Der erfolgreichste Verlierer der Geschichte

vor etwa 2 Monaten

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Bildquelle: Apollo News

Eine USA ohne Konservative, dass ist in Zeiten von Trump und Co. gar nicht mehr wegzudenken. Egal ob im Weißen Haus oder nicht, dass eine der beiden großen Parteien in den USA als konservative Partei auftritt, war lange nicht gesetzt – und liegt auch an einer richtungsentscheidenden US-Präsidentschaftswahl, die über 60 Jahre zurückliegt.

Der Grundstein für die konservative Bewegung in den USA wurde damals, im Jahr 1964, gelegt. Erstmals trat für die Republikaner ein Kandidat an, der ideologisch eindeutig als „konservativ“ eingeordnet werden konnte: Barry Goldwater. Er unterlag am Ende dem Demokraten und Amtsinhaber Lyndon B. Johnson deutlich. Es war eines der deutlichsten Ergebnisse einer Präsidentschaftswahl überhaupt. Doch diese Niederlage sorgte für eine langfristige Umorientierung der Republikaner in Richtung des Konservatismus.

Die Präsidentschaftswahl 1964 war jedoch auch so bedeutend, weil sie in einer sich rasant verändernden Welt stattfand. Weniger als ein Jahr vor dem Wahltag wurde Amerikas 35. Präsident John F. Kennedy (der ein großer Freund Goldwaters war) auf offener Straße erschossen. Kennedy war trotz seiner relativ kurzen Amtszeit einer der prägendsten amerikanischen Präsidenten des 20. Jahrhunderts geworden.

Der Demokrat trat in die Fußstapfen seines republikanischen Amtsvorgängers Dwight Eisenhower und strebte monumentale Fortschritte für afroamerikanische Bürgerrechte an. Mit seinen „New Frontier“-Programmen setzte er den „New Deal“ eines anderen berühmten Demokraten, Franklin Delano Roosevelt, fort. In Amerika entstand während dieser Zeit erstmals so etwas wie ein Sozialstaat. Kennedys Regierung und die seines Nachfolgers Johnson waren dabei das letzte Hurra dieser, später als „New Deal“-Liberalismus bekannt gewordenen, Ausrichtung.

Auch in der Außenpolitik war Kennedy, dessen Amtszeit in der Hochphase des Kalten Krieges lag, für zahlreiche weitreichende Entscheidungen verantwortlich. Es war während seiner Amtszeit, als die Welt während der Kubakrise an den Rand eines nuklearen Krieges kam. Auch war es Kennedy, der nach zahlreichen sowjetischen Erfolgen Amerika im Wettlauf ins All einen neuen Schub verlieh.

Sein Versprechen an das amerikanische Volk, noch bis zum Ende der Sechziger einen Menschen auf den Mond zu setzen, sorgte für den notwendigen politischen Willen, das NASA-Raumfahrtprogramm zu finanzieren. Der Schock über Kennedys Ermordung saß tief in der amerikanischen Gesellschaft, sie erlebte eine ihrer ersten kollektiven Lähmungen, die sich in den 60ern und 70ern noch häufen sollten. Das Leben und die politische Arbeit mussten dennoch fortgesetzt werden. Hastig wurde Kennedys Nachfolger ins Amt eingeführt.

Dieser wurde ein deutlich biederer auftretender und älterer Mann: Lyndon B. Johnson (meist auch einfach LBJ genannt). Der Texaner war der loyale Vizepräsident Kennedys und als ehemaliger Senator mit seinen zahlreichen politischen Verbindungen Mehrheitsbeschaffer der Regierung im Kongress. Als einer der wenigen Demokraten aus den Südstaaten unterstützte er nicht die Jim-Crow-Gesetze, die das öffentliche und private Leben der amerikanischen Bürger streng nach „Rassen“ segregierten und praktisch afroamerikanische Bürger ihrer Bürgerrechte und der Chancengleichheit beraubten.

In der Wirtschaftspolitik intensivierte LBJ einen sozialliberalen Kurs, der mehr Staatsintervention und Sozialleistungen vorsah. Den Kurs Kennedys setzte der neue Präsident deshalb wenig überraschend weitestgehend fort: Der „Civil Rights Act“ von 1964 sollte die langersehnte Gleichberechtigung für schwarze Mitbürger bringen.

Auch Kennedys Wirtschaftsprogramm brachte Johnson voran. Mehr noch, er erweiterte es um seine eigene Vision: die „Great Society“ (engl. Großartige Gesellschaft) – Johnsons Vorstellung einer idealen Gesellschaft, in der der Staat den Bedürftigen hilft und die Armut ausradiert. Er erklärte einen „War on Poverty“ („Krieg gegen die Armut“). Sozialprogramme wie beispielsweise „Medicare“ und „Medicaid“ sind nur die bekanntesten Sozialleistungen, die durch Johnson eingeführt wurden und aus dem heutigen Amerika kaum noch wegzudenken sind. Diese Pläne sahen sowohl in sozialer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht eine komplette Umwälzung der amerikanischen Gesellschaft vor, was auch prompt die Reaktion auslöste: den Aufstieg des US-Konservatismus.

Wie bereits erwähnt, regierte im Amerika der 30er, 40er, 50er und auch 60er Jahre nahezu ununterbrochen der „New Deal“-Liberalismus. Politisch ging es immer nur in eine Richtung: Immer mehr Staatsintervention auf allen Ebenen des Lebens. Eine nennenswerte organisierte Opposition gegen diese Ideologie formierte sich nicht. Bereits während der 50er Jahre bezeichneten sich einzelne republikanische Politiker, etwa der US-Senator Robert Taft aus Ohio, als „Konservative“, im Mainstream der Politik waren sie jedoch noch lange nicht.

