Der Aussitzer: Wie Lars Klingbeil es bis (fast) ganz an die Spitze schaffte

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Scholz in den aussichtslosen Wahlkampf geschickt, Pistorius auf dessen Posten im Verteidigungsministerium eingehegt, die Co-Vorsitzende ausgebootet. Es läuft für SPD-Chef Lars Klingbeil, trotz der desaströsen Wahlniederlage im Februar. Der neue starke Mann der Partei wird zweifellos auch einen von seinem Wohlwollen abhängigen Kanzler Merz vor sich hertreiben.

Krise als Chance – Lars Klingbeil hat sie zweifellos genutzt. Das historisch schlechte Ergebnis bei der Bundestagswahl im Februar (16,4 Prozent) hat der SPD-Chef mitzuverantworten, doch er katapultierte sich nicht etwa ins Aus, sondern griff zusätzlich nach dem Fraktionsvorsitz. Während die Co-Vorsitzende Saskia Esken aus der vordersten Reihe gedrängt wurde, stieg Klingbeil zum neuen starken Mann der SPD auf.

Am Wahlabend war Lars Klingbeil noch ziemlich down.

Möglich machte es die „Brandmauer“, mit der sich der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz die einzige andere Option nahm und ohne die jetzt in der SPD das große Hauen und Stechen losgehen würde, Stichwort Erneuerung. Klingbeil erkannte das Erpressungspotenzial und nutzte es weidlich aus: Von genuin christdemokratischen Positionen blieb nach dem Koalitionspoker nicht viel übrig, auch Merz’ 5-Punkte-Plan zur Migration wurde pulverisiert. Dafür zwang Klingbeil dem Wahlsieger die Abschaffung der Schuldenbremse auf und ließ die Union noch einige andere Kröten schlucken.

„Links ist vorbei“, hatte Friedrich Merz noch am Vorabend der Wahl getönt. Dass dem keineswegs so ist, dafür sorgte Lars Klingbeil, indem er den Preis für die Zustimmung zu Merz’ lang ersehnter Kanzlerschaft immer weiter in die Höhe trieb. So holte er sieben Kabinettsposten und zwei Staatsministerämter (Ostbeauftragter und Integrationsbeauftragte) für die SPD heraus. Er selbst wird als Finanzminister und Vizekanzler eine mächtige Stellung im Kabinett innehaben. Nebenbei entsorgte er Saskia Esken, ohne ein böses Wort über sie zu verlieren. Zwar nannte er den Umgang mit der auch in der eigenen Partei unbeliebten Genossin „beschämend“, sprach sich aber auch nicht dafür aus, ihr eine relevante Position zu verschaffen. Jetzt stehen die Namen der SPD-Minister fest, Saskia Esken ist nicht darunter.

Lars schwimmt als Vizekanzler ganz oben, Saskia ist ausgebootet.

Als Sohn eines Berufssoldaten verweigerte Lars Klingbeil seinerzeit den Wehrdienst und leistete Zivildienst in der Bahnhofsmission Hannover, studierte dann Politikwissenschaft, Soziologie und Geschichte in Hannover und arbeitete währenddessen im Wahlkreisbüro des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Mit diesem war er auch im kremlnahen Verein „Deutschland-Russland – Die neue Generation“ aktiv. Im März 2022, nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, sagte Klingbeil, dass die SPD, im Nachhinein betrachtet, die Entwicklung in Russland anders hätte bewerten müssen. Auch über den Wehrdienst will er später anders gedacht haben. Anlass soll der Terror vom 11. September gewesen sein, den er selbst 2001 in New York erlebte.

Das passt ins Muster: Lars Klingbeil ist immer wendig geblieben, und von der Antifa-Vergangenheit bis zum Wahldebakel im Februar zeigte sich, dass er wie einst Helmut Kohl in der Lage ist, Unangenehmes abzuschütteln und Niederlagen wegzustecken. Ein Aussitzer. Bis die Gelegenheit kommt, bei der er ohne Zögern zugreift.

Inzwischen gilt der 47-Jährige als Mitglied des konservativen Seeheimer Kreises parteiintern als eher nicht links, was seine Logik aus der Positionierung der meisten anderen Genossen beziehen mag. Auf die gescheiterte „Fortschrittskoalition“ des Olaf Scholz folgt nun also eine „Vernunftkoalition“, die sich mit viel Geld über die Zeit retten mag und sich den politischen Gegner mithilfe des Verfassungsschutzes vom Hals halten will.

Mit Wirtschaft und Finanzen hatte Lars Klingbeil nie zu tun, seit er im Jahr 2005 erstmals in den Bundestag einzog, dem er mit einer Unterbrechung von vier Jahren angehört. Außerhalb der Politik hat er nie gearbeitet. Aber als Finanzminister kann er die überall klaffenden Haushaltslücken nach der vom alten Bundestag beschlossenen Grundgesetzänderung ja künftig mit immer neuen Schulden schließen, zu Sparmaßnahmen hat man vom SPD-Chef jedenfalls noch nichts vernommen. Erst recht nicht im NGO-Komplex, mit dem Klingbeil selbst zu tun hatte (im Kuratorium des Vereins Liquid Democracy), ebenso wie seine Frau Lena-Sophie Müller, die als Geschäftsführerin den gemeinnützigen Verein Initiative D21 leitet.

