Der Papst und die Kraft des Ritus

vor 2 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

Ausgerechnet zu Ostern fährt der Papst auf ins Haus seines Herrn. Das ist eine Pointe, auf die kein sterbliches Regie-Genie kommen würde. Das Geschehen gibt Anlass, über eine Institution nachzudenken, die selbst die in ihren Bann zieht, die ihr nicht angehören oder mit ihr gebrochen haben, weil Doppelmoral und Politisierung der Kirche sie abstoßen.

Zunächst eine Lüge, die auch von sämtlichen gottlosen Medien unreflektiert übernommen wird: Der Papst sei „Oberhaupt“ von 1,4 Milliarden Katholiken. So wie es aussieht, wird er nicht einmal mehr von allen deutschen Klerikern als Oberhaupt ernst genommen. Er ist – gottlob – weder „unfehlbar“ noch kann er durchregieren. Es bleibt aber die Magie seines Amtes, das nicht weniger zu sein behauptet als „Stellvertreter Gottes auf Erden“. Dieser Mythos entfaltet eine Kraft, die sich heute ausschließlich aus der Symbolik speist.

Ganz an der Spitze dieses hochtheatralischen Kults steht – wie könnte es anders sein – der Tod des Stellvertreters. Im Grunde darf dieser Mensch nicht einfach sterben. Sein Abtreten wird zur Abberufung, wenn nicht gar zur Erhöhung. Nichts ist für gläubige Normalsterbliche tröstlicher. Die Kirche ist tatsächlich in diesem speziellen Fall noch in der Lage, den Tod zu transzendieren. Nicht wirklich – aber symbolisch. Es ist das, was vom Glauben an den Himmel auf Erden noch übrig ist.

Überstrahlt wird dieser Zauber nur noch von der Wahl des Nachfolgers. Das Konklave ist der Gipfel der Mystifizierung einer zutiefst menschlichen Prozedur. Einerseits: perfekte demokratische Regeln, wenn man davon absieht, dass es nur die „jüngeren“ Kardinäle sind, die abstimmen dürfen. Keiner kandidiert, keiner hat ein Wahlprogramm, keiner hält Reden über seine Absichten, alles ist streng geheim, und niemand weiß am Ende, wer wie abgestimmt hat. Die totale Demokratie mündet in totale Herrschaft, Wahlfreiheit in Unterwerfung. Wen es trifft, den trifft nicht das Vertrauen der Zweidrittelmehrheit der Eminenzen, sondern der Strahl des Heiligen Geistes. Papst wird man nur von Gottes Gnaden. Die alten Kaiser haben das nur behauptet – und sich vom Papst die Krone aufsetzen lassen.

Alles Geistliche leitet sich vom Glauben ab. Kurioser Weise schwindet der Glaube, aber nicht die Wertschätzung für das Geistliche. Die meisten glauben nicht mehr an Gott, oder – falls es ihn gibt, man kann es ja nicht wissen – sie glauben nicht daran, dass Gott katholisch ist und in Rom eine Kirche betreibt. Das spielt aber keine Rolle: Je geringer die faktische Macht dieser Kirche über das Leben der Menschen, desto beeindruckender das Gepränge der kostümierten alten Herren, die Grandiosität der aus der Antike heraus gewachsenen Architektur (nur die Musik lässt in dieser Hinsicht zu wünschen übrig). Alles ist äußerst theatralisch – der Phantasie von Menschen entsprungen. Und das alles hat seinen unschätzbaren Wert. Es beweist: Auch das Überirdische ist irdischen Ursprungs. Der Mensch hat die Religion aus dem Bewusstsein der Endlichkeit geschaffen. Der Ritus ahmt die Ewigkeit nach. Es ist, als könne er symbolisch die Zeit anhalten.

Abgesehen vom wirklichen Ende eines wirklichen Menschen: Es ist eine grandiose Schau. Das festzustellen, ist nicht Blasphemie, sondern Bewunderung. Der Film „Konklave“ füllte kürzlich erst Kinosäle. Auch Dan Brown und andere benutzten das Konklave als Drehbuch. Was von Kirche wirksam ist, ist Populärkultur. Es ist die ungeheure Attraktivität ihrer Zeremonien und Rituale. Ganz so simpel ist es nicht: Auch das Ritual gibt Halt in einer säkularen, komplett banalisierten Kultur. Und so ist der Mythos die letzte Kraft einer mehr als zweitausendjährigen, ansonsten ziemlich ohnmächtig gewordenen Kirche.

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