Das änderte sich 1964 schlagartig. Zunehmend kamen dabei zur Auswahl der Präsidentschaftskandidaten der beiden großen Parteien parteiinterne Vorwahlen zum Einsatz, nicht mehr nur wie zuvor vor allem Hinterzimmertreffen der Parteibosse. Durch eine gute Graswurzel-Organisation und kluge Taktiererei gelang es der kleinen konservativen Fraktion, jemanden aus ihren Reihen ganz an die Spitze der Republikaner zu bekommen: Barry Goldwater. Der Mann aus Arizona war seit einigen Jahren Senator, im Zweiten Weltkrieg und im Koreakrieg hatte er als Pilot gedient.

Die Erwartungen an Goldwater waren hoch. Sein Wahlkampf-Slogan „A Choice not an Echo“ („eine Alternative kein Echo“) verkörperte die Hoffnung vieler US-Konservativer diesmal einen wirklichen Gegenentwurf zur Politik der Demokraten zu bekommen, nicht nur eine andere Variation davon, was ihnen moderate Republikaner bisher lieferten.

Ronald Reagan – damals den Amerikanern vor allem aus den Kinos bekannt – nannte es in einer später berühmt gewordenen Wahlkampfrede, die im Fernsehen ausgestrahlt wurde, ein „Rendezvous mit dem Schicksal“. Die Wahl war aufgeladen wie selten zuvor. Erstmals nutzte man deshalb „negative campaigning“ als zentrale Wahlkampftaktik. Johnsons Team erstellte etwa einen TV-Werbespot, in dem ein kleines Mädchen gezeigt wurde, das gerade Blumen pflückte, bevor es durch die Explosion einer Atombombe hinweggefegt wird. Die Botschaft war klar: Goldwater wäre ein unzuverlässiger Präsident, der einen Atomkrieg mit der Sowjetunion anzetteln würde.

In einem Interview hatte sich Goldwater zuvor etwa offen für den Einsatz von taktischen Atomwaffen in Vietnam ausgesprochen – für viele Amerikaner ein beispielloser Tabubruch. Goldwater war bekannt für seine Hardliner-Linie gegenüber der Sowjetunion, diese Aussage war jedoch ein peinlicher Lapsus im Wahlkampf. Doch so etwas geschah Goldwater viel zu häufig. Goldwater leistete sich immer wieder Versprecher und wirkte in Auftritten mitunter uncharismatisch.

Auch seine politischen Positionen sorgten für ordentlichen Zündstoff. Goldwater hatte ideologisches Rückgrat – er war prinzipientreu – wie wenige ein Kandidaten damals: Er war ein laissez-faire-Kapitalist, gesellschaftlich liberalkonservativ, außenpolitisch ein Hardliner. Aufgrund von verfassungsrechtlichen Bedenken hatte er gar als einer der wenigen Republikaner widerwillig gegen den „Civil Rights Act“ von 1964 gestimmt – nicht gegen frühere Varianten in 1960 und 1957. Er war strikt gegen staatliche Diskriminierung, wollte jedoch Diskriminierung durch Privatleute aufgrund von Bedenken zur Vertragsfreiheit nicht staatlich verbieten. In den Augen vieler Wähler disqualifizierte das Goldwater dennoch. Dass der Kriegsveteran in seinem Heimatstaat die Desegregation energisch vorangetrieben hatte, wurde dabei allzu oft vergessen.

Goldwaters Schwächen nutzten LBJ und sein Wahlkampfteam gnadenlos aus. Anders als bei Reagan später glückte die Schmutzkampagne damals. Goldwater holte am Wahltag weniger als 40 Prozent der Stimmen. Nur im „Deep South“, also in Staaten wie Alabama und Mississippi, und seinem Heimatstaat Arizona konnte er die Wähler mehrheitlich von sich überzeugen. Amtsinhaber Johnson feierte unterdessen einen historischen Erdrutschsieg.

Bis zur nächsten Präsidentschaftswahl 1968 sollte Johnson jedoch bei den Amerikanern noch in Ungnade fallen: Er hatte die erfolglose Eskalation des Vietnamkriegs zu verantworten. An seiner Stelle wurde dann mit Richard Nixon ein ideologisch deutlich flexiblerer Mann an die Macht gewählt – der „New Deal“-Liberalismus verschwand in der Versenkung.

Goldwater erlitt 1964 unterdessen kurzfristig eine schwere Niederlage. Der Mann aus Arizona hatte jedoch erstmals im politischen Mainstream eine ideologisch kohärente Gegenposition zum „New Deal“-Liberalismus formuliert. Genau diese Prinzipientreue brachte ihm während des Wahlkampfs eine begeisterte Gefolgschaft ein – etwa die Goldwater-Girls, die auf den Colleges für ihn warben. Er hatte die erste explizit konservative Massenbewegung in der US-Geschichte geschaffen.

Die Republikaner wurden praktisch über Nacht transformiert – hin zur ideologisch stringenten konservativen Partei. Auch wenn zunächst Richard Nixon folgte, gelang 1980 mit Ronald Reagan schließlich der Durchbruch: Goldwaters größter Unterstützer wurde selbst US-Präsident. Der ehemalige Schauspieler sah in Goldwater ein politisches Vorbild. Und Reagan wiederum gilt bis heute als der Vorbild-Republikaner schlechthin. Und so hallt Goldwaters Einfluss bis heute in der konservativen Bewegung und damit den Gängen von Kongress und Weißen Haus nach. Er ist wohl der einflussreichste „Loser“ der US-Geschichte.

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