Was Lars Klingbeil aber zweifellos hat: politisches Gespür. Und wenig Skrupel, im Kampf mit dem politischen Gegner auch mal die Keule statt des Floretts zu benutzen. Als Generalsekretär hatte er maßgeblichen Anteil am Wahlsieg der SPD 2021. Im Wahlkampf ließ er einen Werbespot drehen, in dem Armin Laschet, der Kanzlerkandidat der Union, und eine Reihe von seinen Parteikollegen persönlich angegriffen wurden. In einer Matrjoschka, einer russischen Holzpuppe, war außen Laschet zu sehen, zum Vorschein kamen dann unter anderem Merz und Hans-Georg Maaßen. Schon damals wurde behauptet, die Union stünde weit rechts, Nathanael Liminski, Leiter der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei und enger Vertrauter Laschets, wurde als katholischer Fundamentalist diffamiert. Damals kam das Wort „Klingbeilisierung“ für schmutzige Tricks der Sozialdemokraten auf.

Nach dem Wahlsieg 2021 hielt Klingbeil dem neuen Kanzler Olaf Scholz intern den Rücken frei – und sich die Option offen, sich nach dem absehbaren Scheitern des Hamburgers selbst in den Vordergrund zu schieben. Schon im vergangenen Jahr machte er gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) keinen Hehl aus seinen Ambitionen: „Ich werde noch mehr Verantwortung übernehmen.“ Nun ist Scholz raus und der machtbewusste Klingbeil der neue starke Mann nicht nur in der Partei, sondern auch im Kabinett. Ohne Klingbeils Zustimmung kann Merz den angekündigten „Politikwechsel“ nicht durchsetzen, so einfach ist es.

Noch herrscht eitel Sonnenschein zwischen Lars Klingbeil und Friedrich Merz.

Vom krachenden Wahlverlierer zum ganz großen Gewinner, der vor Kraft kaum laufen kann: Klingbeil hat es geschafft. Scholz in den aussichtslosen Wahlkampf geschickt, Pistorius auf dessen Posten im Verteidigungsministerium eingehegt, die Co-Vorsitzende ausgebootet. Und den Bundeskanzler Friedrich Merz, so er denn gewählt wird, kann er jederzeit vor sich hertreiben. Erst recht seit dem Verfassungsschutz-Gutachten zur AfD, mit dem die SPD-Ministerin Nancy Faeser auf ihren letzten Metern – wohl kaum ohne Klingbeils Zustimmung – Merz noch einmal ein riesiges faules Ei ins Nest gelegt hat.

Die Botschaft ist klar: Jede Bewegung nach rechts wird künftig noch stärker als bisher tabuisiert, gilt die AfD nun doch, auch ohne Beweise, als „gesichert rechtsextremistisch“. Unmöglich, dass sich ein Bundeskanzler inhaltlich, geschweige denn bei einer Abstimmung, mit solchen Gestalten gemein machen könnte. Mit „Nazis“, wie Klingbeil AfD-Mitglieder noch im Juni vergangenen Jahres titulierte, zu paktieren, hatte die SPD der Union nach einem auch von der AfD unterstützten Entschließungsantrag zur Migration noch im Wahlkampf unterstellt, jetzt soll die Union auf ewig von Grün-Links abhängig sein – im Koalitionsvertrag wurde das sogar extra festgehalten: „Die demokratischen Parteien der politischen Mitte tragen eine besondere Verantwortung für den Schutz und die Stärkung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Die Koalitionspartner schließen auf allen politischen Ebenen jede Zusammenarbeit mit verfassungsfeindlichen, demokratiefeindlichen und rechtsextremen Parteien aus. Dies betrifft im Parlament unter anderem gemeinsame Anträge, Wahlabsprachen oder sonstige Formen der Zusammenarbeit.“

Einer wie Lars Klingbeil holt sich natürlich Leute an Bord, die ähnlich robust auftreten: Michael Schrodi, SPD-Bundestagsabgeordneter für Da­chau und Fürstenfeldbruck, wird für die nun beginnende Legislaturperiode Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen. Schrodi erlangte im Juli 2023 unrühmliche Bekanntheit durch eine Pöbel-Attacke im Bundestag: Kurz vor dem Absprung in den Sommerurlaub mit hellblauem Polohemd, Jeans und Turnschuhen bekleidet, ging Schrodi erst auf einen CDU-Vertreter im Präsidium, dann auf die Unions-Fraktion los (NIUS berichtete).

„Gemeinsam mit Faschisten einen solchen Popanz zu machen, ist inakzeptabel“, soll er gepöbelt und dazu „Wichser!“ gerufen haben. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas blieb nichts anderes übrig, als dem Genossen ein Ordnungsgeld von 1.000 Euro aufzubrummen – wegen des „verbalen Angriffs auf das Sitzungspräsidium […] und auf einzelne Mitglieder dieses Hauses“.

Ein Kanzler Merz sieht sich nicht nur den großen Problemen des Landes gegenüber, sondern auch der drohenden Klingbeilisierung der Politik. Eine Weile wird er wohl Kanzler von Klingbeils Gnaden bleiben, doch ist aus der Ecke des mächtigen SPD-Chefs jederzeit mit Manövern zu rechnen, an die er als weniger ausgebuffter Politiker selbst nicht einmal denken würde.

Für die Bürger setzt der aufhaltsame Aufstieg eines Lars Klingbeil politisch ein fatales Zeichen: Während etwaiges Versagen für sie immer mit Konsequenzen verbunden ist, kann jemand wie Lars Klingbeil als Parteichef ein historisches Desaster anrichten und dennoch die Treppe hoch fallen. Hauptsache, die Brandmauer steht.

Lesen Sie dazu auch:Wie kann es sein, dass jemand wie Lars Klingbeil ohne jegliche Qualifikation Finanzminister werden soll?

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