn viele Deutsche dort regelmäßig ihren Urlaub verbringen?

Wenn versucht wird, Abschiebungen durch überzogene rechtliche Hürden nahezu unmöglich zu machen, bleibt zum einen, wie von Teggatz angemahnt, nationales Recht zu stärken. Denkbar ist auch, GEAS vorzuziehen, um nicht noch ein ganzes Jahr zu verlieren. Denkbar ist auch ein Drittstaaten-Modell wie das britische „Ruanda-Modell“ (ebenfalls juristisch torpediert): Das reguläre Asylverfahren wird in einen Drittstaat verlagert, es ist dann vom Urteil des EuGH nicht betroffen.

Der Migrations-Experte Heiko Rehmann bringt auch ein älteres Modell ins Spiel: Er hält es für vorstellbar, „das Asylrecht auf Flüchtlinge aus Europa zu beschränken und damit zum Ursprungsgedanken der Genfer Flüchtlingskonvention zurückzukehren“. Ukrainer oder Weißrussen etwa hätten dann einen Anspruch auf Schutz in der EU, Menschen aus außereuropäischen Staaten dagegen nur im Zuge von freiwilligen Kontingenten.

Die restriktive Migrationspolitik der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen wirkt sich in Dänemark positiv aus.

Wenn nicht mehr jeder illegale Migrant das Recht hätte, ein Asylersuchen vorzubringen, erst einmal zu bleiben und Sozialleistungen zu beziehen, spräche sich das rasch herum. Sobald der Zugang zu den Fleischtöpfen der europäischen Versorgungssysteme versperrt ist, dürfte der Zustrom von allein versiegen. Einzelne Länder wie Dänemark haben mit der Abschaffung der Pull-Faktoren bereits gute Erfahrungen gemacht.

Als sichere Herkunftsstaaten zählen nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) alle Länder, in denen wegen des demokratischen Systems und der politischen Lage keine staatliche Verfolgung des Asylbewerbers zu befürchten ist. Pauline Endres de Oliveira, Migrationsrechts-Professorin an der Humboldt-Uni in Berlin, meint jedoch: „Das Urteil ist auch für Deutschland wegweisend, denn die europäischen Vorgaben zur Einstufung sicherer Herkunftsstaaten gelten auch hier.“

Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni: „Ein Schritt, der alle beunruhigen sollte“.

Die von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt geplante Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten wird durch das EuGH-Urteil jedenfalls eher erschwert. Für Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ist es nicht weniger als ein Affront. „Die Justiz beansprucht Zuständigkeiten, die ihr nicht zustehen“, erklärte sie angesichts des Brüsseler Angriffs auf nationale Handlungsspielräume. „Das ist ein Schritt, der alle beunruhigen sollte.“ Das Urteil schwäche „die Politik zur Bekämpfung der illegalen Masseneinwanderung und zum Schutz der nationalen Grenzen“ und gebe Einzelrichtern mit fragwürdigen Quellen mehr Gewicht als demokratisch legitimierten Regierungen.

Mit dem EuGH legt sich Europa im Ringen um die Erhaltung seiner Sicherheit und seines Wohlstands selbst ohne Not Fesseln an. Wenn die demokratisch legitimierten Regierungen nicht Mittel und Wege finden, das fatale Nichtabschiebungs-Urteil zu umgehen, bestimmen de facto Ideologen das Schicksal des Kontinents. Das weitere Erstarken von Parteien, die sich dem Brüsseler Diktat nicht beugen wollen, ist ohnehin programmiert.

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